GESCHEITERTE INTEGRATIONSPOLITIK
30 verlorene Jahre
Von Anna Reimann
Schon 1976 warnte das Bundesministerium für Arbeit eindringlich vor den Folgen "einer völlig unzureichenden Integration von Ausländern". Wie kann es sein, dass die Politik 30 Jahre geschlafen hat, fragt Stefan Luft in seinem Buch "Abschied von Multikulti", das er heute in Berlin-Neukölln vorstellte.
Berlin - Stefan Luft, ein kleiner runder Mann mit Goldrandbrille, ist nach Berlin-Neukölln gekommen, um Schlimmeres zu verhindern. Er sei ein konservativer Mensch, es gehe ihm nicht um Umstürze. "Aber Katastrophen müssen vermieden werden", sagt Luft. Wenn sich nichts ändere, dann drohten uns hier "französische Zustände", sagt der Wissenschaftler und meint die gescheiterte Integrationspolitik in Deutschland.
SPIEGEL ONLINE
Quartiersmanager Gilles Duhem, Wissenschaftler Stefan Luft und Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky: "Abschied von Multikulti"
In der Helene-Nathan-Bibliothek in einem Neuköllner Einkaufszentrum, mitten in der "ethnischen Kolonie", wie Luft sagt, sind alle Stühle besetzt, etliche Besucher müssen stehen. Das, was Luft hier zu sagen hat, hat große Sprengkraft und Aktualität. "Dieses Thema ist die Existenzfrage unserer Gesellschaft", sagt Heinz Buschkowsky (SPD), Deutschlands wohl berühmtester Bezirksbürgermeister. In seinem Bezirk Neukölln haben sich in den vergangenen Monaten die öffentlichkeitswirksamsten Zwischenfälle ereignet - der Eklat um die Rütli-Schule zum Beispiel. Viele Zuwanderer leben hier, die soziale Situation ist schlecht. Neukölln, mit über 300.000 Einwohnern so groß wie eine mittelgroße deutsche Stadt, gilt als Problembezirk der Republik.
"Abschied von Multikulti" heißt das Buch, das Stefan Luft geschrieben hat und das er heute hier vorstellt. Auf 454 Seiten hat der Politikwissenschaftler von der Universität Bremen die Geschichte der Integration in Deutschland untersucht. Er hat über die Bedingungen, unter denen Gastarbeiter nach Deutschland angeworben wurden, geschrieben, über die Bevölkerungspolitik und die Entstehung "ethnischer Kolonien", die Bildungspolitik der siebziger Jahre bis hin zur heutigen "Bildungskatastrophe". Die bisherige Integrationspolitik habe die Zuwanderer in "ethnische Kolonien" verfrachtet und "die Gräben zwischen zugewanderten Gruppen und Einheimischen verbreitert", sagt Luft. Stadtteile, in denen viele Migranten mit geringer Bildung leben, hätten sich zu "Sackgassen" und "Mobilitätsfallen" entwickelt. Und er warnt: "Auf Dauer werden sich die chancenlosen Jugendlichen aus Migrantenfamilien nicht marginalisieren lassen". Wenn man signalisiere "wir brauchen euch nicht", müsse man sich auch über Gewalt nicht wundern.
Lufts Buch ist das erste wissenschaftliche Werk, das sich so umfassend mit der Geschichte der gescheiterten Integration in Deutschland befasst, Ursachen ausmacht, Historisches mit aktueller Analyse verknüpft - und Auswege bietet und fordert: "Wege aus der Integrationskrise" heißt das elfte und letzte Kapitel des Buches.
Weiteres und Quelle: [Links nur für registrierte Nutzer]
Die Gemeinde der Kritiker versammelt sich, wie es scheint. Und nun wohl mit einem durchdachten wissenschaftlichen Buch. Normaler Weise sollte man alle an der Missere beteiligten Politiker auffordern sofort zurückzutreten ohne Pensionen und Ausgleichzahlungen, Abfindungen und andere Zahlungen. Die dabei gesparten Gelder könnten wir gut für die zukünftig hoffentlich stattfindende Integrationspolitik einsetzen. Was glaubt ihr ? Geht der Trend zur Kritik weiter, oder verfallen die Politiker nach einem kleinen Sturm wieder in Aphatie und Schlafneurose ?
Lg
esperan