Die Reichsbürgerbewegung geht einerseits auf nationalsozialistische Propaganda zurück, andererseits auf verurteilte Rechtsterroristen und Antisemiten. Organisierte Strukturen entstanden Mitte der 1970er-Jahren, seit etwa einem Jahrzehnt radikalisiert sich die Szene, die Berührungspunkte mit der Prepper-Bewegung und anderen politischen Apokalyptikern hat.
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Die erste nennenswerte Gruppierung von Reichsbürgern sammelte sich um 1975 um den Rechtsanwalt Manfred Roeder (1929–2014). Er hatte im Zweiten Weltkrieg die
[Links nur für registrierte Nutzer] besucht und kämpfte im April 1945 bei der Verteidigung Berlins. Später studierte er Jura. Aus der CDU trat er nach kurzer Mitgliedschaft 1970 aus, weil sie ihm zu links war. Ungefähr zur gleichen Zeit übte er erstmals nachweislich Gewalt gegen Sachen aus; aktenkundig sind Anschläge auf die damals boomenden Sexkinos und auf Kioske, die Pornomagazine anboten.
Manfred Roeder 1982 in Stuttgart-Stammheim auf dem Weg zur Urteilsverkündung
Quelle: picture-alliance / dpa
Als Holocaustleugner trat Roeder seit 1973 in Erscheinung. Ab dem folgenden Jahr forderte er öffentlich die Freilassung des inhaftierten Hitler-Stellvertreters
[Links nur für registrierte Nutzer]; er organisierte auch Demonstrationen und Aufrufe zu seinen Gunsten.
Spätestens Anfang 1975 entwickelte Roeder die Vorstellung, das Deutsche Reich sei 1945 überhaupt nicht zugrunde gegangen, sondern existiere weiter. Um sich diese völkerrechtlich völlig unsinnige Wahnidee bestätigen zu lassen, wandte er sich an den hochbetagten früheren Großadmiral Karl Dönitz.
Der ehemalige deutsche Großadmiral Karl Dönitz in seinem Haus in Aumühle
Quelle: picture alliance / IMAGNO/Votava
Der letzte Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war von Hitler Ende April 1945 testamentarisch zum Reichspräsidenten berufen worden – was allerdings rechtlich keine Folgen hatte. In Dönitz’ Antwort an Roeder hieß es deshalb: „Ich erkläre Ihnen daher ausdrücklich, dass ich mich nicht als Reichspräsident des Deutschen Reiches betrachte.“
Daraus folgerte Roeder, den Dönitz’ früherer
[Links nur für registrierte Nutzer] kurz und bündig als „Spinner“ bezeichnete, allerdings, dass die Funktion des Reichspräsidenten vakant sei, und ernannte sich selbst zum „Reichsverweser“. Umgehend berief er einen „Reichstag“ nach Flensburg ein, den letzten Dienstsitz von Dönitz, und ließ sich zum „Sprecher der Reichsvertretung“ wählen. Die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat, das Grundgesetz keine gültige Verfassung.
Die ausgebrannte Wohnung in einem Wohnheim für vietnamesische Flüchtlinge in Hamburg 1980; zwei Menschen starben
Quelle: picture alliance / Lothar Heidtm
Seinerzeit nahm das niemand ernst, obwohl Roeder sich radikalisierte. Nach mehreren Urteilen wegen Volksverhetzung und ähnlicher Delikte tauchte er 1978 ab und gründete die rechtsterroristischen
[Links nur für registrierte Nutzer]. Zusammen mit drei Gesinnungsgenossen verübte er 1980 insgesamt fünf Brand- und zwei Sprengstoffanschläge überwiegend auf Asylbewerberunterkünfte und Ausländerlager. Zwei Menschen starben, weitere wurden teilweise schwer verletzt.
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Nach sieben Monaten Fahndung wurde die Terrorzelle zerschlagen.
[Links nur für registrierte Nutzer] wegen Rädelsführerschaft; eine direkte Beteiligung vor allem an dem Brandschlag mit zwei Toten konnte ihm nicht nachgewiesen werden.
Manfred Roeder 1998 in Stralsund
Quelle: picture-alliance / dpa
Nach zwei Dritteln seiner Strafe wurde er mit einer „günstigen Sozialprognose“ auf Bewährung entlassen. In Wirklichkeit machte er nahtlos weiter, wo er Ende 1980 hatte aufhören müssen: mit rechtsextremer Propaganda, Holocaust-Leugnung und erneuten Angriffen auf Sachen. An seiner Überzeugung, Reichsbürger zu sein, hielt er fest, ebenso an seinem Antisemitismus, für den er noch 2010 vor Gericht stand. Im Jahr zuvor hatte er allen Ernstes eine Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung bekommen.
Ein zweiter Vordenker der Reichsbürgerbewegung ist
[Links nur für registrierte Nutzer](geboren 1936). Ebenfalls Rechtsanwalt, wurde er in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zum intellektuellen Kopf der deutschen Linksextremisten und Mitbegründer der Rote-Armee-Fraktion (RAF). Schon nach wenigen Monaten festgenommen, erhielt er nur wegen mehrerer Banküberfälle 14 Jahre Haft – an Morden war er nicht beteiligt.