Das Schöne an den Weltzeituhren ist nicht nur, dass sie die Weltzeit anzeigt, sondern die vielen Möglichkeiten der Verbindungen der Kommunikationen und der Ereignisse.

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Die Weltzeituhr kennt jeder, niemand ihren Erfinder

Niemand hatte die Absicht, diese irrwitzige Uhr auf dem Alex zu errichten. Und um ein Haar hätte der Designer Erich John sie nie entworfen.
[Links nur für registrierte Nutzer] [Links nur für registrierte Nutzer]Es geht rund. Die Namen von 147 Städten stehen auf der Weltzeituhr. Athen fehlte vor 50 Jahren. Und Istanbul kam erst 1997 hinzu.Foto: Günter Schneider/picture-alliance War die Staats- und Parteiführung der DDR der Ansicht, ihr kürzlich eingemauertes Volk hätte ein Recht darauf zu wissen, wie spät es in New York ist, wenn es in Berlin gerade 14.23 Uhr ist? Oder warum sonst ließ sie 1969 auf dem Alexanderplatz eine Weltzeituhr errichten?
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Es würde diese Zeitangaben nie mehr selber überprüfen können, es würde die meisten Städte der Erde nie mit eigenen Augen sehen und trotzdem immer wissen, ob die Leute dort gerade frühstücken oder schon Abendbrot essen. Und wer das weiß, braucht gar nicht mehr selber hinzufahren. In New York ist es um 14.23 Uhr erst 8.23 Uhr. Frühstück!
In geschlossenen Gesellschaften wie der DDR Weltzeituhren aufzustellen, könnte andererseits auf einen Hang zu seelischer Grausamkeit deuten. Beide Diagnosen sind wahrscheinlich falsch, glaubt Carsten Kollmeier. Kollmeier ist der zur Zeit wohl größte lebende [Links nur für registrierte Nutzer] der unlängst gegründeten Weltzeituhr Vertriebs UG. „Haftungsbeschränkt“ vermerkt dahinter vorsichtshalber seine Visitenkarte. Man könnte es auch Startup nennen.
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[Links nur für registrierte Nutzer], so wie ihn die DDR schuf, wird in diesem Jahr 50, die Weltzeituhr wird 50, der Fernsehturm wird 50, Kollmeier wird 48. Hauptberuflich leitet er das Dali-Museum am Leipziger Platz. In dessen Foyer steht etwas schräg ein weißer Flügel, der hat auf der rechten Seite einen Wasserhahn, der pflichtbewusst und ziemlich laut die Aufgabe eines jeden Wasserhahns erfüllt, so dass das leicht gekippte Instrument mit allen vier Beinen in einer großen Pfütze steht. Wenn Kollmeier das Wasserklavier sieht, weiß er, dass er lebt.
Der Gleichgewichtssinn justiert sich neu, alle Sinne beginnen sich zu prüfen. Wie wach eine nur minimale Verschiebung der Koordinaten der Wirklichkeit machen kann! Ein Flügel unter Wasser, eine Weltzeituhr hinter Mauer und Stacheldraht – das ist Dada, das ist Surrealismus. Schon in der DDR sagten manche in genauer Erkenntnis der Lage statt DeDeR vorzugsweise DaDaR.
[Links nur für registrierte Nutzer]Sonne aus Bast, Erde aus Gummi: Erich John, 87, erklärt seine SchöpfungFoto: Weltzeituhr-berlin.deIn der zehnten Etage befindet sich das Büro des Dali-Museums, mit freiem Blick über Berlin, aber auf dem großen Glastisch steht kein Dali, sondern die Weltzeituhr und der Fernsehturm in Ganzmetall, ungefähr dreifaches Taschenformat. Beide sind Wahrzeichen Berlins. Ist es da nicht höchste Zeit, sie angemessen zu ehren?
Das Herz der Zeit schlägt in Berlin

Kollmeier, Anzugträger wie sein Meister, gleichsam ein Bürger mit Falltür – statt an die Realität glaubt er gleich an mehrere –, gibt dem Planetensystem über der Uhr einen leichten Stoß und sieht mit Genuss, wie die Weltzeit darunter beginnt, zu hysterischen Angaben zu neigen. Ein gutes Gefühl. Der wahre Souverän der Welt ist der Souverän ihrer Zeit. „The heart of time beats in Berlin“, sagt Kollmeier langsam, die Wirkung seiner Worte prüfend. Das Herz der Zeit schlägt in Berlin. Wer ein privates Kunstmuseum führt, der sollte schon Talent für prägnante Zusammenfassungen haben. Berlin ist seine Stadt. Eine Weltstadt eben, aber die einzige Weltstadt mit Weltzeituhr.
Kollmeier lässt keinen Zweifel daran, dass er in anderen als Weltstädten gar keine Luft bekommt. „Die Weltzeituhr ist ein Unikat!“, ruft Kollmeier. Sie kommt aus der DDR, aber sie steht für Toleranz und Weltoffenheit. Ist das nicht großartig, um nicht zu sagen, surreal?
Er hat so viel vor zu ihrem 50. Geburtstag im September. Am liebsten würde er allen 147 Städten, deren Namen auf der Weltzeituhr stehen, eine Miniatur-Uhr schicken. Wir gehören zusammen! Aber was heißt Miniatur-Uhr? Die wiegt fast sieben Kilo, massiver Edelstahl, Berliner Fabrikat. Das muss sein, findet Kollmeier, schon wegen der Authentizität. Denn wenn der Direktor des Dali-Museum etwas nicht erträgt, dann sind das die typischen Produkte der Andenkenindustrie. Darum gibt es Kollmeiers Weltzeituhren auch nur bei Dussmann oder Galeria Kaufhof etwa. Bloß kein Ramsch! Er hat bislang allen abgesagt, die seine Uhr zum Souvenir machen wollten.
Wir treffen uns an der Weltzeituhr!

