ABFAHREN
Man wird die Anlage abfahren, als ginge es in eine der über dreißig Revisionen, die die Mannschaft im Rücken hat. Ab 18 Uhr fahren sie schrittweise die Steuerstäbe ein und gehen mit 10 Megawatt pro Minute runter. Bei 25 Prozent Reaktorleistung öffnet die Frischdampf-Umleitstation, der überschüssige Dampf, den die Turbine nicht mehr braucht, wird dann direkt in den Kondensator geleitet. Kurz vor Mitternacht sind wir so weit unten, dass der Rückleistungsschutz die Turbinenschnellabschaltung auslöst. Die Schnellschlussventile werden zugeschossen, der Dampfstrom bricht ab, der Generatorschalter öffnet und trennt die Anlage vom Netz. Ab diesem Zeitpunkt werden unsere 70 Megawatt Eigenbedarf nicht mehr von uns produziert, und Grohnde hat seine im Atomgesetz festgelegte Frist erfüllt: Stillegung „spätestens zum 31.12. 2021“
Danach wird der Reaktor auf drei Prozent Leistung abgefahren und die Reaktorschnellabschaltung betätigt. Es wird still sein auf der Kraftwerkswarte und einige werden sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen, bevor die Arbeit weitergeht. Der Primärkreislauf wird kaltgefahren. Ab 120 Grad Kühlmitteltemperatur wird die Nachwärme nicht mehr über die Dampferzeuger abgeführt, sondern übers Nachkühlsystem und die Nachkühlkette. Die Hauptkühlmittelpumpen werden abgeschaltet, die Nachkühlpumpen übernehmen die Umwälzung des Kühlmittels.
Gegen Morgen werden die letzten Wölkchen aus den beiden Kühltürmen verwehen. Am Neujahrstag gegen Mittag wird der Reaktor auf „kalt, unterkritisch“ dastehen, noch bei ca. 50 Grad Celsius Primärkreistemperatur.
Es folgt ein langer Prozess mit vielen Tests und Prüfungen für die Systeme, die weiterhin gebraucht werden. Der Reaktorkern steht weiter in seinem Druckbehälter und wird nachgekühlt, bis er dann Anfang Februar ins Brennelementbecken umgeladen wird. Dann erst ist der Grohnder Reaktor im technischen Sinne Geschichte – eine kompakte kritische Anordnung, 4 Meter hoch, 2 Meter Durchmesser, welche die Anlage zur unbesiegten Weltmeisterin in der globalen Einzelblock-Stromerzeugung gemacht hat. Üer 400 Terawattstunden Strom wurden erzeugt und dabei – setzt man voraus, dass sonst Kohlekraftwerke gebaut worden wären – rund 400 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart.