Mit über 125 Veranstaltungen rund um den Reformationstag wird in diesen Tagen landauf landab die Bibel in gerechter Sprache unters Volk gebracht. Nicht, daß das Volk nach einer neuen Bibel verlangt hätte wie zu Zeiten der Reformation Luthers. Nein, es war eine kleine, höchst elitäre Schar protestantischer Theologen, die die Zeit für eine neue Bibelübersetzung gekommen sah.

Von Übersetzung zu sprechen, ist allerdings nicht ganz zutreffend. Eher handelt es sich um eine Übertragung, war es doch gerade nicht das Anliegen der 42 Autorinnen und zehn Autoren, eine möglichst getreue Wiedergabe der hebräischen, aramäischen und griechischen biblischen Texte zu liefern. Denn diese Texte vom Volk Israel und der christlichen Kirche über drei Jahrtausende hinweg mündlich und schriftlich tradiert waren den Initiatoren gleich in mehrfacher Hinsicht suspekt geworden.

Die drei Jahrtausende währende Tradition ist den übersetzern suspekt

Dreh- und Angelpunkt des gelehrten Mißtrauens gegenüber den heiligen Schriften ist das Thema �Gerechtigkeit�. So vermi�t der �Herausgabekreis� zun�chst die g�ttliche �Geschlechtergerechtigkeit�. Da� die Bibel oft nur von �S�hnen Israels� und von �J�ngern� spreche, sei zwar eine �philologisch korrekte Wiedergabe� der biblischen Texte. Da die Bibel aber einer �patriarchalen Welt� entstamme, m�sse man fragen, ob die philologisch korrekte Wiedergabe auch sachlich die richtige sei. Keine Studentin m�sse sich heute mehr als Student einschreiben, und kein Politiker k�nne die W�hlerinnen �bergehen, hei�t es dazu in der Einleitung. Dementsprechend �sei es notwendig, jedesmal auf der Grundlage sozialgeschichtlicher Forschungen zu fragen, ob eine m�nnliche Bezeichnung auch Frauen umschlie�t und wie in unserer heutigen Sprache der betreffende Sachverhalt bezeichnet w�rde�. Wen wundert�s: Die �Tochter Zion�, die rund zwei Dutzend Mal � geschlechtlich einseitig � das Volk Israel im Alten Testament repr�sentiert, hat die sozialgeschichtlichen Forschungen ohne Blessuren �berstanden.

Gravierend wirkt sich derlei �Geschlechtergerechtigkeit� auf die �bersetzung des alttestamentlichen Gottesnamens aus, den das biblische Hebr�isch lediglich durch das Tetragramm �JHWH� darstellt und den Martin Luther � in gr��tm�glicher Analogie zum �Herrn� (kyrios) Christus im Neuen Testament � schlicht mit �Herr� �bersetzte. An seine Stelle tritt nun eine Vielzahl von Bezeichnungen, die die �einseitig androzentrische� �bersetzung des Gottesnamens aufbrechen soll: der Ewige, die Ewige, Schechina (hebr�isch f�r �Wohnung Gottes�), Adonaj (hebr�isch f�r �Herr�), ha-Schem (hebr�isch f�r �der Name�), der Name, Gott, der Lebendige, die Lebendige, Ich-bin-da, ha-Makom (rabbinische Umschreibung Gottes), Du, Er Sie, Sie Er, der Eine, die Eine, der Heilige, die Heilige. So kann es passieren, da� Salomo im 1. K�nigsbuch �der Ewigen� jenen Tempel erbaut, den zuvor �Gott� im 2. Samuelbuch von David eingefordert hatte.

Neben der �Geschlechtergerechtigkeit� ist es die �Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-j�dischen Dialog�, die die Initiatoren der �Bibel in gerechter Sprache� umtrieb. Insbesondere f�r das Neue Testament sei in den letzten Jahrzehnten in gro�er Breite �aufgedeckt� worden, wie sehr dieses �auf j�dischem Boden entstandene Buch antij�disch und damit verzerrt� gelesen und �bersetzt worden sei.

