TV-Kolumne "Stern TV"Kinder werden zu Nazis und Verbrechern – die Kamera und das Jugendamt schauen nur zu
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RTL Karin Ritter sitzt vor ihrer Obdachlosenunterkunft.
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Es ist eine Langzeitdokumentation der besonders tristen Art. Vor einem Vierteljahrhundert zeigte Stern TV (RTL) die erste Dokumentation über die Ritter-Familie aus Köthen. Ein Leben am Rande der Gesellschaft, mit Gewalt und rechtem Gedankengut. In den vergangen 25 Jahren ist nichts besser, sondern alles schlimmer geworden. Zum Jubiläum gibt es eine 90-minütige Dokumentation.
Karin Ritter sitzt den ganzen Tag auf ihrer Couch auf dem Bürgersteig, raucht und wartet darauf, dass es Abend wird. Anwohner beschimpfen sie, sie schimpft zurück. Seit dem Rückzug in die Obdachlosenunterkunft, wo sie zuvor eine Wohnung mit ihren Söhnen und ihrer Enkelin bewohnt hat, gelten neue Regeln: Rauchen und trinken im Haus verboten, persönliche Gegenstände verboten. Und Aufenthalt nur zum Schlafen zwischen 18 und 8 Uhr erlaubt.
Das Haus sei „nicht das Paradies“ gibt Köthens Oberbürgermeister Bernd Hausschild (
[Links nur für registrierte Nutzer]) zu. Mutter Ritter findet es „beschissen“ und das nicht nur, weil es gerade einmal zwei Dixi-Klos für 14 Menschen gibt.
Stern TV wurde vor einem Vierteljahrhundert auf die Problemfamilie aus Köthen aufmerksam, weil die drei Brüder, damals alle unter zehn, eine Nachbarin mit einer Axt überfallen hatten. Stern TV besuchte damals das Jugendamt, das nichts weiter unternahm und auch die Schulleiterin, die von den Jungs gebastelte Schlagstöcke zeigte, mit denen sie Mitschüler und Lehrer verprügelt haben. Nicht klar wird, warum über die Jahrzehnte nicht nachhaltig und wirksam eingegriffen wurde.
Jugendamt: Man muss diese Familie nicht bedauernJugendamtsleiter Peter Grimm attestiert Mutter Ritter heute „Beratungsresistenz“ und sagt, es sei für die Familie vorhersehbar gewesen „dass sie heute da sind, wo sie sind.“ Sein Urteil: „Ich denke, dass man diese Familie nicht bedauern muss.“ Zu diesem Entschluss kommen sicherlich viele, die direkt mit den Ritters zu tun haben – aber ist das nicht eigentlich ein Armutszeugnis für ein Amt, das eben genau solche Entwicklungen verhindern sollte und sich schlecht herausreden kann, nichts gewusst zu haben, weil die Fälle seit einem Vierteljahrhundert regelmäßig im TV zu begutachten sind?
Norman Ritter war als Jugendlicher für zwei Jahre im Heim, sein damaliger Betreuer erinnert sich an ihn und wirkt verzweifelt, wenn er sieht, was aus seinem Schützling geworden ist. Denn als das Heim geschlossen wurde, kam Norman wieder zu seiner Mutter. In klaren oder besonders besoffenen Momenten packt den leidenschaftlichen Nazi und Vollalkoholiker die Weltweinerlichkeit. Seine vier Kinder von drei Frauen darf er nur selten sehen. Er schluchzt: „War ja auch drei Stunden mit den Kindern auf dem Weihnachtsmarkt. Der Abschied war halt schwer“. Daran sei die Kindsmutter, „die fette Misthure“, schuld. Sein Plan: Er will sich als Security-Mitarbeiter bewerben, auch wenn das Führungszeugnis einige Eintragungen aufweist, aber er beteuert: „Die Straftaten für die ich im Knast saß, habe ich nicht begangen“.