Zitat von
Smultronstället II.
So wie man ein fieser, böser Mensch sein und trotzdem für die richtige Sache kämpfen kann, so kann man auch ein edler, wundervoller Mensch sein und trotzdem seinen Klasseninteressen folgend nur denjenigen ein Sprachrohr geben, die zum Beispiel die Ausbeutung der Bauern - oder heute der Leiharbeiter, Werkverträge, usw. - befürworten. Die Idee, dass die herrschende Klasse nur aus bösartigen schwarzgekleideten Teufelsanbetern besteht, ist ja gerade so ein ahistorisches Disney-Weltbild. Oft sind die Reichen sogar viel netter als die Armen, weil sie nicht mit dem gleichen Druck und dem gleichen Stress umgehen müssen. Bei "Parasite", diesem koreanischen Film, der letztens den Oscar gewann, gab es diesen schönen Dialog, wo die zwei Armen über die Reichen reden und sagen: "She is nice. She is rich, but she is nice!" Worauf die andere erwidert: "Not 'but'. She is nice because she is rich." So ist das leider oft. Die Geschichte ist voll mit edlen und gerechten Herrschern, die den Armen gerne auch mal ein paar Brosamen zuwerfen ... aber die natürlich trotzdem ihren Klasseninteressen folgend die Emanzipation der Bauern verhindern. Auch dein Motto "Gönne Jeff Bezos alles was er hat" ist natürlich im Klasseninteresse von Jeff Bezos. Es ist GUT für Jeff Bezos, wenn möglichst viele das glauben. Im Zweifelsfall wird er also Leute, die DAS propagieren fördern oder in Ruhe lassen und diejenigen canceln, die ihn in Frage stellen.
Insofern geht es natürlich gerade nicht um die Einstellung und nichtmal um das Reichsein per se. Spendengalas und den Armen Brosamen zuwerfen ist absolut mit Kapitalismus vereinbar. Das lieben die! Solange nicht die Eigentums- und Produktionsverhältnisse an sich in Frage gestellt werden. Solange die nicht-Besitzenden abhängig bleiben und den "gerechten" Reichen die Sandalen küssen, wenn er ihnen ein paar Krümel zuwirft. Dieser Wut auf "Reichtum" an sich ist insofern eigentlich auch eher Teil des rechten Pseudo-Antikapitalismus. Die Funktion, die damals irgendwelche franziskanischen Mönchsorden erfüllt haben, erfüllen heute ja die Grünen - diese Propaganda der Askese und des Verzichts. Das ist der Kern des rechten Pseudo-Antikapitalismus: die Einsicht in die Absurdität herrschender Besitzverhältnisse wird dann verkehrt in Haß auf "Dekadenz" und "Hedonismus". Und die soziale Kategorie des Kapitalisten ersetzt durch biologische ("Der Jude") oder religiöse ("Der Satanist"). Resultat ist dann ein Pseudo-Antikapitalismus, dem völlig gleichgültig ist, dass Progammierer brutalst ausgebeutet werden aber sich schrecklich darüber aufregt, wenn sie schwule Videospielcharaktere in irgendeinem Computerspiel einbauen. Dass auch diese Programmierer zunehmend überarbeitet aber unterbezahlt sind, Probleme damit haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden, sich nicht die Krankenversorgung leisten können, die sie bräuchten, ihnen die Altersarmut droht, der Klimawandel ihrer Heimat zerstört, sie keine Gewerkschaften gründen können usw. usf. das rückt dann bestenfalls in den Hintergrund oder ist gleich marxistische Lüge. Kein Wunder dann, dass sich auch weiße Männer zunehmend von diesen angeblichen Verteidigern des weißen Mannes abwenden - wenn sie eine Politik fordern, die den konkreten Lebensstandard dieser weißen Männer immer weiter reduziert. Es ist ja auch nicht so, dass es vor 1970 keine Ausbeutung gegeben hätte. Interessiert die Rechten aber nicht, solange nur "national" ausgebeutet wird. Wenn Trump zum Beispiel WIRKLICH etwas für den weißen Mann hätte tun wollen, dann hätte er Medicare for All eingeführt - Gesundheitsversorgung unabhängig vom Einkommen. Haben wir in Deutschland natürlich auch nicht, weil sich die Zuzahlungen, die die Krankenkassen verlangen, die Armen oft nicht leisten können. Aber die Rechten haben natürlich auch eine lange Tradition, mit Identitätspolitik von der Klassenfrage abzulenken.