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2. Charakterliche Negativauslese
Sodann sind politische Parteien in der Regel von einem soziologischen Webfehler gekennzeichnet, der bereits auf der personellen Ebene verhindert, daß - mit wenigen Ausnahmen, die die Regel bestätigen - die richtigen Leute an die richtigen Stellen geraten. Ich spreche von der charakterlichen Negativauslese bei der Besetzung parteipolitischer Führungspositionen. Robert Michels* und Gustave Le Bon* haben schon vor über 100 Jahren präzise beschrieben, welchen Menschentypus die Massendemokratie nach oben spült: rhetorische begabte, mit einer sonoren Stimme und einem vorteilhaften, für die weibliche Wählerschaft möglichst erotisch interpretierbaren Äußeren ausgestatte Männer,* denen es an eigenem Denkvermögen und staatsmännischem Weitblick gebricht, die aber die nötige Eitelkeit, Abgebrühtheit und Intrigenkompetenz mitbringen, um sich den ganzwöchigen Marathon des Politnomaden anzutun, der für jeden in sich ruhenden Menschen, der einen Beruf, eine Familie und eine Aufgabe hat, ein Graus wäre: Abhalten von Parteitagen, Absitzen von Gremienveranstaltungen, Heranbilden von Seilschaften, Sägen an Stühlen tatsächlicher oder gewähnter Konkurrenten, endlose Kommunikation einschließlich notorischer Telefonitis, ununterbrochene Mobilitätsexistenz in Flugzeugen, Zügen, und Autos, viel Lärm und wenig frische Luft.
Die Parteiendemokratie hat also ein veritables Eliteproblem, sodaß moderne Berufspolitiker so definiert werden können wie Bernard Shaw die Journalisten beschrieben hat: >>Leute, die über alles reden, weil sie nichts verstehen.<<*. Letzteres muß freilich insoweit eingeschränkt werden, als der klassische Parteipolitiker ein Fachmann vor allem auf einem Gebiet ist, nämlich darin >>wie man politische Gegner bekämpft<< (Richard von Weiszäcker).* In einem Brief aus seinem Todesjahr, 1920, resümierte Max Weber über die parteipolitischen Wirren am Anfang der Weimarer Republik: >>Zur Wiederaufrichtung Deutschlands in seiner alten Herrlichkeit würde ich mich gewiß mit jeder Macht der Erde und auch mit dem leibhaftigen Teufel verbünden, wenn ich noch Politik triebe. Nur nicht: mit der Macht der Dummheit! Daß ich, wie Sie wissen, keinerlei Politik mehr treibe, hat seinen Grund vor allem darin: daß eine deutsche Politik zu machen so lange eine Unmöglichkeit ist, als - von links und rechts - Irrsinnige in der Politik ihr Wesen treiben können.<<*
Von Stefan Andres stammt das böse Wort von >>Politiker(n) mit Spatzenhirnen und Hyänenherzen<<.* Und Ernst Jünger notierte 1949 in den
Strahlungen: >>Die Charaktere der Typen, die den groben historischen Vorgang tragen, sind nach folgendem Rezept komponiert: technische Intelligenz, Dummheit, Gutmütigkeit, Brutalität zu je einem Viertel - das ist die Mischung, ohne deren Kenntnis man nie die Widersprüche der Zeit begreifen wird.<<* Das war zwar auf NS-Goldfasane gemünzt, trifft aber auch auf das aktuelle parteipolitische Personal zu. Tatsächlich gibt es >>kein stärkeres Argument gegen diese Republik als den Menschenschlag, welchen sie als sogenannte Wortführer verlässlich hervorbringt.<<*
Diese Beobachtungen beziehen sich aber nicht nur auf die herrschende politische Klasse, sie finden auch Anwendung auf neue oppositionelle Parteien, die denselben Vorgaben des Parteiengesetzes zu entsprechen haben und die - je länger, desto stärker - denselben soziologischen Gesetzmäßigkeiten, demselben Abschliff der Kieselsteine am Meeresstrand, unterliegen: Waren in der hoffnungsvoll gegründeten Neupartei zunächst zahlreiche originelle und kantige Köpfe zu beobachten, die zu wirklichen Veränderungen entschlossen schienen, so dominieren häufig schon nach ein, zwei Jahren mittelmäßige Funktionärstypen mit jenen ausgeprägten Persönlichkeitsdeformationen, die für die vielzitierte >>Ochsentour<< offensichtlich unverzichtbar sind."