Perspektivlosigkeit
Alle spüren es, keine will es wahr haben - den Menschen sind die Hoffnungen auf die Zukunft, die Perspektiven und existenziellen Herausforderungen abhanden gekommen. Einige haben materiell ausgesorgt und bilden sich ein, so auch im Zustand der Perspektivlosigkeit ganz gut leben zu können. Doch wenn man sich die Diskurse der Ausgesorgt-Habenden ansieht, entpuppt sich das schnell als Trugschluss - und dem geistigen Bankrott wird der wirtschaftliche folgen, weil man gerade im von den Ausgesorgt-Habenden als vorteilhaft angesehenen Kapitalismus gezwungen ist, immer Neues zu schaffen.
Bei der Mehrheit, die von dem System nicht mehr profitiert, verschlimmert die Perspektivlosigkeit die existenzielle Misere. Weil man keine Herausforderungen und Ziele mehr hat, ist man nicht ausgelastet, demotiviert und macht sich ggfs. im alltäglichen Kleinkrieg das Leben schwer.
"to the stars!"
Ich selbst kann mich noch gut an die 1970er Jahre erinnern, als zumindest für einen Teil der Menschen Raumfahrt Bestandteil ihrer Zukunftshoffnungen war. Hoimar von Dithfurt präsentierte damals im westdeutschen Fernsehen das Modell eines Marsraumschiffes, das so in den nächsten Jahrzehnten hätte gebaut werden können.
Eine Lehrerin meinte damals, dass wir uns in unserer Klasse sehr für Weltraum interessieren würden.
Raumfahrt als Teil der Zukunft war aber schon in der Weimarer Zeit präsent. Wernher von Braun und die anderen Raketenbauer jener Zeit wollten schon damals zum Mars fliegen und in einem Roman von Klaus Mann aus der Zeit unterhielten sich die Protagonisten ganz selbstverständlich darüber, dass es irgendwann Städte im All geben werde.
Doch 1933 kam ein gewisser Herr aus Braunau an die Macht und er entschied, dass es wichtiger sei, die Probleme auf der Erde äh endzulösen :rolleyes: - mit bekannten Folgen. Die Raketen des Herrn von Braun flogen nicht zum Mars, sondern allenfalls bis London :rolleyes:
Auch in den 1970ern gab es Kritik an der Raumfahrt. Was nützt der Händedruck im All zwischen Amis und Russen etwa den Afrikanern? Ich selbst war um 1980 bei den Grünen aktiv und hatte einige Jahre nur wenig Interesse an Raumfahrt. Doch als ich bei meinen ersten schriftstellerischen Gehversuchen am Konzept einer lebenswerten Welt arbeitete, sah ich Raumfahrt als integralen Bestandteil davon an und dabei ist es bis heute geblieben.
So wenig unmittelbaren Nutzen etwa die Afrikaner davon hatten, dass sich im Erdorbit eine US-amerikanische und eine sowjetische Raumkapsel aneinander koppelten, so groß dürfte auch für sie langfristig der Schaden davon sein, dass die Menschheit derzeitig weitgehend auf Raumfahrt verzichtet.
Allgemein gesprochen: Raumfahrt und die Begeisterung für den Weltraum erspart den Menschen nicht aus anderen Ursachen herrührende beschissene Momente, doch sie sorgt dafür, dass diese weniger werden.
neue Perspektiven
Angesichts der derzeitigen Perspektivlosigkeit neige ich fast dazu, frei nach John F. Kennedy (auf zum Mond!) ein Raumfahrtprogramm in großem Maßstab aufzulegen, um den Menschen wieder eine Herausforderung* zu bieten. Der Weltraum gehört niemandem, auf den anderen Himmelskörpern ist keine Umwelt da, die wir versauen können, und es gibt massenhaft Platz und Rohstoffe.
Falls irgendwelche Deppen dort unbedingt Krieg spielen müssen, können sie das tun, ohne Dritte hineinzuziehen, doch einen Zwang dazu gibt es nicht. Es ist genug von allem da, da braucht man sich um nichts zu streiten. Menschen, denen es auf der Erde zu eng wird, können ins All auswandern und fallen nicht mehr der irdischen Biosphäre zur Last.
Neben dem Nutzen an sich der Raumfahrt gibt es noch die spin-offs, die IMHO ebenso wichtig sind. So halte ich die aus dem Mangel an Herausforderungen resultierenden individuellen und gesamtgesellschaftlichen Verfallserscheinungen für so gravierend, dass sie schon allein ein Raumfahrtprogramm geboten erscheinen lassen.
Auch ein der BRD folgendes System käme um so eine existenzielle Herausforderung nocht herum. Den Menschen zu sagen, sie sollen ihre Probleme auf der Erde lösen blah blah blah reicht allein nicht aus. Der Verzicht auf Raumfahrt macht die Menschen eben nicht friedlich und selbstgenügsam, sondern führt dazu, dass sich die vorwärts, nach außen drängenden Affekte gegeneinander richten und zur Selbstzerstörung führen.
Die Rechten hätten nach ihrer Machtübernahme so schöne Dinge wie deutsche Atomwaffen und Krieg mit Polen um die ehemaligen Ostgebiete als Herausforderung zu bieten. Klasse, ganz klasse, um Regionen Krieg zu führen, wo man als Deutscher heute an der Grenze durchgewunken wird und sich meines Wissens auch ohne große Probleme niederlassen kann. Ist natürlich ungemein zukunftweisend :rolleyes: und wird uns die nächsten tausend Jahre alle Herausforderungen geben, die wir brauchen
Die Linken, von denen viele Raumfahrt-Muffel sind, würden zwar auf revanchistischen Dummfug verzichten. Sie würden die Verwüstungen beheben, welche die Neoliberalen und das Kaputt-Sparen hinterlassen haben, doch damit vielleicht an einem toten Punkt gelangen. So nach dem Motto - materiell geht es zwar allen gut, aber die Leute hängen durch. Jene Kombination aus Wohlstand und Desinteresse, die schon heute bei den Ausgesorgt-Habenden zu beobachten ist, würde in ihrem System vielleicht der ganzen Gesellschaft zu schaffen machen. Endzustand: man geht mit der Gasmaske zum Grillfest, um sich vor den schädlichen Dämpfen der Holzkohle zu schützen.
So kämen die Genossen, wie schon Chruschtschow mit dem Sputnik und Gagarin, nicht darum herum, den Menschen neue, aufregende, sie fordernde und auslastende Herausforderungen zu bieten.
*ergänzt durch erdgebundene Vorhaben für Raumfahrt-Muffel