Zitat von
Leibniz
Interessant, wobei mir die Schlussfolgerung etwas weit hergeholt erscheint. Warum beispielsweise der größte und kreditwürdigste Schuldner betrachtet werden sollte ist mir unklar. Widerspricht sich Größe (Menge der Schulden) und Kreditwürdigkeit nicht?
Ein weiterer Aspekt ist die Nutzung von Realzinsen. Über 700 Jahre hinweg vernünftige und besonders konsistente Werte für die Inflation zu ermitteln, erscheint schwer bis unmöglich.
Warum ausgerechnet diese Studie aus der Fülle der Veröffentlichungen gewählt wurde, ist mir auch suspekt. Vermutlich soll die derzeitige Zinsentwicklung (besonders in der alternativlosen Eurozone) damit legitimiert werden.
Es ist auch möglich, dieses Thema unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten.
Nach meiner Auffassung ist die Marktwirtschaft die natürliche Ordnung, die wie eine Naturgewalt zwar zeitweise unterdrückt werden kann, jedoch schlussendlich immer das letzte Wort hat.
Staaten können beispielsweise künstlich ihre Währung aufwerten, indem sie sich in fremden Devisen verschulden und diese dazu nutzen, die eigene Währung zu kaufen. Schlussendlich wird diese temporär mögliche Aktivität jedoch scheitern, weil der Staat oder dessen Währung an den Schulden zerbricht.
Genauso können Staaten mithilfe ihrer Notenbanken künstlich Niedrigzinsen (Finanzierungskosten für Schulden) herbeiführen. Langfristig wird sich diese künstliche Senkung der Refinanzierungskosten jedoch auf die Wechselkurse auswirken, wodurch die Kaufkraft der Nominalvermögen und Löhne sinkt. Die Auswirkungen sind weitgehend identisch mit jenen einer höheren Besteuerung.
Insofern würde ich die Frage stellen, ob die derzeitigen Währungen (inkl. Leitzinsen) nicht unter den gleichen Gesichtspunkten wie die abstrakte Investition betrachtet werden müssen. Also unter Annahme einer Beziehung von Risiko und Ertrag.
Besonders deutlich wird diese Überlegung anhand des CHF. Vor wenigen Wochen lag der kurzfristige Geldzins darin nahe -1%. Die größte Banknote hat 1000 CHF Nominalwert. Insofern lassen sich in einem größeren Tresor, wie ihn Banken zur Lagerung von Barmitteln unterhalten, erhebliche Beträge lagern. Die Effizienz der Lagerung ist durch diese relativ große Stückelung also relativ größer. Die Lagerung von Gold kostet etwa 0,1%-0,2% p.a., wobei noch Gewinne für die Lagerstelle anfallen. Die Lagerkosten von CHF-Barmitteln dürften mindestens vergleichbar, eher niedriger, liegen. (vgl. [Links nur für registrierte Nutzer])
Versicherungssyndikate versichern Barmittel (wholesale) zu 0,2-0,3% p.a. Dementsprechend besteht die Möglichkeit, mindestens 0,4% p.a. auf versicherte, kurzfristige Gelder im Umfang vieler Milliarden Franken zu verdienen.
Wenn davon ausgegangen wird, dass diese Erträge eine Entschädigung für bestehende Risiken sind, erscheint genau ein Risiko realisierbar. Nämlich das einer Währungsreform. Ausschließlich in diesem Fall (?) würden die Barmittel gegenüber den Schulden stärker abgewertet werden und die Realisierung des Verlustrisikos eintreten. Zugleich sind diese Risiken systemischer Art nicht durch Versicherungspolicen abgedeckt.
Obwohl die Geldzinsen des US-Dollars bislang nur auf 0% gesenkt wurden, erscheinen mir bestimmte Phänomene vergleichbar. Beispielsweise erschien mir bemerkenswert, wie steil die USD-Treasury-Zinskurve trotz seinerzeit 0% Fed-Funds-Rate noch anstieg. Zu mehreren Zeitpunkten traf dieses Phänomen in einem Ausmaß auf, sodass praktisch vergleichbare "risikolose" Geschäfte getätigt werden konnten. Wobei die niedrige FFR genutzt werden konnte, um z.T. vollständig gegen Zinsrisiken abgesicherte Investitionen in US-Staatsanleihen (meist am kurzen Ende) zu finanzieren und dabei eine positive Zinsmarge zu verdienen.
Auch diese Geschäfte wären wesentlich nur durch das Risiko einer Währungsreform betroffen, wobei regelmäßig alle Staatsschulden entwertet werden. Ich würde diese Phänomene deshalb anders als temporäre Marktverzerrungen interpretieren, weil selbst das kollektive Bilanzvolumen der Primary Dealer (>2*10^13 USD) unzureichend war/ist, um diese vermeintliche Verzerrung zu normalisieren. Deshalb sehe ich hier weniger eine Verzerrung als einen Gleichgewichtspreis.
Insofern wären diese Zinssätze auch als Indikator für das Risiko einer Währungsreform interpretierbar.
Ich sehe die stetig fallenden Leitzinsen auch als Symptom einer systematischen Rettung besonders des Finanzsektors.
Wie wir wissen ist darin praktisch alles(Aktien, Anleihen, Kredite, Darlehen, etc.)nur Barwert der diskontierten, zukünftigen Cashflows.
Wann immer also die Bankbilanzen (und damit die Kreditversorgung) erschöpft sind und die angesammelten Problem-Aktiva eine weitere Kreditexpansion ausschließen, kann die reinigende Krise aufgeschoben werden, indem die Zinsen gesenkt werden.
Damit steigt der Wert aller Aktiva und es entsteht zusätzliches Eigenkapital bzw. zusätzliche Kapazität zur Kreditexpansion.
Das gilt m.E. unabhängig davon, ob diese Aktiva gegen Zinsrisiken abgesichert sind. Selbst wenn beispielsweise Zinsswaps o.ä. die Zinsrisiken in den Bankbilanzen zu großen Teilen neutralisieren, werden die Gewinne einer Zinssenkung damit nur auf andere Marktteilnehmer übertragen. Diese wiederum müssen die Gewinne per Definition (als Nicht-Banken) in Geschäftsbankengeld/Buchgeld halten, wodurch zunächst einmal die Liquiditätssituation der Banken entspannt wird. Weiterhin ist die Investition in Vermögenswerte (auch Bank-Aktiva) anzunehmen, wodurch auch in den Bankbilanzen Gewinne entstehen. Durch diese und ähnliche Effekte ist m.E. trotz potentiell abgesicherten Zinsrisiken davon auszugehen, dass Zinssenkungen positive Auswirkungen auf das Kapital und die Kreditkapazität eines Finanzsektors haben. Zumal große Aktienkonzerne relativ schnell die gesunkenen Finanzierungskosten spüren und damit ihre Ergebnisse/Aktienkurse z.T. erheblich steigern.