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Neutraler
Rommel als militärischer Führer
Rommel war zweifellos ein hervorragender taktischer Führer bis zur Ebene der Panzerdivision, was z.B. sein Durchbruch bei Dinant 1940 beweist.(1) Auch sein Buch aus dem ersten Weltkrieg "Infanterie greift an" kann heute noch fast wörtlich als Beispielsammlung für die Gefechtsausbildung verwendet werden.(2) Bei der Führung größerer Truppenverbände zeigte er jedoch erhebliche Schwächen, seine Führungseigenschaften werden hier durch manche Biographien in einer Weise glorifiziert, die in den Quellen nicht nachzuvollziehen ist. Rom-mel ist das beste Beispiel dafür, wie heute immer noch die Zweckpropaganda aus der Kriegszeit nachwirkt und sich nur wenige die Mühe machen, einmal die Fakten zu prüfen.
Als Auswahl aus einer Fülle von Belegstellen zu den Schwächen in Rommels operativer Führung mögen folgende Beispiele genügen:
Rommel war nicht in der Lage zu erkennen, daß seine aus einer örtlich günstigen Lage heraus gestarteten Aktionen in Nordafrika nicht in Übereinstimmung mit der Gesamtkriegsplanung des Dritten Reiches standen und außerdem die logistischen Möglichkeiten des Nachschubs über das Mittelmeer überforderten. Rommel konnte oder wollte Hitlers Strategie nicht begreifen, der sich zunächst aus guten Gründen nicht stärker in Nordafrika engagieren wollte, da sein Hauptaugenmerk auf die Niederwerfung der Sowjetunion gerichtet war.
Eine Abstimmung der Operationsführung in Nordafrika mit der Gesamtkriegsplanung ist nur sporadisch und meist viel zu spät erfolgt. Anscheinend konnte oder wollte niemand aus der Obersten Wehrmachtsführung Rommel in die gebotenen Schranken weisen. Dabei mag auch die künstlich gesteigerte Popularität des "Wüstenfuchses" eine Rolle gespielt haben, einen vordergründig erfolgreichen Truppenführer wollte man nicht in den Arm fallen, auch wenn dieser ständig eigentlich vermeidbare Probleme verursachte.(3)
Durch seine eigenmächtigen Aktionen brachte er die Wehrmachtsführung immer wieder in größte Schwierigkeiten, da man aufgrund seiner örtlichen Erfolge, die man propagandistisch ausnutzen wollte, versuchen mußte, im zusätzliche Truppen und erheblich mehr Nachschub als ursprünglich geplant zukommen zu lassen. Truppen und Waffen fehlten dann in Rußland, zudem band das Nachschubproblem immense Kräfte, sowohl der deutschen Luftwaffe wie auch der italienischen Marine. Der Seeweg über das Mittelmeer konnte nie wirklich sichergestellt werden, zeitweise waren doppelt so viele Kriegsschiffe bei der Sicherung der deutsch-italienischen Konvois eingesetzt, wie in diesen Geleitzügen Transportschiffe fuhren. Das Extrembeispiel ist der am 5.1.1942 in Tripolis eintreffende Konvoi: Zur Begleitung von nur 6 Frachtschiffen mußten alle vier einsatzbereiten italienischen Schlachtschiffe, dazu 2 Schwere und 2 Leichte Kreuzer, 9 Zerstörer und Torpedoboote, sowie zahlreiche Flugzeuge herangezogen werden, um angesichts der ungebrochenen britischen Seeherrschaft im Mittelmeer mit einiger Aussicht auf Erfolg durchzukommen.(4) Ein solcher Aufwand bei der Sicherung von Versorgungsgeleiten war auf Dauer nicht machbar, da der italienischen Marine kaum mehr Treibstoff-Reserven zur Verfügung standen und auch deutscherseits hier keine Unterstützung erfolgen konnte.(5)
Rommel weigerte sich auch später beharrlich, die rüstungswirtschaftlichen und logistischen Probleme des Reiches zur Kenntnis zur nehmen, wenn er dadurch seine Planungen beeinträchtigt sah. Obwohl ihm seit Sommer 1941 die Fragilität des Nachschubweges über das Mittelmeer bekannt war, obwohl er in mehreren Besprechungen beim OKH eindringlich auf den Vorrang des Feldzuges in Rußland hingewiesen worden war, verlangte er im Sommer 1942 die "Zuführung von 2 Stellungsdivisionen mit reichlich Pak und Pionierkräften". Weiter forderte er die Zuführung von Panzern, Schützenpanzerwagen, 10 Batterien Flak, 5 Batterien 10-cm Kanonen, 100 Pak und "zunächst" 1000 LKW. Da der Seeweg wieder einmal nicht gesichert war, sollten nach seinem Wunsch weitere 200 Pak sofort mit Lastenseglern nach Afrika überflogen werden.(6) Das diese Vorstellungen angesichts des gerade angelaufenen Sommerfeldzuges in Rußland Träume bleiben mußten, braucht nicht besonders betont zu werden. Rommel hat diesen berechtigten Widerstand des OKH gegen seine Forderungen nie begriffen. Sein Ehrgeiz machte es ihm schwer, sich damit abzufinden, daß es seine Aufgabe war, auf einem Nebenkriegsschauplatz die einmal erkämpften Positionen zu halten.
