Lieber Mauser98K!
Ich stellte nur Mutmaßungen darüber an, wie Deutschland in fünfzig Jahren aussehen könnte. Dabei versuchte ich, Dir mit Worten ein „Stimmungsbild“ von der Zukunft Deutschlands zu vermitteln. Tarkowskis Film erwähnte ich deshalb, weil in ihm genau das zu sehen ist, was ich befürchte: Die Ausbreitung einer allgemeinen Gleichgültigkeit unter den Menschen.
Andere, die sich hier über Deutschlands Zukunftsaussichten äußern, sprechen von Marktwirtschaft und Demokratie. Das ist gut und bedenkenswert, und auch des Dankes würdig. Ich spreche von der deutschen Sprache, die mir sehr am Herzen liegt, zumal der gegenwärtig zu beobachtende rasche Zerfall der deutschen Sprache selbst deren eifrigste Pfleger und Bewahrer in Ratlosigkeit stürzt.
Um mich Dir verständlich zu machen, unternehme ich den Versuch, Dir anhand eines Beispiels aufzuzeigen, was ich mit dem Beitrag, der Dich beeindruckte, sagen wollte, aber erst jetzt kann.
Vergleiche einen x-beliebigen Film aus Hollywood mit Tarkowskis Film „Stalker“, und achte dabei besonders auf die Häufigkeit der Dialoge. Du wirst wahrscheinlich ein Verhältnis von 1000 zu 1 feststellen; und wenn Du nun auf den Inhalt der Dialoge achtest, ein Verhältnis von 1 zu 1000. So sehe ich Deutschland vor mir: Heruntergekommen, als verelendete Zone mit einem Eingang in die Ausweglosigkeit. Die in ihr Gefangenen werden bedeutungsschwere Gespräche führen über den Sinn des Sinnes oder das Hierhergekommensein und das Dableibenmüssen. Ein Witzbold wird dann vielleicht sagen, daß alles zwecklos ist. Oder von einem niedergeschlagenen, lumpig gekleideten Historiker wird folgendes Selbstgespräch zu vernehmen sein, das er, ohne einen einzigen Einspruch zu erfahren, mit belegter Stimme führt:
„So gründlich also und selbstzerstörerisch waren die Deutschen. Sie haben es fertiggebracht, das Fundament ihrer einzigartigen Kultur zu untergraben. Nach zwei verursachten und verlorenen Weltkriegen haben sie Kultusminister dafür bezahlt, ihren eigenen Ruin zu vollenden: durch die Verhunzung ihrer mächtigen Sprache. Aus dem ehemaligen Volk der Dichter und Denker ist eine Bevölkerung der Stammler und Stotterer geworden, die rund um den Globus nichts als Hohngelächter und Schadenfreude hervorruft. Ach, was kümmert es mich, wenn in Rußland das Wort ‚Zugzwang‘ verstanden wird.“
Wie gesagt, lieber Mauser98K, nichts als ein Stimmungsbild wollte ich Dir malen, mit Worten, vorausschauend und bewegt von meiner düsteren Phantasie. Daß ich dabei gestrauchelt bin, hast Du bemerkt und mir aufgeholfen. Dafür danke ich Dir.