Im Grunde gibt es nur einen Ort, sich mit [Links nur für registrierte Nutzer] der Weltzeituhr zu treffen: an der Weltzeituhr. Wir treffen uns an der Weltzeituhr!, sagen Berliner und Nicht-Berliner seit Jahrzehnten zueinander, auch solche, gerade solche, die noch nie da waren. In welcher großen Stadt kann man sich an einer Uhr verabreden, und jeder weiß, wo die ist? Niemand in Berlin sah im letzten halben Jahrhundert vermutlich mehr Umarmungen als die Weltzeituhr. Auch Bücher tragen sie im Namen, Romane heißen schon [Links nur für registrierte Nutzer] sondern „Treffpunkt Weltzeituhr“ oder einfach „Die Weltzeituhr“.
[Links nur für registrierte Nutzer]Aufbau. Das Areal rund um den Alexanderplatz, so wie die DDR es schuf, entstand vor 50 Jahren.Foto: akg-images / ddrbildarchiv.deDie Uhr ist nie allein. Bei Regen suchen Passanten unter ihr Schutz wie unter dem Blätterdach einer Baumkrone. Straßenmusiker lehnen ihre Instrumente an ihren Fuß. Vor allem aber stehen Menschen in ihrem Schatten, oft allein, seltsam anwesend und abwesend zugleich wie jetzt der dicke Mann. Er hat alle Zeit der Welt und zugleich gar keine, denn er wartet. Er ist da und doch nicht da, das Warten ist eine ungemein surreale Tätigkeit.
1968 war das unglaublichste Jahr in Johns Leben

Erich John hat seine Uhr über die Jahrzehnte immer wieder besucht, aber jetzt lehnt er ab. Er gehe auf die 90 zu, da warte er nicht mehr draußen unter irgendwelchen Uhren. Obwohl der Satz „Wir treffen uns an der Weltzeituhr!“ ihn noch immer sehr, sehr glücklich mache. Dagegen sei es beinahe egal, ob die Leute erfahren, wie spät es in Kuala Lumpur ist. Wenn es in Berlin Mitternacht schlägt, ist der nächste Tag in Kuala Lumpur schon sechs Stunden alt.
1968 war das unglaublichste Jahr in Erich Johns Leben. Er war unlängst Dozent an der Kunsthochschule Weißensee geworden und hatte ein halb verfallenes Haus am Stadtrand gekauft, das eigentlich seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. „Hier ist alles selbstgemacht“, erklärt John schon in der Tür.
Er sieht aus wie ein Seemann bei Flaute, obwohl er aus Böhmen kommt. Aber plattdeutsch spricht er. Wenn es einen Plattdeutsch-Wettbewerb für Böhmen gäbe, Erich John, das Mecklenburger Vertriebenenkind aus dem Elbtal, würde ihn gewinnen. „Har ick bloß nicht klungelt, säd Kaspar“, dachte er im Herbst 1968 im Angesicht der Abgesandten der Partei- und Staatsführung, als die im höchsten Maße interessiert seinen Entwurf einer Weltzeituhr besahen und fragten, ob er dieses eigenartige Instrument auch bauen könne. Hätte ich bloß nicht geklingelt… Die korrekte Antwort hätte lauten müssen: Woanders vielleicht, in der DDR nicht.
Aber von vorn.
Niemand hatte die Absicht, eine Weltzeituhr zu bauen

Die Aussage Walter Ulbrichts, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten, war nicht ganz zutreffend. Richtig dagegen ist: Niemand hatte die Absicht, eine Weltzeituhr zu bauen. Es war nur so, dass der einst verkehrsreichste Platz Berlins nicht immer eine Kriegsbrache bleiben konnte, weshalb die DDR beschloss, sich selbst [Links nur für registrierte Nutzer] zum 20. Geburtstag zu gratulieren. Hier würde künftig der Mensch der Zukunft flanieren. Und da entdeckten Arbeiter beim Umgraben des Platzes 1964 die Reste einer Säule, einer Urania-Säule.
Im Kaiserreich hatte die Urania-Gesellschaft überall in Berlin solche Säulen aufstellen lassen, zur wissenschaftlich-technischen Unterrichtung der Bevölkerung. Thermometer zeigten an, ob man richtig angezogen war oder besser hätte zu Hause bleiben sollen, ein Blick aufs Barometer verriet Passanten, ob sich gerade ein Tief der Hauptstadt näherte. Es handelte sich demnach um einen 4,50 Meter hohen Wetterbericht aus Gusseisen, aufgestellt 1892, und ganz oben waren Uhren.
Wäre es nicht schön, wenn diese Urania-Säule einen Nachfolger bekommen könnte? Es war doch sonst kaum noch etwas da vom alten Alexanderplatz. Aber was heißt alt? Schon die Weimarer Republik wollte hier die radikale Moderne. Doch nur die beiden Behrens-Bauten direkt am S-Bahnhof wurden fertig, 1932. Und nur sie hatten mit ihrem Stahlskelett die Bombennächte überstanden. Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben. Für eine Säule zur Propagierung der wissenschaftlich-technischen Errungenschaften des Sozialismus. Vielleicht mit Uhr, andererseits trug inzwischen jeder eine am Arm, also wenn, dann eine Überuhr.