CORRECTIV / 25.03.2021 / Hintergrund / von Alice Echermann (Auszug)
Der Inzidenzwert wird nicht „falsch“ berechnet, aber es gibt Kritik daran, ihn als einzigen Maßstab zu nutzen
In einem viralen Video behauptet ein
Mathematikstudent, der Inzidenzwert enthalte einen „Fehler in der Berechnung“. Wir erklären, weshalb die alternative Methode, die er vorschlägt, nicht besser geeignet ist, an seiner grundsätzlichen Kritik aber etwas dran ist.
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Kritik am Inzidenzwert als alleinigem Maßstab
Die Berechnungsmethode in dem Video des Mathematikstudenten ist keine gute Alternative zur 7-Tage-Inzidenz. Dennoch gibt es vielfach Kritik daran, die Corona-Maßnahmen allein nach dem Inzidenzwert auszurichten. Unter anderem deshalb, weil nicht bekannt ist, wie viele PCR-Tests pro Woche wirklich durchgeführt werden.
Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ist einer dieser Kritiker. Auf unsere Anfrage hin verwies er uns auf zwei Sachverständigengutachten, die er für den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags verfasst hat – im November 2020 für die Anhörung zum
„Dritten Bevölkerungsschutzgesetz“ und dann noch einmal im Februar 2021.
Im ersten Gutachten schrieb Krause:
„Die alleinige Reduktion der Lageeinschätzung auf einen einzigen Messwert, wie hier vorgesehen, ist epidemiologisch nicht begründbar und entspricht nicht dem Stand der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz.“
Dadurch würden viele Faktoren nicht berücksichtigt, wie die Altersverteilung der Fälle, der Anteil schwerer und leichter Erkrankungen oder die Anzahl der Menschen im Krankenhaus (Seite 6). In dem neueren Gutachten ging der Epidemiologe auf das
Problem der Testzahlen ein:
„Durch die im Dritten Bevölkerungsschutzgesetz beschlossene Koppelung von Maßnahmen an einen einzigen Indikator, nämlich alleinig den Inzidenzwert der Fallmeldungen, hat der Gesetzgeber die Exekutive in Abhängigkeit eines Messwertes gegeben, der nachweislich keine konstante Messgrundlage hat“,
schrieb er.
„Zur sachgerechten Bewertung der Fallmeldezahlen ist zusätzlich mindestens notwendig, einen Referenzwert über die Zahl der überhaupt durchgeführten Tests zu erheben.“
Krause schlägt als Lösung
eine wöchentliche Meldepflicht für durchgeführte PCR-Tests vor. Die Meldungen sollten die Altersgruppe und die Postleitzahl der getesteten Person enthalten.
So könne man „die strategiebedingten Schwankungen der Testaktivitäten korrigieren“.
Auf Nachfrage teilte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Oliver Ewald, uns per E-Mail mit:
„Eine Verpflichtung zur einheitlichen Erhebung der durchgeführten PCR-Tests ist nicht geplant. Die Nationale Teststrategie gibt bundesweit einheitliche Empfehlungen dazu, welche Personen auf SARS-CoV-2 getestet werden sollten.“
Über die 7-Tage-Inzidenz hinaus analysiere das RKI verschiedene Datenquellen, „um die Lage in Deutschland so genau wie möglich erfassen und einschätzen zu können“. Dazu zählten neben den Meldedaten auch Informationen aus Überwachungssystemen, wie dem für Influenza, oder Projekten und Studien. Auch die Anzahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen werde erfasst.
„Alle Informationen werden gemeinsam bewertet und im täglichen Situationsbericht veröffentlicht.“
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