Zitat von
Waldgänger
Efna, m.E muss einiges klargestellt werden. Es ist ein grober Fehler die heidnischen Religionen als "naturreligiös" abzustempeln. Die Natur spielt zwar eine große Rolle, das ist allerdings nicht die Kernaussage des Heidentums, zumindest des europäischen Heidentums. Auch ist es mit einem dem Christentum vergleichbaren Aufruf nach totaler Egalität nicht vereinbar.
Im Heidentum ist das Glück der Macht niemals entgegengesetzt; es steht aber auch nicht im Gegensatz zur Gerechtigkeit. Wenn das Heidentum die Erhöhung der Schwäche verurteilt, beabsichtigt es in keiner Weise, die Unterdrückung der Schwachen durch die Starken zu rechtfertigen, auch nicht das ideologische Alibi für irgendwelche bestehenden Unruhen zu finden. Es will vielmehr dazu beitragen, den geistigen Rahmen zu bilden, kraft dessen jeder Mensch, gleich welcher Herkunft, das pflegen kann, was ihn bestärkt, und nicht das, was ihn auseinander nimmt - vorausgesetzt, dass er dazu gesonnen ist.
Es wirft dem Christentum keineswegs vor, die zu Unrecht unterdrückten Schwachen in Schutz zu nehmen. Es wirft ihm aber vor, die Schwäche zu erhöhen und darin das Zeichen für ihre Auserwählung sowie ihren Glorienschein zu sehen; es wirft ihm vor, sie nicht zu bestärken. Es geht also nicht um den Gegensatz zwischen Starken und Schwachen - heute übrigens ist das Heidentum schwach und der Monotheismus stark -, sondern vielmehr um den Gegensatz zwischen einem verstärkenden System und einem die Ohnmacht besiegelnden. Deshalb lautet der Wahlspruch der europäisch-heidnischen Moral stets: suum cuique und niemals Gleichheit für alle.
Es geht auch darum, aus der Welt nicht etwa ein Jammertal, ein Schattenspiel, eine Bühne zu machen, in denen der Mensch mit unterschiedlichem Glück um seine Seligkeit spielt, sondern das natürliche Selbstentfaltungsfeld - für einen Menschen, der aufgrund seiner behaupteten Selbstständigkeit dazu fähig ist, sich als seinen eigenen Entwurf zu bekennen.