Zitat von
Hayaser
Die Hamidije - Sturmabteilungen des Sultans
In dieser Situation musste das Eindringen bürgerlich-fortschrittlicher Ideen, vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dazu führen, dass die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung und nationaler Selbstbestimmung unter armenischen Intellektuellen laut wurde. Obwohl nur eine Minderheit die Vereinigung Türkisch-Armeniens mit dem russischen Teil Armeniens forderte, wurden die Armenier für den unter Verfolgungswahn leidenden Abdülhamit mehr und mehr zum roten Tuch. Die Niederlage des Osmanischen Reiches im russisch-türkischen Krieg 1877/78 brachte das Fass zum Überlaufen. Der Sultan, der die Überwachung und Bespitzelung seiner Untertanen zur Perfektion trieb, witterte hinter jeder auch noch so schwachen Regung armenischen Freiheitsstrebens Hochverrat, in jedem Armenier sah Abdülhamit einen russischen Agenten. Seine Angst galt dem möglichen Zusammenschluss der russischen und türkischen Armenier in einem eigenen armenischen Staat.
Geschickt nutzte der Sultan die traditionellen Gegensätze zwischen nomadisierenden Kurden und ackerbauenden Armeniern. Mit den von ihm geschaffenen Hamidije-Regimentern, einer nach dem Vorbild russischer Kosakeneinheiten aufgebauten kurdischen Kavallerie, schuf sich Abdülhamit 1891 eine Streitmacht, die vordergründig die türkisch-russische Grenze sichern sollte, deren eigentliche Aufgabe jedoch in der brutalen Unterdrückung und Verfolgung der Armenier bestand. Voll zum Einsatz kamen die Hamidije-Einheiten bei den Armeniermassakern von 1895 und 1896, die von der "Hohen Pforte" zentral organisiert wurden und bei denen über 100.000 Armenier den Tod fanden.
Bereits Jahrzehnte vor den Massakern hatte sich die Situation der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich massiv verschlechtert. Eine im Dezember 1876 zur Beschwichtigung der "europäischen Mächte" mit großem Pomp verkündete liberale Verfassung, die allen Bürgern die Grundrechte und freie Religionsausübung garantierte, setzte der Sultan schon 14 Monate später wieder außer Kraft.
Im Berliner Vertrag, dem Abschlussprotokoll des Berliner Kongresses (13. Juni bis 13. Juli 1878), der den Ausgangspunkt für die weitere Zerstückelung der Türkei und für die Entwicklung des Kampfes um das osmanische Erbe bildete, forderten die europäischen Mächte u. a. im Artikel 61 Reformen in Armenien durchzuführen: "Die hohe Pforte verpflichtet sich, ohne weiteren Zeitverlust die Verbesserungen und Reformen ins Leben zu rufen, welche die örtlichen Bedürfnisse in den von Armeniern bewohnten Provinzen erfordern, und für die Sicherheit derselben gegen die Tscherkessen und Kurden einzustehen. Sie wird in bestimmten Zeiträumen von den zu diesen Zwecke getroffenen Maßregeln der Mächte, welche die Ausführung derselben überwachen werden, Kenntnis geben."
Doch "obwohl sich Europa das Recht vorbehielt, die Einführung dieser Reformen zu überwachen, verschlechterte sich die Lage... mit jedem Jahr mehr und mehr und führte sogar mehrmals zu blutigen Aufständen, da die Durchsetzung der Reformen der Türkei selbst überlassen blieb", bemerkte Trotzki in einem zeitgenössischen Artikel. (1)
Die Intrigen der Großmächte haben entscheidend dazu beigetragen, jene Pogrome, Massaker, Kriege und Vertreibungen zu provozieren, denen im Verlauf von vier Jahrzehnten Millionen Angehörige nationaler Minderheiten - Armenier, Griechen, Serben, Albaner usw. - aber auch Türken zum Opfer fielen. (2) So führt eine direkte Linie von der Konferenz von Konstantinopel (Dez. 1876-Jan. 1877) und dem Londoner Protokoll (31. März 1877) über den russisch-türkischen Friedensvertrag von St. Stefano (3. März 1878), der die vollständige Kapitulation der Türkei bedeutete und dem Berliner Vertrag unmittelbar vorausging, zum Armeniermassaker von 1894-1896. (3) Alle von den Großmächten diktierten Verträge - von St. Stefano und Berlin (1878) bis hin zu Sèvres (1920) und Lausanne (1923) - hatten die imperialistische Unterjochung der Türkei zum Ziel und standen daher einer demokratischen Entwicklung diametral entgegen.
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