Frauen verdienen ein Viertel weniger als Männer
Kaum zu glauben, aber belegt: Auch im 21. Jahrhundert sind die geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede noch groß. Frauen verdienen im Schnitt rund 25 Prozent weniger als Männer in vergleichbaren Tätigkeiten. Das zeigt etwa der "Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern”, den die Bundesregierung im Sommer 2002 veröffentlicht hat. Die Studie wurde von einem WissenschaftlerInnen-Team unter Leitung des WSI in der Hans-Böckler-Stiftung erarbeitet, eine Kurzfassung steht auf der Internet-Seite des Bundesfrauenministeriums zum Download bereit.
Der Bericht zeigt: In fast allen Bereichen, die Beruf und Einkommen betreffen, werden Frauen nach wie vor benachteiligt. Akribisch haben die AutorInnen Benachteiligungen beim Entgelt, bei den Aufstiegschancen, bei der Rente, bei Sozialleistungen oder bei der Steuer untersucht und in Beziehung zum Ausbildungsstand, zu Bildungs- und Kinderbetreuungsangeboten gestellt. Sie belegen: Die Diskriminierung von Frauen hat System.
Düster sind die Zahlen, was das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen betrifft: Im Westen erhielten 1997 Vollzeit arbeitende Frauen im Schnitt knapp 75 Prozent der Gehälter von Männern, im Osten 94 Prozent. Je qualifizierter die Arbeit ist, umso größer sind die geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede. Zwar gleichen sich die Einkommen an, doch das Tempo ist nicht berauschend: Gerade mal um 2, 8 Prozent hat sich die Differenz im Westen innerhalb von 20 Jahren verringert.
Nach Angaben von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, erhielten Frauen hierzulande 1998 durchschnittlich nur 73 Prozent des Entgelts der Männer. In der EU bildet Deutschland damit das Schlusslicht, noch hinter Österreich (76 Prozent), Griechenland und Portugal (79 Prozent). Der Durchschnitt in der EU liegt bei 82 Prozent.
2001 hat die EU-Kommission bei ihrer Bewertung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedsstaaten in Deutschland "eines der höchsten geschlechtsspezifischen Lohngefälle in der EU und relativ wenig Kinderbetreuungseinrichtungen" ausgemacht und die Bundesregierung aufgefordert, für Abhilfe zu sorgen.
Nicht nur mangelnde Kinderbetreuung, die daraus resultierenden unsteten Erwerbsbiographien oder Beschäftigung in weniger qualifizierten Berufen und schlechter bezahlten Branchen sind die Ursachen für das hohe Gefälle. Das zeigen die AutorInnen des Einkommensberichts: Viele Tarifverträge genügen nicht den europäischen und deutschen Rechtsnormen zur Entgeltgleichheit.
Diskriminierungsfreie Tarifverträge sind ein zentraler Faktor, um Chancengleichheit von Frauen und Männern zu erreichen. Durch EU-Vorgaben haben die Tarifvertragsparteien den Handlungsauftrag, versteckte Diskriminierungen in Tarifverträgen aufzuspüren und zu beseitigen. "Diese Aufforderung gilt für beide Tarifvertragsparteien – wir nehmen sie an", bekräftigen DGB und Gewerkschaften in ihrem Aktionsprogramm "Chancengleichheit im Betrieb".
Der Einkommensbericht belegt anhand von Beispielen, dass "männerdominierte" wie "frauendominierte" Berufe in Tarifverträgen nicht nach gleichen Kriterien bewertet werden. Bei der Arbeitsbewertung fehlten oft Anforderungen, die für frauendominierte Tätigkeiten typisch sind. So würden etwa bei Sekretärinnen erforderliche organisatorische oder kommunikative Fähigkeiten nicht bewertet und damit nicht entlohnt. Entsprechend erhält eine Schreibkraft in der Druckindustrie in Bayern als Einstiegsentgelt 153 Euro weniger als ein Lagerarbeiter, obwohl sie im Gegensatz zu ihm eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen muss. Solche "mittelbare Diskriminierungen" finden sich in vielen Tarifverträgen, meinen die AutorInnen.
Eine "mittelbare Diskriminierung” liegt nach EU-Definition vor, "wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen” (Richtlinie 97/80/EG). Das lässt sich auch auf die Arbeitsbewertung anwenden. Die Entgeltgleichheits-Richtlinie der EU (75/117/EG) schreibt vor, dass Entgeltsysteme auf "für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen". Sie sollen so beschaffen sein, dass "Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen werden”.
Mit analytischen Verfahren der Arbeitsplatzbewertung lassen sich Diskriminierungen eher vermeiden. Wie solche Verfahren funktionieren, das zeigt unter anderem die DGB-Broschüre "Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit!". Sie soll Betriebsräte sowie Personalräte, aber auch Mitglieder in Tarifkommissionen dabei unterstützen, verdeckt wirkende Diskriminierungspotenziale besser zu erkennen. Die Broschüre informiert nicht nur umfassend über Daten, Fakten und Rechtsgrundlagen, sondern hält auch praktische Handlungshilfen dafür bereit, Tarifverträge und betriebliche Entgeltregelungen diskriminierungsfrei zu gestalten.