1.3 Einfluss von Temperaturveränderungen auf Grundwasserlebensgemeinschaften und Ökosystemfunktionen
Bisher wenig beachtet ist, dass Aquifere auch Lebensraum für eine
Vielzahl von Organismen sind; vor allem
Mikroorganismen sind überall im Untergrund ubiquitär vorhanden. Zusätzlich leben im
Grundwasser, sofern ausreichend Sauerstoff vorhanden ist, auch
höhere Organismen, die sogenannte Meio- und Makrofauna, die sich vor allem aus kleinen Krebstieren, Würmern, Milben, und Schnecken zusammensetzt (GRIEBLER & MÖSSLACHER 2003).
Diese
Organismen sind mit dafür verantwortlich, dass das Wasser im Untergrund
gereinigt wird und man Grundwasser in
guter Qualität (oft in Trinkwasserqualität) fördern kann (DANIELOPOL ET AL. 2003). Man spricht in diesem Zusammenhang von einer
Ökosystemleistung (AVRAMOV ET AL. 2010; GRIEBLER & AVRAMOV 2014).
Die Lebensbedingungen im Grundwasser werden oft aus Sicht des Beobachters als ‚extrem’ und widrig bezeichnet und in der Tat ist Grundwasser meist arm an Nährstoffen und Energie. Dies hat zur Folge, dass
Grundwasserlebensräume eine
geringe Resistenz (Widerstandspotential) und
Resilienz (Potential zur Rückkehr in den Ursprungszustand nach einer Störung) haben.
Anders ausgedrückt sind Grundwasserlebensräume sehr störanfällig.
Vorteilhaft hingegen sind, aus Sicht der Organismen, die generell sehr stabilen und vorhersehbaren Umweltbedingungen, oft über geologische Zeiträume hinweg. Wichtigstes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die
Grundwassertemperatur mit Werten in Deutschland zwischen 9°C und 14°C (10te bis 90te Perzentile; THIEM ET AL. 2012) und einer meist nur sehr geringen jährlichen Schwankung von ± 1°C.
Die echten Grundwasserorganismen (Stygobionten) haben sich physiologisch perfekt an diesen Lebensraum angepasst. Gerade die
Temperatur ist in der
Ökologie eine
wichtige Einflussgröße, da viele biologische Vorgänge, wie etwa die
Stoffwechselaktivität von Organismen und ihr
Wachstum, aber auch viele
chemische Reaktionen direkt an die
Temperaturbedingungen gekoppelt sind.
Veränderungen der Temperaturverhältnisse haben demzufolge Veränderungen der Lebensgemeinschaften, Ökosystemprozesse (Stoffkreisläufe) und der Grundwasserqualität zur Folge.
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4.1.4 Einflussfaktoren
Die tatsächliche Geometrie, Größe und Intensität des durch eine geothermische Anlage thermisch beeinflussten Gebietes im Untergrund und Grundwasser sind stark abhängig von verschiedenen Einflussgrößen. Nachfolgend werden die wesentlichen Faktoren und Randbedingungen, welche
Temperaturveränderungen im
Grundwasser durch
geothermische Anlagen beeinflussen, aufgelistet und kurz erläutert.
Energetische Bilanz und saisonale Verteilung des Wärmeentzuges und Wärmeeintrages in den Untergrund
Wichtigster Faktor ist die Energiemenge, die über die geothermische Anlage dem Untergrund entzogen oder zugeführt wird. Für langfristige und großräumige Betrachtungen lässt sich dieser Faktor auf die Netto-Energiemenge reduzieren, die im Laufe eines Betriebszyklus’ (ein Jahr) dem Untergrund zugeführt oder entzogen wird. Im saisonalen Betrieb wird meist im Winter geheizt (d.h. dem Untergrund Wärme entzogen) und im Sommer ggf. gekühlt (d.h. dem Untergrund Wärme zugeführt). Im Nahbereich der thermisch aktiven Bauteile spielt auch die saisonale Verteilung des Entzuges bzw. der Einleitung eine Rolle.
Grundwasserhydraulik
Wichtigster Transportmechanismus für Wärme ist die Advektion, d.h. der Transport durch im Untergrund vorhandenes und strömendes Grundwasser. Die Grundwasserhydraulik hat damit einen entscheidenden Einfluss auf die Gestalt und Intensität der thermischen Beeinflussung. Wichtigste Parameter sind hierbei v.a. die Art des Hohlraumgefüges im Untergrund (Poren- oder Kluftgrundwasserleiter, Porosität, Permeabilität), der hydraulische Gradient sowie die hydraulische Durchlässigkeit. Da die Grundwasserhydraulik in Kluftgrundwasserleitern für allgemeingültige Aussagen zu heterogen ist, werden die Betrachtungen im Rahmen dieser Untersuchungen auf Porengrundwasserleiter begrenzt. In diesen können Durchlässigkeitsbeiwert (kf) und hydraulischer Gradient (i) zur Filtergeschwindigkeit nach DARCY (vf, 1856) zusammengefasst werden (vf = kf·i).
