Wer die Debatten über die Lage der deutschen Wirtschaft in den Medien verfolgt, muss zu dem Schluss kommen: Es ist alles gesagt, es gibt nur einen Weg für Deutschland, aus der Krise zu kommen: Steuern runter, Löhne runter, sparen. Ein Blick in dieses Forum bestätigt diesen Eindruck: die so schön einfachen Talkshow-Weisheiten kommen bei schlichten Gemütern an. Selbst "kluge Köpfe" vertreten oft diese Plattheiten, meist weil sie es nicht schaffen, zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft zu unterscheiden.
Sehr merkwürdig ist, dass in Deutschland oft so getan wird, als gäbe es nur die eine Meinung, nämlich dass die Mittel, die der Neoliberalismus empfiehlt, das einzige Rezept für Deutschland seien. Man kann sich über diese Einseitigkeit und vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der die Neoliberalen auch hier im Forum ihre Ansichten als einzige Wahrheit vertreten, als ginge es um naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, nur wundern. In anderen Ländern gibt es keine Denkverbote. Und man fährt gut damit, sich nicht an Ideologien zu klammern, sondern das zu tun, was gut für die Wirtschaft ist, was reinen Neoliberalismus dann natürlich ausschließt. (Die Anwendung anderer Theorien in Reinform ist damit nicht gemeint, um unsachlicher und ausweichender Kritik vorzubeugen.)"Es ist unglaublich schwer, sich als Ökonom und Politiker gegen das unternehmerische Denken durchzusetzen. Niemand schafft es, auf einem Cocktailempfang einem Unternehmer oder Vorstandsvorsitzenden zu sagen, dass er von Volkswirtschaft nichts versteht."
Heiner Flassbeck, Chef der Abteilung für Makroökonomie und Entwicklungspolitik der UN-Organisation UNCTAD
Die Financial Times Deutschland schreibt (Auszüge):
"Deutschlands Wirtschaftsexperten geben ein weit weniger betonfestes und rumtataradikales Bild ab, als es einschlägige Zunftvertreter vermitteln. Das ist gut so, besser als alberne Monopolansprüche auf die Wahrheit.
Dachten Sie bislang auch, dass klar ist, was in Deutschland passieren muss? Oder dass den Deutschen nur endlich die Wahrheit gesagt werden muss, über die sich die Experten schon längst einig sind? Und dass das Land bestenfalls ein Umsetzungs- und kein Erkenntnisproblem hat? Vergessen Sie's.
Überholte Reflexe
Für besonders Harmoniebedürftige mag das Ergebnis verheerend sein. Knapp 40 Prozent der befragten deutschen Wirtschaftswissenschaftler kreuzen an, dass die Steuerlast in Deutschland insgesamt zu hoch ist. Klingt plausibel - würden nicht knapp 48 Prozent genau das Gegenteil sagen. Gut 50 Prozent finden, dass die Renten gekürzt werden müssen, der Rest eher nicht. Ähnliches gilt bei der Frage, ob der Staat Schulden machen darf, wenn er damit wichtige Reformen (vor-)finanziert. Kein Problem, sagen 48 Prozent - wohl ein Problem: 40 Prozent.
All dies spiegelt sich auch in den eher unorthodoxen Antworten deutscher Ökonomen in der jüngsten Umfrage. Auch hier gibt es eine Mehrheit für Arbeitsmarktreformen, ebenso wie dafür, dass Regierungen die Konjunktur hin und wieder steuern. Gut so. Das deutsche Drama besteht eher darin, dass das im Getöse untergeht, weil gerade die exponierteren Gralshüter und Talkshowplapperer im Land so tun, als gebe es noch die alte Welt der einfachen Wahrheiten. Eine Welt, in der entweder der Herr Keynes oder (meist) der Herr Friedman Recht hat."