Die Abrechnung
"Faschisten, Banditen und Gangster" haben die Arbeiter zum Aufstand getrieben. Das ist die Sprachregelung, die Ulbricht am 18. Juni mit den Russen trifft. Danach zementiert der SED-Chef seine Macht und säubert das Politbüro.
Am Morgen danach ist Berlin eine Mondlandschaft: leere Straßen, verbrannte Autos, ausgeraubte HO-Läden, Pflastersteine überall, zerrissene Plakate, zerfetzte Fahnen, das abgefackelte Columbus Haus am Potsdamer Platz qualmt noch immer. Auf dem Brandenburger Tor weht wieder die rote Fahne. Und an jeder Ecke parkt ein Panzer. 19 Demonstranten tot, vier Volkspolizisten tot, fast 400 Verletzte liegen in Krankenhäusern. Es ist der 18. Juni 1953. Das Politbüro hat die Nacht in Karlshorst verbracht.
Regierungschef Otto Grotewohl und Frau schliefen in der Villa des sowjetischen Hochkommissars Semjonow, Generalsekretär Walter Ulbricht und Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur des "Neuen Deutschland", in einer unbewohnten Villa, Staatssicherheitschef Wilhelm Zaisser war nach Berlin zurückgeschickt worden zu seinem Stellvertreter Erich Mielke und dessen Mannen, die, wie die Russen beklagen, so elend versagt haben.................
.........................Das ist ja Geschichtsfälschung, sagt Heinz Brandt, Sekretär der Ost-Berliner Bezirksleitung, hinterher zu Hans Jendretzky. Wir können doch aus dem Vorgefallenen keinen Kriminalroman machen, in dem Kriegstreiber von langer Hand den "Tag X" vorbereitet haben. Das ist doch absurd! Nein, sagt Jendretzky, der Zuchthaus und Konzentrationslager überlebt hat und in wenigen Wochen wegen allzu liberaler Gedanken aus dem Politbüro gefeuert werden wird, es ist ein Glück, sagt er, dass die da drüben im Westen immer mal wieder vom "Tag X" gefaselt haben. Begreif doch, Heinz, es muss ein Verbrechen, ein kriminelles Verbrechen vorgelegen haben, damit der Panzereinsatz moralisch-politisch gerechtfertigt erscheint...........
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