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antiseptisch
Das sehe ich genauso. Ich habe beides gemacht: Ausbildung und Studium. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: "Was soll ich damit?" Lesen und schreiben konnte ich schon in der Grundschule, Englisch gab es zum Glück ab der 3. Klasse, ich nahm es auf wie ein Schwamm, musste nie großartig für Klassenarbeiten büffeln. Es gab aber mit Ausnahme von Physik und Chemie ab der 6. Klasse nichts grundsätzlich neues mehr, außer Auswendiglernen von beliebig austauschbaren Inhalten. Deutsch hat mich aber der 8. Klasse angekotzt, weil es nur noch um Selbstdarstellung mittels Gelaber und Hackordnung ging. Selber denken war nur innerhalb des linken Zeckenuniversums erlaubt.
Ich hatte dann zwar am Ende der 10. Klasse die Zusage für eine Ausbildung, aber nur unter der Bedingung, dass ich Fachabi erfolgreich bestehe. Das ist kein Witz, es ging über Vitamin B, und deshalb bekam ich so früh eine Zusage. Und der Betrieb wollte allen Ernstes auch noch die Fachoberschule vorschreiben, wo ich das Fachabi machen sollte. Das ging aber nicht, wegen Wohnortes, trotz gleichem Landkreis. Und so willigten sie zähneknirschend ein. Was für eine Arroganz. Ich glaube, ohne diese Zusage hätte ich gar kein Fachabi gemacht, weil ich einfach nur Macher sein wollte. Noch zwei Jahre zur Schule gehen? Wozu denn? Aber es kam noch schlimmer: In der FOS bekam ich ja mal was neues zu sehen, also wie man einen Betrieb kaufmännisch verwaltet, wie man Buchführung und Kostenrechnung verwaltet, Lohnkonten führt, Bestellungen und Logistik abwickelt. Dummerweise kam der selbe Stoff in der Berufsschule nochmal dran. Es hing mir alles zum Halse raus. Im letzten Lehrjahr hieß es dann, dass keiner von den Azubis übernommen wird, weil der Standort mittelfristig ohnehin geschlossen wird.
Ich habe dann einfach studiert, und zwar im selben Bereich. Die Ausbilder bekamen das noch mit und fühlten sich natürlich vor den Kopf gestoßen, nach dem Motto: "Erst nicht übernommen werden, und dann so tun, als wäre man auch noch was Besseres". Pfff. Ich habe Teile der Materie dann zum dritten Mal bearbeiten dürfen, was mir nicht sonderlich schwer fiel. Eigentlich fällt mein Urteil nach 32 Jahren Berufstätigkeit vernichtend aus: Das allermeiste, was man lernt, muss man gar nicht an einer Schule oder Uni lernen. Es reicht ein Chef, der einem alles erklären kann, und zwar so, dass man nach einiger Zeit keine Fehler mehr macht. Der wiederum brauchte eigentlich auch keine Heerschar an Ausbildern, sondern nur einige wenige, die ihm zeigen, wo's langgeht.
Heute bin ich selbständig. Ich bin kein Steuerberater geworden und kein Sachbearbeiter, sondern eine Art Notarzt für verunglückte Buchhaltungen. Wenn das Personal fluktuiert bis der Arzt (ich) kommt, dann gibt es viel Dreck weg zu machen. Ich bin derjenige fürs Grobe und Feine, ohne dass es auf Dauer langweilig wird. Ohne Studium wäre ich da nicht hingekommen. Die dafür notwendigen Kontakte bekommt man einfach nicht, wenn man nur eine Ausbildung hat. Da nützen dann auch zig Weiterbildungen nichts mehr, weil die für viele Entscheider nichts wert sind, egal, was da tatsächlich vermittelt wurde.
Es fragt ohnehin in den allermeisten Betrieben keiner nach Detailwissen in Paragraphenform. Man muss nur wissen, was wann gemacht werden muss, und man muss schnell sein. Und eins wollte ich nie sein: Betriebsblind und Fachidiot. Wer zu lange in ein und demselben Betrieb arbeitet, kommt in 90% der Fälle nicht an der Betriebsblindheit vorbei. Das kann ein Handwerker zwar nicht nachvollziehen, weil der ohnehin ständig woanders ist, aber in Verwaltungen ist es nunmal so, dass dort sehr gerne ausschließlich im eigenen Saft geschmort wird. Ab 20 Jahren Betriebszugehörigkeit ist dann ein Angestellter wirklich nicht mehr in der Lage, irgendwo anders eingesetzt zu werden. Er/sie ist dermaßen verprägt und verpeilt, dass man sich andere Betriebsabläufe und Organisationen gar nicht mehr vorstellen kann. Ungefähr so schwer, wie mit 50 noch fließend Chinesisch zu lernen. Fast unmöglich. Natürlich hat es für mich auch nicht nur Vorteile: Ich komme zwar dahin, die Betriebsabläufe zu verstehen, aber die Menschen dahinter kann man nicht wirklich kennen lernen. Es würde naturgemäß viele Jahre dauern, bis man die richtig einschätzen kann, und ein Gefühl für die wahren Seilschaften bekommt.
Ich denke nur an die ganzen geplatzten Träume derjenigen, die nie studiert haben, und immer nur im gleichen Beruf und in wenigen Unternehmen gearbeitet haben. Was da an Talent vergeudet wird? Aber andererseits: Heutzutage muss man inhaltlich gar nicht mehr so viel selber denken. Was geht und was nicht, entscheiden andere. Und zur Not auch Konzerne, die sämtliche Prozesse standardisieren, und aufräumen mit der deutschen Unsitte, dass aus falschem Stolz jeder sein eigenes Ding drehen will. Aber das ist ein anderes Thema.