Thermodynamische Untergrundeigenschaften
Bei geringem Grundwasserfluss ist Konduktion der vorherrschende Transportmechanismus, dieser wird v.a. bestimmt durch die Wärmeleitfähigkeit sowie die Wärmekapazität des Untergrundes. Bei vorhandener Grundwasserströmung sind diese Eigenschaften neben der Porosität außerdem relevant für die thermische Retardation der Kälte- bzw. Wärmefront.
Anordnung der thermisch aktiven Bauteile
Die Anordnung der Sonden, Brunnen oder anderweitigen Wärmeüberträgern ist lediglich bei größeren Anlagen relevant, bei denen mehrere thermisch aktive Bauwerke errichtet werden. Klassischerweise ist dies bei Erdwärmesondenfeldern der Fall. Dann beeinflussen die Geometrie der Anlage sowie der Abstand zwischen Einzelbauwerken die thermische Überlagerung der einzelnen Einflussfelder und damit v.a. die Temperaturveränderungen im Kernbereich der Anlage.
Art der Wärmeübertragung
Die Art der Wärmeübertragung bezieht sich hier auf die Unterscheidung in offene und geschlossene Systeme. Neben den bisher genannten Faktoren ist bei offenen Systemen ein zusätzlicher hydraulischer Einfluss auf die Grundwasserbewegung vorhanden, welcher rückwirkend wiederum den advektiven Wärmetransport beeinflusst.
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4.2.1 Literaturübersicht
In der uns bekannten Fachliteratur finden sich nur wenige Studien mit Bezug auf die Temperaturentwicklung im Untergrund nach Beendigung eines Wärmeeintrages oder –entzuges. SIGNORELLI ET AL. (2004) kommen anhand von Modellrechnungen zu dem Schluss, dass die Zeit bis zur vollständigen Regeneration des Untergrundes etwa gleich lang wie die Betriebsdauer der Anlage ist. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt EUGSTER (1991), wobei seine Modellrechnungen zeigen, dass die
ursprünglichen Temperaturverhältnisse auch dann noch
nicht ganz erreicht werden
(asymptotische Regenerationskurve mit anfänglich hoher, langfristig aber sehr geringer Regenerationsrate).
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Empfehlungen hinsichtlich Wasserqualität und Ökologie
9. Die Erdwärmenutzung darf keine direkten und indirekten Naturschäden für Grundwasserökosysteme, grundwasserabhängige Ökosysteme (z. B. Flüsse, Feuchtgebiete) als auch für die Vegetation zur Folge haben. Auch der Lebensraumverlust für Grundwasserorganismen durch signifikante Absenkung des Grundwasserspiegels (z.B. bei offenen Brunnenanlagen) wird als Störung gewertet (STUMPP & HOSE 2013).
10. Bei allen Empfehlungen hinsichtlich
Wasserqualität und
Ökologie sind die Dimension der einzelnen Anlage bzw. Anlagen und die Dimension der beobachteten oder zu erwartenden Auswirkungen wichtige Entscheidungsgrundlage.
Allgemein gilt, dass die
negativen Auswirkungen einer
einzelnen Erdwärmesonde als
geringfügig eingestuft werden, die
möglichen Auswirkungen von
mehreren Einzelanlagen (Erdwärmesonden-Feld bzw. viele Erdwärmesonden in einem
Wohngebiet) bzw. von großen (offenen) Anlagen als
ernstzunehmend eingestuft werden.
Neben kritischen Maximal- und Minimaltemperaturwerten bzw. kritischen Abweichungen von der Hintergrundtemperatur (siehe dazu später) sollte in einem definierten Gebiet die mäßig temperaturbeeinflusste Fläche bzw. das temperaturbeeinflußte Volumen (definiert als 2K über dem Hintergrund) 10% und die deutlich temperaturbeeinflusste Fläche bzw. das temperaturbeeinflusste Volumen (definiert als 5K über dem Hintergrund) 1% nicht überschreiten. Eine Überschreitung dieser Orientierungswerte definieren wir als kritische Nutzungsdichte.
11. Soll bewertet werden, ob eine Temperaturabweichung vom natürlichen Hintergrund
signifikante Auswirkungen auf die
Wasserqualität bzw. auf die
Ökologie hat, muss die
natürliche Dynamik in einem
Grundwasserleiter (saisonale Temperaturschwankungen) bzw. auch kleinräumige und großräumige Variationen in physikalisch-chemischen und biologischen Messgrößen mit berücksichtigt werden.
12. Die Genehmigung bzw. die maximal genehmigte Abweichung von der natürlichen Hintergrundtemperatur muss auf den physikalisch-chemischen und biologischen Zustand des jeweiligen Grundwasserleiters (z.B. Redoxverhältnisse, Nährstoffbelastung, räumliche Nähe zu Risikofaktoren (z.B. Klärgrube und Sickerbecken, Trinkwassergewinnung) als auch auf den Anlagentyp
abgestimmt sein. Dies ist
wichtig aus Sicht der Wasserbeschaffenheit und Ökologie.
Studie im Volltext als PDF download:
HMUG im Auftrage des Umweltbundesamt
54/2015 TEXTE (PDF)
Auswirkungen thermischer Veränderungen infolge der Nutzung oberflächennaher Geothermie auf die Beschaffenheit des Grundwassers und seiner Lebensgemeinschaften – Empfehlungen für eine umweltverträgliche Nutzung
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