Viele Leute wissen nicht nur nichts über eine "Dritte Welt", sie wissen auch über die Zustände in ihrem eigenen Land und vor ihrer Haustüre nicht einmal Bescheid.
Ich persönlich habe mich schon in meiner Jugend auf dem Schulweg mit Strassenpennern unterhalten, weil mich interessierte, wieso die so leben. Später war ich dann auch öfters in der Frankfurter B-Ebene am Rossmarkt und sah da auch z.B. wie immer derselbe Mann in weissem Anzug bei den dortigen Pennern wohl Geldzahlungen eintrieb. Die Geldübergabe selbst konnte ich nie beobachten, aber es war schon merkwürdig, wieso ein Mann im weissen Anzug meist um die gleiche Uhrzeit dort auftauchte und sich mit den Pennern dort kurz unterhielt.
In dem Zusammenhang fällt mir auch ein, dass vor etwa einem Jahr an der Kreuzung, wo die Stadtverwaltung des Distriktes Los Olivos in Lima liegt, ein junger Mann meine Novia ansprach wegen einer grossen Cola-Flasche, die sie, aus einem Restaurant kommend, mit sich trug. Ich war strikt dagegen, dass sie diesem "Bettler" die Cola-Flasche übergab und wir stritten uns auch etwa noch fünf Minuten um diesen Sachverhalt.
Schliesslich sah sie ein, dass ich wirklich über Bekannte auch junge Männer kannte, die weitaus bedürftiger waren als dieser vorgebliche Bettler, und die sich aber mit Strassenverkäufen über Wasser hielten. Aufgrund der Bekanntschaft solcher wirklich armen Menschen sehe ich eben schon am Zustand der Kleidung, des Haarschnitts und auch der Haut, wie die Lebensumstände solcher Menschen sind, die ich zudem noch aus eigener Anschauung kenne.
Ich habe vor solchen Menschen auch wirklich Respekt, dass solche Menschen trotz ihrer Armut einer ehrlichen Beschäftigung nachgehen anstatt die Smartphones von Kindern oder älteren Frauen zu rauben. Umso grösser war mein Unmut, dass jemand, der lange nicht so bedürftig war wie diese ehrlich arbeitenden Menschen, einfach sich eine Cola-Flasche erbetteln wollte, die übrigens in Euros umgerechnet in Peru mehr als Doppelte kostet als in der BRD.
Diese Mitleidsindustrie spielt ja vor allem darauf an, dass die Leute sich mit der Materie, in diesem Falle der Armut, nicht weiter beschäftigen wollen. Auf der einen Seite will man nicht als hartherzig gelten, auf der anderen Seite hat man überhaupt keinen Bezug zu dem, was man sich da mit Geldspenden vom Leibe halten will.
Interessanterweise haben aber nun gerade die "wichtigen" Menschen in einer Gesellschaft oft einen sehr guten Überblick über alle Teile dieser Gesellschaft und auch keine Berührungsängste. Diese vollumfängliche und detaillierte Kenntnis der Welt, in der sie leben, ist im Gegenteil eher wichtig für sie, denn nur mit einem vollständigen Verstehen der Realität lassen sich vernünftige Entscheidungen treffen.