Besonders bemerkbar macht sich diese Einsch�tzung in der Bergpredigt: Hatte Luther noch � der griechischen Vorlage folgend � die Z�sur herausgestellt, die die Bergpredigt f�r das religi�se Umfeld Jesu bedeuten mu�te (�Ihr habt geh�rt � Ich aber sage euch ��), so entlarvt die gerechte Bibel nun dessen Verk�ndigung als blo�e innerj�dische Schulmeinung: �Ich lege euch das heute so aus �� Da� die Bergpredigt keineswegs nur auf die j�dische Umwelt Jesu wirkte, sondern seit 2000 Jahren zu den Grundtexten des christlichen Glaubens geh�rt, ahnt man bei dieser Art ��bersetzung� freilich nicht.

Schlie�lich hat auch die Sorge um die soziale Gerechtigkeit in den biblischen Texten den ��bersetzerInnen� die Feder gef�hrt. Vieles von den �sozialen Auseinandersetzungen�, aus denen die Bibel erwachsen sei, wird nach Ansicht der Herausgeber verstellt. So etwa, wenn das hebr�ische Wort rascha, das �belt�ter bezeichnet, mit dem Begriff �Gottlose� wiedergegeben wird, �als ginge es um Atheismus oder um Unglauben�. Da reibt man sich denn doch die Augen: Wird nicht umgekehrt ein Schuh draus? Da� n�mlich die Bibel nicht prim�r aus �sozialen Auseinandersetzungen�, sondern aus Glaubenserfahrungen erwachsen ist? Und da� im Lichte dieser Glaubenserfahrungen, gewisserma�en �vor Gott�, ein �belt�ter nicht in erster Linie als Sozialfall in den Blick kommt, sondern als jemand, der Gottes Gesetz gebrochen hat � und also, zumindest nach j�dischem Verst�ndnis, ein �Gottloser� ist?

Die �Bibel in gerechter Sprache� erhebt, so hei�t es in der Einleitung, nicht den Anspruch, da� sie ��gerecht� ist, andere aber ungerecht� seien. Die Logik dieser Argumentation erschlie�t sich nicht. Welchen Sinn sollte eine �Bibel in gerechter Sprache� haben, wenn nicht den, anderen, �ungerechten� �bersetzungen diese �gerechte� gegen�berzustellen? So vermag der diplomatische Ton der Herausgeber auch nicht dar�ber hinwegzut�uschen, da� sich die �Bibel in gerechter Sprache� mitunter handfesten Ungerechtigkeiten verdankt. Die gr��te d�rfte der mutwillige Eintrag von Anachronismen sein, die der biblischen Umwelt v�llig fremd sind: Wenn es im Matth�usevangelium in der �bersetzung Luthers etwa hei�t �Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharis�er� (23,2), lesen wir nun in der �Bibel in gerechter Sprache�: �Auf dem Stuhl des Mose sitzen Toragelehrte und pharis�ische Leute.� Leute? Bis zum Vorabdruck stand hier noch �M�nner und Frauen�, und letztere hat es auf dem Stuhl Moses� bekanntlich nie gegeben. Das geschlechtsneutrale Wort �Leute� verr�t aber, da� der semantische R�ckzug nur halbherzig erfolgte.

Ans Eingemachte geht es, wenn die �bersetzer an der Trinit�t Gottes aus Vater, Sohn und Heiligem Geist r�tteln. Genau das geschieht, wenn Gott in der ber�hmten Verkl�rungsszene nicht mehr aus der Wolke sprechen darf �Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe�, sondern lediglich: �Dieses ist mein geliebtes Kind, ihm geh�rt meine Zuneigung� (17,5). Nun steht im griechischen Original aber ganz unzweideutig �Sohn� (hyios), so da� die �bersetzung mit dem geschlechtsneutralen Wort �Kind� nichts anderes ist als eine Verf�lschung des biblischen Textes aus gesellschaftspolitischem Kalk�l.

