Adorno beschrieb in seinen "Thesen gegen den Okkultismus" diesen ganzen Esoterik-Kram als "die Metaphysik der dummen Kerle" und als Symptom eines rückgebildeten Bewusstseins, das die Kraft verloren habe, das "Unbedingte" (also in unserem Falle das Christentum) zu denken und das "Bedingte" (also die materialistische Existenz in einem absurden, gottlosen Universum, usw.) zu etragen. Bei Camus musste man sich Sisyphos, der vergeblich bemüht, mit seiner schweren Last endlich die Spitze des Berges zu erreichen, noch "als glücklichen Menschen denken". Adorno hingegen beschreibt (oder prophezeit vielleicht, ohne es zu wissen) ein Phänomen, das sich auch hier im Forum beobachten lässt:

Das zetert über Materialismus. Aber den Astralleib wollen sie wiegen. Die Objekte ihres Interesses sollen zugleich die Möglichkeit von Erfahrung übersteigen und erfahren werden. Es soll streng wissenschaftlich zugehen; je größer der Humbug, desto sorgfältiger die Versuchsanordnung. Die Wichtigtuerei wissenschaftlicher Kontrolle wird ad absurdum geführt, wo es nichts zu kontrollieren gibt. Die gleiche rationalistische und empiristische Apparatur, die den Geistern den Garaus gemacht hat, wird angedreht, um sie denen wieder aufzudrängen, die der eigenen ratio nicht mehr trauen.
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Ganz "wissenschaftlich" auf Geisterjagd gehen zu wollen ist in der Tat gar kein so seltenes Phänome. Gerade auch in der rechten Esoterik ist das gängig. Aber gut. Adorno und Camus sind natürlich schon lange tot und der eigentliche Atheismus hat sich aus verschiedenen (letztlich natürlich politischen und das heißt materiellen: organisierte Religion erleichtert ungerechte Herrschaftsausübung und -stabilisierung einfach ungemein) Gründen nicht durchsetzen können. Richard Dawkins ist mittlerweile auch schon persona non grata, und von Michael Schmidt-Salomon und der HPD hört man auch nichts mehr.

Nicolas Gomez Davila sagt einmal sehr schön, dass der "moderne Atheismus" nicht die Existenz Gottes leugnet, sondern dessen Identität. Ein sehr schönes Bonmont! Der BRDling von heute akzeptiert ja jeden Gott, an den du glaubst ... es sei denn du pochst darauf, dass deiner der wahre ist! Resultat dann unter Umständen die "Diktatur des Relativismus" nach Ratzinger. Toleranz heißt nicht mehr, andere Wahrheiten zu ertragen, sondern den Wahrheitsanspruch an sich aufzugeben. Aber gut, ich schweife ab. ("Man wird es begriffen haben, worauf ich hinaus will, nämlich daß es immer noch ein metaphysischer Glaube ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht – daß auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Platos war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit göttlich ist.")

JEDENFALLS bin ich letztens über eine Studie gestoßen, in der beschrieben wurde, was amerikanische Teenager eigentlich so glauben. Mit geringen Abweichungen glauben amerikanische (und insofern sicher auch amerikanisierte) Jugendliche an das, was die Autoren dieser Studie als "Moralistisch therapeutischen Deismus" beschreiben: [Links nur für registrierte Nutzer] "Moralistisch therapeutischer Deismus" ist das:


  1. Es gibt einen Gott oder (nach Heinrich Böll) "jene/s höher/es Wesen, das/die wir verehren."
  2. Jenes höhere Wesen, das wir verehren, will, dass die Menschen gut und freundlich und fair zueinander sind.
  3. Die großen Weltreligionen lehren ungefähr diese gleiche, eine Wahrheit.
  4. Das Ziel des Lebens ist es, glücklich zu sein und sich gut zu fühlen. ("to feel good about oneself")
  5. Jenes höhere Wesen, das wir verehren, muss in unseren Alltag nicht unbedingt integriert sein.
  6. Jenes höhere Wesen, das wir verehren, wird nur dann angerufen, wenn es ein Problem, eine Krise gibt.
  7. Menschen, die fair und gut waren, gehen nach dem Tod ins Paradies.


Dieser Glaube, so die Autoren, ist "moralistisch", weil Gott hier verlangt, dass die Menschen fair und gut zueinander sind und die Fairen und Guten letztlich ins Paradies einziehen. Er ist "therapeutisch", weil man sich an Gott nur in Krisensituationen wendet ("Gott als Feuerwehr" hat mein Relilehrer in der Schule immer gesagt). Und er ist "deistisch", weil es zwar "etwas Höheres" gibt, aber dieses "höhere Wesen" keine sehr spezifische Identität hat, die irgendwie offenbart ist und sich scharf von anderen Vorstellungen abgrenzt.

"Moralistisch therapeutischer Deismus" ist, finde ich, jedenfalls ein großartiger Begriff, um dieses Phänomen zu umschreiben. Und genau DAS dürfte in der Tat auch gerade dabei sein, die Welteinheitsreligion der Postmoderne zu werden. Diese ganzen Diskussionen über Atheismus vs. Christentum sind noch auf dem Stand der 60er-Jahre stehen geblieben. Es ist gleichermaßen absurd, wenn irgendwelchen Flüchtlingshelferinnen vorgeworfen wird, Christen oder gottlose Atheisten zu sein und sich die Leute dann streiten, ob das Christentum oder der Atheismus schuld daran ist. Dabei wurde ja schon der Wahrheitsbegriff AN SICH dekonstruiert. Das ist WEDER Christentum noch Atheismus (vgl. das Nietzsche-Zitat oben), sondern etwas, das sich wirklich am besten als "moralistisch therapeutischer Deismus" beschreiben lässt.