Die ›ferngelenkten Körper ‹, allgemein kurz ›FK‹ genannt, gehörten zu
den bedeutendsten deutschen Erfindungen und Entwicklungen des
letzten Krieges. Ab Frühjahr 1943 waren FX und HS 293 fronteinsatzbereit,
doch der mögliche zeitgerechte Einsatz dieser neuen Waffen
wurde durch einflußreiche Persönlichkeiten in der Luftwaffenführung
zunächst verboten, da sie angeblich aus Geheimhaltungsgründen
von Hitler nicht freigegeben worden waren. Der mit der Vervollkommnung
der Fernlenkwaffen beauftragte Oberst der Kampfflieger
Werner Baumbach hatte immer wieder gegen »Unverstand und Kurzsichtigkeit
« der zuständigen Personen in hohen Ämtern Sturm laufen
müssen, nur um immer wieder Absagen und Rückschläge hinnehmen
zu müssen.
So war beispielsweise im Winter 1942 ein Teil der wertvollen FK Erprobungsflugzeugedes Typs He 111 zur Luftversorgung der Festung
Stalingrad abgezogen und dort verloren worden, und kaum,
daß die Frontverwendungsfähigkeit der Waffen gegeben war, "vergaß"
jemand, den für ihre Produktion ausreichenden Fabrikraum zur
Verfügung zu stellen.
Als dann im Sommer 1943 die ersten FK nach langer Verzögerung
im Kampf doch noch verwendet wurden und fast sensationelle Erfolge
unter schwierigsten Einsatzbedingungen erzielten, geschah das Unglaubliche:
Hochstehende Luftwaffenangehörige unterließen die Weitermeldung
der mit der neuen Lenkkörperwaffe erzielten Versenkungserfolge
an die oberste Führung. So mußte Reichsmarschall
Göring erst, als es schon viel zu spät war, von Oberst Baumbach mit
einem Film extra davon überzeugt werden, daß das italienische
Schlachtschiff ›Roma‹ mit FX versenkt worden war.
Vor der Normandieinvasion waren dennoch Tausende FK einsatzfähig,
und mit einer Erfolgsquote von 40 Prozent Volltreffern im
kriegsmäßigen Einsatz trotz völliger gegnerischer Luftüberlegenheit
hätten sie eine große Gefahr für die allgegenwärtigen alliierten Schiffe
dargestellt.
Verantwortliche in der Luftwaffenführung sorgten jedoch dafür, daß
der FK-Vorrat wegen der ›überall möglichen Invasionsgefahren‹ auf
Depots von Norwegen bis Südfrankreich verteilt wurde und daß die
Befehlshaber der Kriegsschauplätze über diese neue Waffe, die innerhalb
ihres Bereichs, abseits von anderen Abwurfwaffen, für einen Einsatz
gelagert wurde, nicht informiert werden durften. Dies erscheint
um so widersinniger, als den Alliierten bereits am 27. September 1943
bei der Einnahme des Luftwaffenparks von Foggia (Süditalien) noch in
Kisten verpackte Geheimwaffen FX und HS 293 in die Hände gefallen waren.
Auch hatte ›jemand‹ im Vorfeld der Landung dafür gesorgt, einen
Großteil der Flugzeuge, die vollkommen für den Abwurf der Lenkbomben
FX oder HS 293 ausgerüstet waren, für Vergeltungsangriffe
auf London umzurüsten, so daß es im Sommer 1944 nicht einmal
mehr möglich war, den Luftwaffeneinheiten, die noch mit den Präzisionswaffen
im Einsatz standen, auch nur Übungsflugzeuge zur Verfügung
zu stellen.
Obwohl rund 4000 FK hergestellt wurden, blieben auch die Lenkwaffen
an den Einsatzflugplätzen Mangelware. So verfügte das KG
100, das die Hauptlast des FK-Einsatzes trug, vom 1. bis 10. August
1944 gerade über 79 geladene FK.
Tatsache bleibt, daß die Deutschen etwa gleich viele Präzisionswaffen
zur Verfügung hatten wie die USA im ersten Golfkrieg. Nur,
sie verwendeten sie im Unterschied zu den Amerikanern kaum gegen
ihre Gegner.
Obwohl es am 4. August 1944 einer Do 217 des KG 100 mit einer
der wenigen eingesetzten HS 293 gelungen war, die wichtige Brücke
von Pontaubault bei Nacht mit einem einzigen Gleitbombentreffer zu
zerstören, befahl Hermann Göring kurz darauf, »jede weitere Beschäftigung
mit den ferngelenkten Körpern sofort einzustellen und fertige
Waffen zu zerstören«. Es dürfte sicher sein, daß Göring nicht darüber
informiert war, daß durch den Treffer der HS 293 der für die deutschen
Verteidiger so verhängnisvolle Vormarsch der 6. US-Panzerdivision
für kurze Zeit aufgehalten wurde.
In ihrer Verzweiflung über diesen widersinnigen Befehl wandte sich
am 15. August 1944 eine Gruppe Rechliner Ingenieure an den Reichsführer
SS Heinrich Himmler, um auf die »vielleicht kriegsentscheidende
Bedeutung dieser neuen Waffe« hinzuweisen. Sie kamen zu spät,
denn der größte Teil der ferngelenkten Körper war zu dem Zeitpunkt
bereits verschrottet oder gesprengt worden. Ist es nicht auffällig, wie
schnell in diesem Fall einem Befehl Göringss Folge geleistet wurde
Der gut informierte Oberst Buch gab in seinem Buch - Zu spät?
hochstehenden Leuten in der Umgebung Göringss dann auch die
Schuld, den Reichsmarschall nicht, zu spät oder falsch über die FK
und andere erfolgversprechende Waffen informiert zu haben.
Auf Nachkriegsrechtfertigungen ihres sabotageähnlichen Versagens,
diese vorhandenen überlegenen technischen Möglichkeiten
der Luftwaffe weitgehend vorenthalten zu haben, erwiderte der integre
letzte Generalstabschef der Luftwaffe General Koller:
»Daher nicht Beschaffen der geeigneten Flugzeuge und Abschaffen der
ferngelenktenBomben?«
Der Luftwaffe wäre im Sommer 1944 ein ›Knopfdruckkrieg‹ gegen
die alliierten Schiffe vor der Normandie technisch möglich gewesen.
Er fand nie statt, weil ihn Verantwortliche bei der Luftwaffe nicht
wollten.