Scharia hält Einzug in deutsche Gerichtssäle
Veröffentlicht am 01.02.2012 | Lesedauer: 4 Minuten
Von Barbara Schneider
Experten warnen zunehmend vor dem Einzug der Scharia ins deutsche Rechtssystem
Quelle: dapd/DAPD/Ronald Wittek
Für deutsche Gerichte ist die Scharia kein Fremdwort. In Erbrechtsfällen, aber auch bei Scheidungen wird auch in Deutschland mitunter islamisches Recht angewandt.
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Vielen gilt die
[Links nur für registrierte Nutzer] als Inbegriff von Menschenverachtung oder als Synonym für Unterdrückung und Gewalt. Wendet sich ein Muslim oder eine Muslimin aber an ein deutsches Gericht, kann durchaus die Scharia zur Anwendung kommen. Denn längst hat islamisches Recht auch an deutschen Gerichten Einzug erhalten.
Die Scharia, sagt der Erlanger Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe, ist „ein hochkomplexes System religiöser und rechtlicher Normen des Islam“. Anders als in islamisch geprägten Staaten wie etwa dem Iran, wo die Scharia seit Ende der 1970er Jahre Hauptquelle der Gesetzgebung ist, ist der Rahmen in Deutschland allerdings eng gesteckt. Die Gerichtsentscheidung muss mit dem geltenden Recht vereinbar sein, sagt Rohe.
Für Erbrecht und Scheidungen gilt Recht des Herkunftslandes
„Deutsches Recht muss immer vor Scharia gehen“
Deutsches Recht müsse immer vor Scharia gehen - eine Forderung der CDU an Flüchtlinge, angeregt von Parteivizin Julia Klöckner. Bedeutet: Keine Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen, Andersgläubigen.
Quelle: Die Welt
„Alle Arten von Straftaten wie Fälle häuslicher Gewalt werden ausschließlich nach deutschem Recht behandelt.“ Wenn es aber um die private Lebensführung von Einwanderern geht, gilt das Internationale Privatrecht, nach dem etwa bei Scheidungsfällen oder in Erbrechtsfällen bei Ägyptern nach ägyptischem Recht, bei Iranern nach iranischem Recht geurteilt wird. „In Gestalt dieser Rechtsordnungen kommt dann
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Die Frankfurter Juristin Svenja Gerhard, die als Beraterin bei dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften arbeitet, kennt zahlreiche Fälle aus der Praxis: Bei der Scheidung eines tunesischen Ehepaars etwa entschied ein deutsches Gericht, dass der Frau
[Links nur für registrierte Nutzer] – nach islamischem Recht eine Art finanzielle Absicherung der Braut – als nachehelicher Unterhalt ausgezahlt werden muss.
In einem anderen Fall erkannte ein Gericht eine Ehe an, die in Tunesien durch zwei Stellvertreter per Handschlag geschlossen worden war.
Witwe muss Rente mit Zweitfrau des Mannes teilen
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Entscheidungen, die öffentliches Aufsehen erregten. Das Bundessozialgericht in Kassel lehnte etwa im Jahr 2000 die Klage einer aus Marokko stammenden Witwe ab, die sich weigerte, die Rente ihres Mannes mit der Zweitfrau zu teilen.
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Das Gericht entschied mit Verweis auf islamisches Recht zugunsten der Zweitfrau. Beide Frauen hätten Anspruch auf den gleichen Rentenanteil, entschieden die Richter.
Für Irritationen sorgte auch eine
[Links nur für registrierte Nutzer] aus dem vergangenen Jahr. Damals teilte das Amtsgericht einer Münchnerin nach dem Tod ihres aus dem Iran stammenden Mannes mit, dass ihr anstelle des Alleinerbes nur ein Viertel des Erbes zustehe.
Die übrigen Dreiviertel gingen an Verwandte des Mannes in Teheran. Auch hier trat ausländisches Recht in Kraft: Stirbt ein Ehepartner, der keinen deutschen Pass besitzt, gilt das Erbrecht seines Herkunftslandes, in diesem Fall das iranisch-islamische Recht.