Von einem Verst�ndnis der Bibel als �heiliger Schrift� ist derlei �bersetzungspraxis freilich weit entfernt. Das eigentlich Groteske an dieser �Bibel in gerechter Sprache� ist aber, da� sie zahllose Eingriffe in die Urkunde des Christentums unternimmt, um dadurch einer Religion gerecht zu werden, f�r die vergleichbare Eingriffe � v�llig zu Recht � undenkbar w�ren. Nicht nur, da� im j�dischen Gottesdienst die Tora kultisch verehrt und in fehlerfreiem Hebr�isch rezitiert werden mu�, jeder Heranwachsende wird in die Grundlagen dieser als heilig empfundenen Sprache eingef�hrt. Dieselben gesellschaftspolitischen Kr�fte, die hierzulande unabl�ssig dazu aufrufen, die Fremdheit anderer Kulturen wahrzunehmen und auszuhalten, scheitern bereits an den fremdgewordenen Grundlagen der eigenen Kultur.

Von einem Verst�ndnis der Bibel als �heiliger Schrift� ist keine Rede mehr

Der Protestantismus steht an einem historischen Wendepunkt. Das �Sola scriptura� (�Allein die Schrift�) Luthers, hineingerufen in eine christlich dominierte Umwelt, produziert unter s�kularen Bedingungen Absurdit�ten zuhauf. Gerade f�r den Protestantismus ist es deshalb von existentieller Bedeutung, in Erziehung, Bildung und �ffentlichem Leben auf ein Umfeld hinzuwirken, in dem das Verst�ndnis biblischer Texte wieder gelingen kann. Solange die evangelische Kirche jedoch die Bibel der ideologischen �berfremdung preisgibt, bleibt sie sich und uns allen die �berlieferung schuldig, der wir uns verdanken.


Guten Gewissens
Kirchenoffi zielle spendeten nur �privat� f�r die �Bibel in gerechter Sprache�
Sabrina Moritz

Die Frage, wie die �Bibel in gerechter Sprache� finanziert werden k�nnte, hat unter anderem die Synoden evangelischer Landeskirchen besch�ftigt. So lag bereits im Juli vergangenen Jahres der Synode der Evangelischen Kirche in W�rttemberg ein Antrag vor, wonach das Projekt durch die Amtskirche finanziell gef�rdert werden sollte. Bevor die Synode eine Entscheidung traf, wollte sie sich jedoch vergewissern, ob das alles seine Richtigkeit habe mit dieser Bibel und beauftragte den Theologischen Ausschu� der Landeskirche, zu dem Projekt Stellung zu nehmen. Dem Theologischen Ausschu� aber war die Sache wohl zu hei�, und so bat er seinerseits die W�rttembergische Bibelanstalt sowie Vertreter der T�binger theologischen Fakult�t um Rat. Deren Urteil mu� denn auch eindeutig gewesen sein, �u�erten sie sich doch �dezidiert kritisch� und bezeichneten den Umgang mit dem Gottesnamen im Alten und der Trinit�t Gottes im Neuen Testament als �problematisch�.

So instruiert durch Bibelwerk und Fakult�t, konnte nun auch der Theologische Ausschu� guten Gewissens vor die Landessynode treten. Die �inhaltliche W�rdigung� der �Bibel in gerechter Sprache� sei ja nicht Aufgabe des Ausschusses gewesen, so ein Sprecher, und prinzipiell sei es auch zu begr��en, �wenn die heilige Schrift immer neu und kr�ftig gelesen wird�. Eine finanzielle Unterst�tzung des Projektes m�sse der Theologische Ausschu� aufgrund der von Bibelwerk und Fakult�t vorgebrachten Bedenken aber ablehnen. Ganz ausdr�cklich wolle man aber � nun allen von Bibelwerk und Fakult�t ge�u�erten Bedenken zum Trotz � auf die �M�glichkeit privater Spenden� hinweisen.

Von dieser M�glichkeit haben denn auch viele Gebrauch gemacht: Von Bisch�fen (Margot K��mann, Hannover; B�rbel Wartenberg-Potter, Nord-elbien; Ulrich Fischer, Baden) und Kirchenpr�sidenten (Peter Steinacker, Hessen-Nassau) bis hin zur Kirchenvolksbewegung �Wir sind Kirche�, der ��kumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche�, der �Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag� und vielen anderen.

Die evangelische Kirche hat unterdessen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die �Bibel in gerechter Sprache� konnte erscheinen. Und Kirchenoffizielle k�nnen auch weiterhin guten Gewissens sagen, da� f�r diese Bibel keine kirchlichen Gelder geflossen seien.

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