Auszug aus der Studie:
Status quo: Die große Mehrheit der Ausreisepflichtigen reist nicht aus
Ende Juli 2016 hielten sich in Deutschland laut Ausländerzentralregister (AZR) rund
215.000 Ausreisepflichtige auf. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die genaue Anzahl der Ausreisepflichtigen nicht vollständig im AZR abgebildet ist. Die Datenlage in diesem Bereich (z.B. keine Transparenz bezüglich tatsächlicher Ausreisen von Personen, die im AZR als „Fortzug nach unbekannt“ erfasst sind) und die Qualität der im AZR vorhandenen Daten (z.B. eingeschränkte Aktualität, teilweise widersprüchliche Eintragungen) sorgen für ein gewisses Maß an Intransparenz.
Auch über andere Datenquellen ist es schwierig, eine genaue Transparenz über die Anzahl
der Ausreisepflichtigen, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, herzustellen. Daten der
Asylstatistik zu Entscheidungen des BAMF können nicht personengenau ausgewertet werden, so dass keine exakten Personenzahlen abgeleitet werden können. Personen, die ohne Förderung freiwillig ausreisen, können nicht oder nur eingeschränkt erfasst werden. Auch weitere Unschärfen, z.B. im Zusammenhang mit anhängigen Verfahren bei Gericht und formellen Verfahrenserledigungen im BAMF, erschweren eine Herleitung der genauen
Anzahl aufhältiger Ausreisepflichtiger.
Für die vorliegende Studie wurde mit den offiziell im AZR erfassten Zahlen gearbeitet.
Die dort rund 215.000 erfassten Ausreisepflichtigen lassen sich in vier Gruppen unterteilen:
Gruppe 1 – Ausreisepflichtige im Asylkontext: ca. 140.000 Ausreisepflichtige
(66%). Diese Personen haben in Deutschland ein Asylgesuch gestellt und sind (z.B.
nach negativem Bescheid oder sonstiger Verfahrenserledigung) ausreisepflichtig.
Gruppe 2 –
„Irreguläre Migranten“: ca. 50.000 Ausreisepflichtige (23%). Diese
Personen sind ausreisepflichtig, stehen aber nicht im Asylkontext und wurden nicht
ausgewiesen. Vermutlich handelt es sich hauptsächlich um aufgegriffene Personen,
die illegal (ohne Aufenthaltstitel) nach Deutschland eingereist sind. Zu dieser Gruppe
dürften auch Personen mit abgelaufenen Visa zählen (so genannte „Overstayers“).
Gruppe 3 –
Ausgewiesene: ca. 20.000 Ausreisepflichtige (9%). Diese Personen
haben eine Ausweisungsverfügung erhalten und sind damit ausreisepflichtig.
Gruppe 4 –
Dublin-Fälle: ca. 5.000 Ausreisepflichtige (2%). Diese Personen fallen
unter die Dublin-Verordnung und müssen das Asylverfahren in einem anderen Mitgliedsstaat
des Dubliner Übereinkommens durchlaufen.
Rund 38% der Ausreisepflichtigen stammen aus einem Westbalkanstaat. 7% kommen
aus Afghanistan, 5% aus Syrien sowie jeweils 4% aus den Maghreb-Staaten, der
Russischen Föderation und dem Irak. Die übrigen rund 45% stammen aus weiteren
Ländern mit einem Anteil von jeweils unter 4%.
Zusammenfassung – auf einen Blick
Von den im AZR erfassten ca. 215.000 Ausreisepflichtigen sind rund 165.000 (75%)
geduldet. Deutsche Behörden sind bei Vorliegen eines Abschiebungshindernisses zur
Erteilung einer Duldung verpflichtet – die Ausreisepflicht bleibt weiter bestehen, jedoch
wird die Abschiebung bis zum Wegfall des Abschiebungshindernisses ausgesetzt und
kann sich somit auf unbestimmte Zeit verzögern.
Trotz Steigerung über die vergangenen Jahre reichen die aktuellen Ausreisen nicht
aus, um die wachsende Zahl der Ausreisepflichtigen auszugleichen. Zwischen
Januar und Ende Juli 2016 erfolgten rund 50.000 zentral erfasste Ausreisen. Davon
waren rund 70% über das zentrale Förderprogramm REAG/GARP geförderte freiwillige
Ausreisen und rund 30% Rückführungen. Bis Ende 2016 wird mit ca. 85.000 Ausreisen
zu rechnen sein (nach 28.000 im Jahr 2014 und 58.000 im Jahr 2015).
Das anzustrebende Zeitfenster für eine erfolgreiche Rückkehr liegt bei ca. sechs
Monaten: In den ersten sechs Monaten nach Eintritt der Ausreisepflicht reisen rund
zweimal so viele Personen aus wie in den folgenden zwei Jahren. Nach zweieinhalb
Jahren sind allerdings nur ca. 40% der Ausreisepflichtigen ausgereist; rund 60% halten
sich noch in Deutschland auf. Ca. 35% dieser 60% sind noch ausreisepflichtig.
Die übrigen rund 25% haben nachträglich einen Aufenthaltstitel erhalten. Dies zeigt,
dass die Verkürzung der Rückkehrprozesse von großer Bedeutung ist, um die Anzahl
der Ausreisenden zu erhöhen. Der größte Rückkehrerfolg ist in den ersten sechs
Monaten nach Entstehen der Ausreisepflicht zu verzeichnen. Danach steigt im
Verlauf der Zeit die Wahrscheinlichkeit, dass Ausreisepflichtige nachträglich einen
Aufenthaltstitel erhalten. Auch die Verkürzung des Asylprozesses leistet hier einen
wichtigen Beitrag, da durch einen insgesamt kürzeren Aufenthalt in Deutschland die
Wahrscheinlichkeit zur dauerhaften Verfestigung verringert wird.
Hochrechnung: Bis Ende 2017 wird die Anzahl Ausreisepflichtiger
in Deutschland auf rund 485.000 steigen
Die Gesamtzahl der Ausreisepflichtigen wird angesichts der hohen Zahl anhängiger Asylverfahren (rund 580.000 im September 2016) und der für 2017 erwarteten Asylerstanträge bei gleichzeitig relativ niedrigen Ausreisezahlen (85.000 prognostiziert für 2016 und fortgeschrieben für 2017) deutlich steigen.
Legt man die zu erwartende durchschnittliche Schutzquote der anhängigen Verfahren von ca. 53% und Annahmen bezüglich Klageerfolgen zu Grunde, so dürfte die Anzahl Ausreisepflichtiger in Deutschland bis Ende 2017 auf ca. 485.000 steigen.
Bei dieser annahmenbasierten Hochrechnung sind 85.000 Ausreisen im Jahr 2017 bereits
mit einbezogen. Gegenüber 2016 wäre damit theoretisch insgesamt eine Versiebenfachungder Ausreisen notwendig, wenn alle Ausreisepflichtigen noch 2017 ausreisen sollten (insgesamt 570.000 (= 485.000 + 85.000) Ausreisen gegenüber
85.000 im Jahr 2016).