Über Tschetschenien wird heute viel erzählt. Auch verschiedene Schauermärchen von bärtigen, messerwetzenden Islamisten und öffentliche Steinigungen.

All das ist Quatsch.

Ich war am 09.06.2019 erstmals selbst in Tschetschenien und war in der Hauptstadt Grosny unterwegs.

Meine Eindrücke stichwortweise:

- Es ist die sauberste Stadt Russlands, die ich gesehen habe! Die Straßen werden penibel gereinigt, Graffitis und zugemüllte und vollgekotzte Ecken findet man NICHT.

- Grosny wurde nach dem Ersten und Zweiten Tschetschenienkrieg praktisch von Null aufgebaut und sieht daher sehr modern aus. Der Begriff "Russisches Dubai" passt sehr gut, denn die Ähnlichkeit ist definitiv vorhanden. Die Infrastruktur ist super ausgebaut!

- Zwar finden in Tschetschenien nur noch selten Terroranschläge statt (seltener als z.B. vor 10 Jahren), aber dennoch wird der ein- und ausreisende Verkehr in der Stadt durch schwerbewaffnete OMON-Einheiten kontrolliert. Als wir gestern spät abends in Grosny ankamen, wurden wir an einem Kontrollposten angehalten. Der tschetschenische OMON-Offizier hat uns nach dem Reisezweck gefragt, unsere Pässe durchgeguckt, unsere Namen in der Datenbank überprüft und sich die Buchungsnachweise von unserem Hotel zeigen lassen. Er war sehr höflich und korrekt. Sein Kollege stand aber hinter unserem Auto, mit einer Hand auf dem Maschinengewehr.

- Die Menschen sind ordentlich angezogen. Hippies mit zerrissener Kleidung, grünen Haaren und Tattoos sieht man hier nicht.

- In den ethnisch russisch dominierten Regionen Russlands sieht man Karaoke-Bars, Alkohol-Läden und Discos. In Grosny sind es Modegeschäfte, Shisha-Bars und Kampfsportschulen.

- Tschetschenische Männer, junge wie ältere, tragen oft Vollbart. Sie sehen damit oft "gefährlich" aus, reden dabei aber oft akzentfreies Russisch und treten sehr kultiviert auf.

- A propos Russisch: Die meisten Tschetschenen in der Stadt reden Russisch untereinander. Tschetschenisch wird von allen Tschetschenen beherrscht, aber meist nur von denen im Alltag gesprochen, die aus den umliegenden Dörfern in die Stadt gezogen sind.

- Die meisten Frauen (ca. 70%) tragen Kopftuch und langärmlige, nicht figurbetonte Kleidung. Es gibt aber auch Tschetscheninnen (vor allem die gebürtig aus Grosny stammen), die kein Kopftuch tragen und sich figurbetonter anziehen. Aufreizend ist jedoch keine Frau angezogen.

- Tschetschenen haben oft ein sehr europäisches Aussehen, auch grüne oder sogar blaue Augen sind anzutreffen.

- Die Bevölkerung ist im Schnitt sehr jung und kinderreich. Tschetschenische Familien haben selten weniger als 3 Kinder. Die Kinder sind gut erzogen und gehorsam. Das Wort der Eltern, insbesondere das des Vaters, ist Gesetz.

- Keine Besoffenen auf den Straßen. In Tschetschenien wird kein Alkohol verkauft. Generell nicht. Ich habe mit einem Stadtbewohner gesprochen und der meinte, es gibt genau einen, einen einzigen Laden in der Stadt, in dem Alkohol verkauft wird. Da bekommt man alles, von Bier, Weinbrand bis hin zu Wodka und Absinth, und das völlig legal. Der Laden hat aber nur täglich von 8 bis 10 Uhr vormittags geöffnet (außer freitags). Und am Ramadan hat er komplett zu.

- Aber es gibt Bier-Ersatz: In den Bars werden unter dem Slogan "Probiere den Geschmack Englands" alkoholfreie Malzgetränke verkauft.

- Im Restaurant war es ganz neu für mich, dass der junge Kellner, der ca. Anfang/Mitte 20 war, sich vor mir verneigt hat. Mein Freund Timur hat mir erklärt, dass das in muslimischen Gesellschaften normal ist. Es ist der Respekt vor dem Alter. Wenn jemand einem gegenübersteht, der älter ist als man selbst, verneigt man sich vor ihm.

- Es leben mittlerweile immer mehr ethnische Russen in Grosny. Sie schätzen die Sicherheit und die Ordnung in der Republik Tschetschenien. Es gibt ethnisch russische Rückkehrer, die in den 1990er Jahren als Binnenmigranten Tschetschenien verlassen haben.

- In Grosny gibt es, obwohl 95% der Einwohner Muslime sind, Respekt gegenüber dem orthodoxen Christentum: Es gibt einige Kirchen in der Stadt mit den typischen orthodoxen Goldkuppeln und es werden auch neue gebaut. Wir haben gesehen, wie in einer Kirche tschetschenische Möbelpacker einen Bücherschrank angeliefert haben. Sie haben sich respektvoll die Schuhe ausgezogen, als sie in die Kirche hineingingen.

- Der Personenkult ist kein Geheimnis: Ramsan Kadyrow und Wladimir Putin werden extrem verehrt. Du wirst im Café ein vulgäres Geschimpfe auf Wladimir Putin hören, wie in anderen Regionen Russlands oder insbesondere in Moskau. Wladimir Putin ist auf vielen öffentlichen Gebäuden abgebildet und eine der Hauptstraßen, das Wladimir-Putin-Prospekt, ist nach dem russischen Präsidenten benannt. Für tschetschenische Kinder und Jugendliche ist Ramsan Kadyrow wie ein zweiter Vater. Viele Jugendliche tragen T-Shirts mit russischer Symbolik.

- Noch nie habe ich in einer russischen Stadt so viel einheimische Kfz-Technik gesehen. Ich glaube, Kaukasier sind Hauptabnehmer für die Produktion von AwtoWAS. Klar, man sieht viel teure Autos, Mercedes und Porsche ist defintiv vorhanden, die Mittelschicht in Grosny fährt aber tatsächlich russische Autos. Für junge Tschetschenen ist eine Auto-Mode unvergänglich: Ein bis zum Anschlag tiefergelegter Lada Priora.


Meine Eindrücke sind absolut positiv, die Menschen in der Republik Tschetschenien leben sehr ruhig, sehr freundschaftlich, es gibt wenig Kriminalität, mir gefiel es auch, dass es keine Straßenpenner, Junkies und Alkoholiker gibt. Man fühlt sich auf den Straßen komplett entspannt und sicher, wenn man erstmal verstanden hat, dass die Menschen auch aufgrund ihres oft typisch kaukasischen, grimmigen Aussehens nichts böses im Sinn haben.