Rommel neigte in manchen Fällen dazu, seine Gegner zu unterschätzen und hielt stur an einmal getroffenen Lagebeurteilungen fest, obwohl diese durch neue Meldungen überholt waren. Dieses Verhalten führte zu vermeidbaren Verlusten. Es wurde vor allem dann zum Nachteil, wenn sich ein Angriff festgefahren hatte oder ein Gegenangriff eines überlegenen Gegners drohte, bei dem Rommels unbestreitbares Talent für Überraschungen und Täuschungen sich nicht auswirken konnte, weil das Gesetz des Handelns beim Gegner lag. Dabei wird deutlich, daß auch ein Rommel genauso leichtsinnig mit dem Leben der ihm unterstellten Soldaten umging, wie andere Kommandeure.
Ein Beispiel für die völlige Fehleinschätzung der Lage durch Rommel ist der erste Angriff im April 1941 auf die von 24.000 Mann mit starker Artillerieunterstützung verteidigte Festung Tobruk. Nicht nur, daß er es unterließ, sich bei seinen italienischen Verbündeten über die ja ursprünglich von den Italienern erbauten Befestigungsanlagen zu unterrichten, auch der handstreichartige Angriff war dilettantisch geplant. Hier setzte er lediglich das Maschinengewehrbataillon 8, unterstützt durch 25 Panzer und 10 Pak-Selbstfahrlafetten an. Nun hat ein Maschinengewehrbataillon zwar eine immense Feuerkraft in der Verteidigung, ist aber für Angriffshandlungen aufgrund seiner Gliederung und Ausstattung herzlich wenig geeignet. Der Angriff scheiterte dann auch vorhersehbar, ebenso wie der am nächsten Tag hastig und ohne sorgfältige Aufklärung angesetzte Vorstoß der 5. leichten Division. Die deutschen Verluste betrugen über 1200 Mann, angesichts der damals noch geringen Stärke des DAK von kaum einer Division ein kaum zu verkraftender Aderlaß.(7) Obwohl die besser ausgerüsteten und ausgebildeten deutschen Verbände gescheitert waren, trieb Rommel dann auch noch die weitaus weniger kampfkräftigen Italiener gegen die britischen Stellungen, um ein drittes Mal zu scheitern und einen erfolgreichen britischen Gegenstoß nur mit Mühe abwehren zu können. Als Fazit bleibt: Obwohl Stärke und Kampfkraft von Tobruk bekannt waren, wurde jedes vor der Festung eintreffende Bataillon nacheinander zum Angriff angesetzt und kam natürlich nicht durch. So war schließlich jeder deutsche und italienische Verband vor der Festung angeschlagen und nur noch begrenzt einsetzbar.(8)
Nach diesem gescheiterten Handstreich auf Tobruk rief Rommel wieder um Hilfe und stellte angesichts des bevorstehenden deutschen Angriffs auf die Sowjetunion geradezu unsinnige Forderungen, was vom OKH mit Blick auf die Gesamtlage natürlich abgelehnt werden mußte. Halder schreibt dazu treffend: "Nun meldet er selbst, daß seine Kräfte nicht ausreichen, um die angeblich "beispiellos günstige" Gesamtlage ausnützen zu können. Diesen Eindruck hatten wir hier in der Ferne schon länger."(9)
Zwangsläufig war daher im OKH der Eindruck entstanden, daß Rommel seiner Führungsaufgabe nicht ganz gewachsen sei. Es hatte den Anschein, daß niemand in Nordafrika mehr einen klaren Überblick über die weit verstreuten Truppen hatte, Rommel war nicht in der Lage, klare Meldungen an das OKH über die tatsächliche Lage abzusetzen, um die Versorgung kümmerte er sich überhaupt nicht - wie aus zahlreichen Berichten hervorgeht. Das ging bis zur offenen Lüge: Gegenüber dem als Beobachter nach Afrika entsandten Oberquartiermeister I im Generalstab des Heeres bezeichnete Rommel Ende April 1941 die Versorgungslage als gesichert, was in keiner Weise den Tatsachen entsprach. Rommel stellte immer nur Forderungen an die Logistik, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob seine Forderungen überhaupt eine Aussicht auf Realisierung hatten.(10) Der Generalstabschef des Heeres traf sicher den Kern der Sache, wenn er dazu notierte: "Lage Nordafrika unerfreulich. Rommel hat durch Überschreiten des Befehls eine Lage geschaffen, welcher die Nachschubmöglichkeiten zur Zeit nicht mehr gerecht werden. Rommel ist der Sache nicht gewachsen."(11)
Ähnliche Vorfälle wiederholten sich beim Vorstoß an die Grenze Ägyptens im November 1941. Wieder wurde mit auseinandergerissenen Verbänden angegriffen, ohne daß etwas über den Gegner bekannt war. Wieder zerfielen die deutschen Operationen in eine Reihe von unkoordinierten Aktionen. Es entwickelten sich chaotische Verhältnisse, denn die vorgehenden deutschen Einheiten erhielten Befehle von drei verschiedenen Stellen:
- von Rommel, der ohne gesicherte Nachrichtenverbindungen seinen Privatkrieg mit Teilen der 21. Panzerdivision führte.
