Hallo,
gestern habe ich mir Gedanken über einen Satz gemacht, den ich schon vor vielen Jahren aufschnappte und nun durch meine seit dem erfolgte philosophische Prägung in ein richtiges Licht stellen konnte.
Gemeint ist ein Dialog aus einem Film (den Namen weiss ich nicht mehr):
"Jeder Mensch hat ein Schicksal."
"Quatsch: Jeder Mensch hat einen Charakter, und sein Charakter ist sein Schicksal."
Auf den ersten Blick klingt das etwas paradox.
Wie sollte der Charakter Einfluss auf die oft zufälligen Dinge haben, die mich unabhängig meines eigenen Willens von aussen erreichen? Ist nicht das Leben der Art, daß es nicht auf die Person ankommt, ob jemand Glück oder Pech hat, daß ja gerade die Besten oft das widrigste Schicksal erleiden müssen, während die Schlechtesten meist auch die Ältesten und Glücklichsten werden? - Offenbar gibt es hier einen Widerspruch zwischen dem mit anziehender Ästhetik formulierten Grundsatz und der Wirklichkeit im Getümmel des Lebens.
Jedoch wollte ich die Sache einmal genauer unter die Lupe nehmen:
Wenn der Charakter mein Schicksal sei, dann müsste er doch einen Einfluss auf das Leben haben und zwar einen so eklatanten Einfluss, daß die zufälligen Widerwärtigkeiten, die mir dieses Leben zerstören können, fast zu Nichts werden. Wenn dies aber der Fall wäre, müsste der Charakter gleichsam auf eine magische Art und Weise mit dieser Welt verbunden sein, mehr noch; er müsste nicht nur einen passiven sondern den aktiven Teil der Welt einnehmen, während der Zufall und das sog. Schicksal den passiven Teil einnähme.
Geführt von diesem Gedanken, ergab sich mir nun folgendes Bild:
Jeder Mensch wird von Geburt an mit einem Charakter ausgestattet, der angeboren und unveränderbar ist. Philosophisch wird dieser Charakter im Sinne des deutschen Idealismus (Kant) als intelligibeln Charakter im Gegensatz zum empirischen Charakter bezeichnet, der auf Erfahrung basiert. So wenig der angeborene Charakter des Menschen, der aus der eigentlichen Freiheit entspringt, verändert werden kann; so sehr ist der empirische Charakter in der Lage, das eigene Wesen durch Erfahrung kennenzulernen. Je älter man wird, umso mehr weiss man, was man eigentlich will, wenngleich das angeborene Wollen nicht verändert werden kann.
Der Charakter passt also wie die Form oder Schablone in die Welt, deren Motive ihn affizieren und zu den menschlichen Handlungen bewegen, deren rückwirkende Erkenntnis jedoch nur eine Reflextion sind, die man auch als Lernen bezeichnen kann, welche den grundlegenden Charakter nicht betreffen, ihn nur im Lichte der Erkenntnis erscheinen lassen.
Insofern hat jeder Mensch ein angeborenes Schicksal, wie sein Körper, so ist auch sein Charakter fest und unveränderbar. Und dieser Charakter sucht oder zieht die Motive an, die für ihn passen, d.h. er findet einen ganz bestimmten Weg in der Welt. Dieser Weg kann ein Weg unter Millionen ähnlichen Wegen sein, aber er ist doch immer der selbe, egal welchen der vielen Millionen ähnlichen Wege wir doch wählen.
Jede Sekunde tun sich Millionen neue Wege auf, die es zu gehen sich lohnt, doch welchen wir wählen, hängt einzig und alleine davon ab, ob der Weg für unseren Charakter passt. Warum wir aber gerade jenen und nicht den anderen gewählt haben, hängt jedoch vom Zufall ab. Mit anderen Worten: Der Zufall ist nur die Quantifikation, der Charakter jedoch die Qualifikation unseres Schicksals.
Insofern bleibt mir nur noch mit Goethe abzuschließen:
Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.
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