Was hat der Süden?
von Wolfram Weimer
Nun auch noch die Elite-Universitäten. Deutschlands Süden hat sie, der Norden nicht. Warum boomen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen? Ihr Erfolsgeheimnis ist nicht politischer oder zufälliger, es ist kultureller Natur
Nun auch noch die Elite-Universitäten. Deutschlands Süden hat sie, der Norden nicht. Wie so vieles. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen boomen, während sich der Norden und Osten mit allem quälen. Wohlstand? Wirtschaftswachstum? Forschung? Bildung? Staatsfinanzen? Alles, ja selbst die Bäckereien und Buchhandlungen sind im Süden einfach besser. Aber warum eigentlich? Ist doch der Süden keineswegs die Heimstatt der protestantischen Arbeitsethik, wie sie Max Weber als Urquell kapitalistischen Erfolges beschrieben hat. Er wird auch von Natur und Ressourcen ebenso wenig begünstigt wie durch zeithistorisch vorteilhafte Entscheidungen der Machtpolitik. Noch 1960 lag Bayern weit hinter dem Bundesdurchschnitt im Pro-Kopf-Einkommen, heute weit davor. Warum überholt der Süden?
Ronald Pofalla hat eine Antwort, und die heißt Unions-Regierungen. Was einerseits der überschaubaren Gestaltungsmacht von Landesregentschaften schmeichelt, andererseits übersieht, dass der Erfolg des Südens über die Grenzen Bayerns und Baden-Württembergs hinausgeht. Denn auch die Schweiz und Österreich hängen den deutschen Norden inzwischen klar ab. Nur – dort regieren gerne mal die Sozialdemokraten.
Auch Oskar Lafontaine hat eine Antwort namens Wiedervereinigung. Der Osten sei eben statt zur blühenden Landschaft zur mühenden Bekanntschaft geworden, das lasse den fernen Süden besser dastehen. Ein zweiter Blick entlarvt auch das. Denn selbst auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik ist der Norden deutlich schwächer als der Süden. Und sogar in Ostdeutschland entpuppen sich Thüringen und Sachsen als die neuen – Achtung Standortdeutsch – „Powerhäuser“, „Leuchtturmregionen“, „Wachstums-Cluster“: typische Südstaaten eben.
Das Erfolgsgeheimnis des Südens ist nicht politischer oder zufälliger, es ist kultureller Natur.
Ob Bayern oder Thüringer, ob Schweizer oder Sachsen, ob Schwaben oder Tiroler – sie eint etwas ganz anderes als Konfession, Regierungspartei, Begünstigung der Weltläufte oder Bodenschätze. Sie alle sind geborgen in dichten Sozialstrukturen, in tradierten Denk- und Verhaltensweisen, in einer mittelständisch geprägten Leistungs- und Wettbewerbsethik. Sie alle haben sich den Erfolg aus eigener Kraft erarbeitet. Sie wissen um sich selbst. Kurzum: Sie haben Identitäten und damit ein kollektives Kleid des Selbstbewusstseins. Das Ethos des Machens erwächst aus der Gewissheit des Seins.
Je schneller sich das Globalisierungskarussell dreht, desto mehr erweist sich der gefestigte kulturelle Unterbau einer Region oder Gesellschaft als Kraftquell und Halt. Die Fasson eines verwurzelten, selbstbewussten Bürgertums ist das entscheidende Erfolgskriterium. Im albernen Werbespruch von „Laptop und Lederhose“ steckt daher eine tiefere Wahrheit, die schon der Philosoph Odo Marquard mit „Keine Zukunft ohne Herkunft“ umschrieben hat.
Eine Gesellschaft, die umgekehrt um ihren kulturellen Boden nicht weiß, kann nirgendwo zum Sprung ansetzen. Das Gebiet des alten Preußen zum Beispiel ist kulturpsychologisch weithin amorph, seine Bevölkerung wirkt durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts in ihren Identitäten entwurzelt. Die Gezeiten der Geschichte haben Preußen nicht nur zerstört, sondern auch eine posthume Gesellschaft der Selbstentfremdung hinterlassen.
Die innere Mobilisierung der Begabungsreserven, die Kultivierung des Zivillebens, die autonome Kraft von „Selbst-Ständigen“ (und nicht „Betreuten“ des Staates, Schelsky) ist hier weiträumig gebrochen.
„Die Sitten sind für den Geist und Leistung, was Kleider dem Leibe sind“, fand schon Ludwig Börne zutreffend. Sittlich und kulturell entkleidete Landstreifen haben es also unendlich schwieriger, aus gewachsenen Strukturen neue Blüten der Leistung zu treiben. Wer sollte die Leistungsethik tradieren, warum, woher und mit welchem programmatischen Vektor wohin, da doch der soziale Versorgungsstaat längst die Bürgerstruktur entmachtet hat?
Die Frage nach Standortpolitik und Wirtschaftsentwicklung ist demnach häufiger kulturell zu beantworten als durch Masterpläne der Regionalförderung. Man kann es im Baskenland und in Katalonien, in Irland oder in Finnland, in den selbstbewussten Regionen Norditaliens ebenso beobachten wie in Bayern oder Sachsen – die motivierende und kulturelle Kraft von tradierter Identität, Zusammenhalt und selbstbewusstem Bürgertum. Von Ricarda Huch stammt die Beobachtung, dass Tradition „gesiebte Vernunft des gesamten Volkes aus einem Jahrhundert ins andere“ sei. Diese in Tradition geborgene Vernunft haben Landstriche oder sie haben sie nicht. Der Süden hat sie.
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