- vom Gefechtsstand des Afrikakorps und
- vom Stabschef Rommels, der wieder wie üblich vom seinem Kommandeur nicht ausreichend informiert worden war.
Erschwerend kam noch hinzu, daß Rommel selbst mit veralteten Führungsunterlagen arbeitete, so daß seine wenigen aufgenommenen Funksprüche nicht entschlüsselt werden konnten.(12)
Hier wird wieder deutlich, daß Rommel während seiner ganzen Zeit in Afrika nie begreifen wollte, daß es ab einer gewissen Führungsebene nicht mehr ausreicht, im Befehlspanzer bei den vordersten Truppen mitzufahren, sondern daß dann vor allem saubere Stabsarbeit gefragt ist, die eine nüchterne Beurteilung der Lage unter Einschluß aller Faktoren, also auch der Versorgungslage, umfaßt. Natürlich kam es bei den Frontsoldaten (und auch bei der Propaganda) hervorragend an, wenn sich der Befehlshaber in vorderster Linie sehen ließ. Das darunter die Gesamtkoordination der Operationen litt, vermochte der Frontsoldat natürlich nicht zu erkennen. Die Führungsleistung des Oberbefehlshabers eines auf sich gestellten Korps, später einer Armee, der noch dazu eng mit Verbündeten zusammenzuarbeiten hatte, kann sich aber darauf allein nicht beschränken.
Ein weiterer negativer Charakterzug Rommels zeigte sich in seiner Neigung, die eigenen Führungsfehler seinen untergebenen Offizieren anzulasten. Diese führte den Oberbefehlshaber des Heeres dazu, Rommel im Sommer 1941 eine förmliche Rüge wegen der Behandlung seiner Kommandeure zu erteilen.(13)
Insgesamt kann mit einer Ausnahme nur wenig Positives gefunden werden, das Rommels Eigenmächtigkeit rechtfertigen könnte, mit der er die ihm erteilten Weisungen überschritt. Dank der Gunst Hitlers konnte er seinen persönlichen Ehrgeiz befriedigen und dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz eine Gewichtung geben, die ihm von Hitler, OKW oder OKH ursprünglich gewiß nicht zugedacht war. Das zeigte sich nicht nur in der Zuweisung zusätzlicher, an anderer Stelle fehlender, Verbände des Heeres, sondern auch in der Verlegung des II. Fliegerkorps und besonders in der Entsendung von U-Booten in das Mittelmeer, die über Wochen hinweg fast einer Einstellung des U-Boot-Krieges im Atlantik gleichkam.(14)
Dagegen rettete Rommels Entschluß, bei El Alamein am 4.11.1942 trotz des Hitlerschen Haltebefehls zurückzugehen, zunächst noch einmal die Panzerarmee Afrika und zögerte die deutsche Niederlage in Nordafrika um ein weiteres halbes Jahr hinaus.(15)
Rommel war ein Mann der günstigen Gelegenheit, der Möglichkeiten für überraschende und ungewöhnliche Aktionen virtuos ausnutzen konnte - allerdings oft um den Preis hoher personeller und materieller Verluste. In eher konventionellen Lagen dagegen leistete er allenfalls Mittelmäßiges und versagte des öfteren. Dabei mag seine Abneigung gegen sorgfältige Stabsarbeit als Basis für die Führung großer Verbände eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben.
Sein Ehrgeiz machte es Rommel schwer, sich damit abzufinden, daß es seine Aufgabe war, auf einem Nebenkriegsschauplatz die einmal erkämpften Positionen zu halten. Daran ändern auch seine fern jeder Realität liegenden Phantastereien für einen Vorstoß über den Suezkanal in den persisch-iranischen Raum und einen Angriff gegen die Südfront des Kaukasus nichts.(16) Diesen maßlosen Zielsetzungen vermochte nicht einmal der sonst zu ähnlich größenwahnsinnigen Vorstellungen neigende Hitler sich ohne weiteres anzuschließen.
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Entnommen aus "Eine andere Sicht auf den "Wüstenfuchs" von Jörg Wurdack". Siehe dazu Deutschland, Panzermänner, Erwin Rommel.