Zitat von
solg
Ich finde solche Gedankenspiele ja durchaus interessant, weil sie immer die Möglichkeit bieten eigene Standpunkte zu entkrusten aber wenn es dann zu sehr in Richtung Phantasterei und Utopie übergeht, ist es im Endeffekt nur noch Unterhaltung (im Sinne von Entertainment); da können wir uns gleich ausgedachte Geschichten erzählen und dann so tun als diskutierten wir ernsthaft darüber, was dann ja wiederum in Richtung Rollenspiel gehen würde.
Denn wenn das was dir da vorschwebt, überhaupt auch nur in die Nähe der Realität kommen sollte, muss zunächst mal ein radikaler (!) Bruch der EU-Staaten mit UKUSA her, und zwar ein echter, nicht nur für die Galerie, sondern aus tiefster eigener ideologischen (allein schon beim Wort "Ideologie" schlottern dem gemeinen, geschichtsgeläuterten und liberalen Europäer die Knie) Überzeugung von der Notwendigkeit heraus, entweder im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Konsens (nur zu erreichen mit sehr viel und langanhaltender Propaganda, eben um jahrzehntelange UKUSA-Propaganda, die ja erst die EU für den selbstbewussten Europäer interessant gemacht hat, auszugleichen und umzukehren) oder letztlich durchgesetzt mit der Faust, im alleräußersten Falle natürlich auch mit Eisen. Denn wenn wir vor Gewalt zurückschrecken, können wir uns auch weiterhin ganz bequem, zivilisiert und unblutig von denen führen lassen, die sich eben nicht zu fein dafür sind...
Mit so einem Szenario ginge auch nicht mehr und nicht weniger als eine grundlegende Kulturrevolution einher. Und bei erfolgreicher Durchführung dieser, müsste die EU ganz neu ausgerichtet werden, und zwar mit einem Konzept, das sich nicht nur deutlich von UKUSA, sondern auch von Russland bzw. China unterscheiden müsste, denn es geht dir ja darum eigenständig zu werden, nicht darum den Beschützer auszutauschen bzw. die Seiten zu wechseln. Wenn man letztlich wieder ein natürlicher Verbündeter einer bereits bestehenden Weltmacht wird, können wir uns das ganze Theater ja auch sparen.
Dass die EU die technischen Möglichkeiten dazu hätte auf eigenen Beinen zu stehen - kann ganz gut sein - sie hat aber noch lange nicht die moralischen/mentalen Voraussetzungen dazu, erst recht nicht wenn Deutschland mit ihm Boot sitzt und eine EU ohne Deutschland wäre wie ein veganer Hackbraten, zusätzlich noch ohne Frankreich (das sich ja erst kürzlich unter Sarkozy ihres jahrzehntelang währenden NATO-Sonderstatus entledigt hat, um sich wie die BRD unter das volle militärische Kommando der USA zu begeben) nicht mehr als ein schlechter Witz.
Auch geo- und demographisch hat die EU alles andere als ideale Voraussetzungen. Aber das sei vorerst mal aus Gründen der Übersichtlichkeit der Diskussion geschenkt...
An dieser Stelle sei aber noch mal an die Tatsache erinnert, dass Deutschland und Frankreich ihre Erbfeindschaft auf Anordnung der westlichen Weltkriegssieger vertraglich ad acta gelegt haben. Überhaupt ist das gesamte Konstrukt der EG, später dann EU, in den Köpfen dieser Weltkriegssieger und Geschichtsfälscher entstanden, s. die Rede des britischen Premiers Churchill 1946 in Zürich ("Let Europe Arise"), in der er ziemlich genau das beschrieben hat, was danach auch mit der EU auch so eintrat.
Auch die Idee vom "Friedensprojekt EU" wird in dieser Rede angestoßen. Etwas was bis heute zieht, eben weil die gesellschaftliche Mentalität hier stark pazifistisch geprägt ist. Ganz anders als in den USA, in Russland oder auch in China.
Und nun gedenkst du dieses Konstrukt für deine Zwecke zu kapern und offensiv bzw. martialisch gegen ausgerechnet denjenigen zu verwenden, der dir das alles in seinem eigenen Interesse spendiert hat? Und er schaut schulterzuckend zu wie du seine Ausgeburt gegen ihn verwendest? Für wie dumm hältst du ihn eigentlich?
Es wäre zudem doch ein Kinderspiel für die USA die EU zu spalten, allein schon indem man das nach Rumsfeld benannte "New Europe" tätschelt und hätschelt und so tut als beschütze man z.B. die heutigen Visegradstaaten vor den linksgrünrotleninistischen EUdSSR-Internationalsozialsten aus Brüssel...
Etwas was man in Ansätzen heute schon tut, diesbezüglich wäre aber noch viel mehr Luft nach oben, wenn es hart auf hart kommt.
Schließlich noch was Grundsätzliches:
Für eine umfassende Kulturrevolution müssten mindestens zwei oder drei Generationen einen Preis bezahlen, den sie nicht bereit sein werden zu zahlen bzw. den sie aus der historischen Froschperspektive aus naheliegenden Gründen nicht mal als zu zahlender Preis für eine wahrhaftige Emanzipation von UKUSA erkennen würden. Und selbst wenn sie es erkennen würden, ist die Mentalität so individualistisch-liberal-"meinebaustelledeinebaustelle" geprägt, dass sie dir den Vogel zeigen würden, wenn du von ihnen erwartest, dass sie diesen Preis bezahlen. Schließlich lebt man nur einmal.
Und die überwältigende Mehrheit der modernen Rechten bzw. Neurechten wollen das transatlantische Band nicht durchschneiden, eben weil sie, wenn auch nur in letzter Instanz, pro-USamerikanisch und somit proglobalistisch sind: "Wasch mich aber mach mich nicht nass!" müsste eigentlich deren Slogan sein. Deren eigentliche Heimat ist die USA, nur da würde deren "Rechtssein" Sinn machen.
Und wenn du diese Mehrheit (ehrlich gesagt ist mir gerade nicht mal ein einziger Neurechter bekannt, der diese Loslösung von UKUSA unmissverständlich und eindeutig befürwortet) schon gegen dich hast, wer bleibt dir dann überhaupt noch, zwecks "Nationbuilding" dieses dir vorschwebenden neuen eigenständigen Europas?
Ewiggestrige Nazis mit der Denke aus dem letzten Jahrtausend musst du nicht überzeugen. Antiliberale, undynamische und unflexible Wertkonservative jeglicher Couleur, für die eben nicht "Sky the limit" is, auch nicht. Und die paar vereinzelten und unorganisierten Querdenker und Paradiesvögel, die schon aus Prinzip gegen alles und jeden sind, der gerade an der Macht ist, auch nicht. Die sind aber auch belanglos und werden nach einer Revolution eh immer als erstes gefressen, wenn sie nicht doch noch die Kurve kriegen und sich mit den neuen Begebenheiten arrangieren.
Du müsstest also aus einer ausgesprochenen Minderheit agieren. Mit allen Konsequenzen. Und ich wage mal zu bezweifeln, dass du bereit wärst diese zu tragen.