Linke IdentitätspolitikPartikularinteressen versus soziale Verantwortung?Kulturelle Anerkennung von Minderheiten gehört zu den Themen linker Politik. Gegenwärtig wird viel über Identitätspolitik diskutiert, sowohl in den USA als auch in Europa. Doch es gibt Kritik, auch aus linken Lagern: Die Vertretung der Interessen Einzelner befördere den Aufstieg der Rechten.
Von Lea Susemichel und Jens Kastner
[Links nur für registrierte Nutzer]Demonstranten der „Black Lives Matter“-Bewegung in Berlin im Juli 2016 (dpa / picture alliance / Wolfram Kastl)
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Identität, ein dem Menschen innewohnendes Bedürfnis, ist Gegenstand vieler Debatten geworden. Beobachtet wird der Verlust von Identität in der globalisierten Gesellschaft, diskutiert wird die Individualisierung an sich und ob die Identität, im Sinne einer kollektiven Erfahrung, der Zugehörigkeit entgegen steht.
Identitätspolitik bedeutet immer eine bewusst gesetzte Grenzziehung zwischen dem Eigenen (die dazu gehören) und dem Anderen (die ausgeschlossen sind). Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama formuliert in seinem neuen Buch, der vermeintlich vor allem linke Fokus auf „Partikularinteressen“ wie Feminismus, Homosexuellenrechte oder Black Lives Matter in den USA hätte Trump letztlich den Wahlsieg beschert und unter anderem den Aufstieg der Rechten auch in Europa zu verantworten. Das Autorenteam stellt seine Argumente dagegen: Soziale Gerechtigkeit und der Kampf um kulturelle Anerkennung Einzelner schließen sich nicht aus.
Lea Susemichel, geboren 1976, studierte Philosophie und Gender Studies in Wien. Als Journalistin, Lehrbeauftragte und Vortragende arbeitet sie zu den Themen feministische Theorie & Bewegung und feministische Medienarbeit. Seit 2006 ist sie leitende Redakteurin der „an.schläge“.
Jens Kastner, geboren 1970, ist Soziologe und Kunsthistoriker und lebt in Wien. Er arbeitet als Senior Lecturer am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien und schreibt für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften über zeitgenössische Kunst, soziale Bewegungen und Kulturtheorien.
Gemeinsam veröffentlichten sie vor Kurzem: „Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken“, Unrast Verlag Münster, 2018.
Die Diskussion um IdentitätspolitikGegenwärtig wird viel über Identitätspolitik diskutiert, sowohl in den USA als auch in Europa. Mit Identitätspolitik ist dabei in aller Regel gemeint, dass eine bestimmte Gruppe für ihre spezifischen Rechte und Interessen eintritt. In der Debatte wird darunter vor allem das Eintreten für Minderheitenrechte verstanden, also zum Beispiel der Kampf für die Rechte von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern oder der von Homosexuellen. Auch die Frauenbewegung wird dementsprechend als identitätspolitische Bewegung definiert.
Die Auseinandersetzungen um Identitätspolitiken haben sich in den letzten Jahren verschärft. Angesichts der Wahl von Donald Trump zum US‑Präsidenten und der erstarkenden nationalistischen Rechten auch in Europa wurde von vielen Linken und Liberalen der Vorwurf erneuert, Identitätspolitik hätte den Aufstieg der Rechten und den Niedergang linker Bewegungen zu verantworten. Diese Kritik wird von ganz unterschiedlichen Intellektuellen vorgebracht, darunter der Philosoph Slavoj Žižek, Talkshow-Host Bill Maher, die Philosophin Nancy Fraser und nun auch der einflussreiche Politikwissenschaftler Francis Fukuyama.