Zitat von
Sauerländer
Die Frage ist, ob eine vernünftige (allein da geht es schon los, die Natur ist blind für "Vernunft", da geht es lediglich um optimale Anpassung) evolutionäre Selektion überhaupt über einen gesellschaftlichen Mechanismus möglich ist, oder ob sich nicht vielmehr das Selektionsprinzip im Rahmen einer Gesellschaft, die so weit ist, es sinnvoll anwenden zu können, selbst aufgehoben hat, will sagen:
Nach meinem Eindruck stellt es sich so dar, dass gesellschaftlicher Fortschritt (Zivilisation) und Degeneration einander bedingen. Zivilisatorische Leistung vereinfacht das Leben, nimmt den Druck vom Individuum, und beendet damit die Selektion.
Selektion verstanden als Auslese zur Leistungsfähigkeit wäre damit im Rahmen menschlicher Gesellschaften ein zur Selbstaufhebung tendierendes Prinzip.
Ist es nicht genau das, was wir in der Geschichte beobachten? Anfänglich unzivilsiert, wird in einzelnen Kulturen eine Anzahl starker (nicht nur physisch zu verstehen) Individuen hervorgebracht, die diese Gesellschaft voranbringen. Kunst und Wissenschaft halten Einzug, es bilden sich politische Strukturen.
Für eine sehr kurze Phase sind kulturelle Leistungen in großem Ausmaß vorhanden und die Menschen noch erstklassiges Material, da die druckreduzierenden Momente noch nicht lange genug bestehen, um bereits Auswirkungen haben zu können. Ein Nebeneinander starker Potentiale und starker bereits bestehender Leistungen. Das ist es, was wir im allgemeinen als die "Blüte", die "Hochphase" einer Kultur bezeichnen.
Dann aber beginnt die Phase, wo die jeweilige Ordnung immer stärker von ihrer Vergangenheit zu zehren beginnt, insofern die erreichten kulturellen Leistungen den Menschen jeder Anstrengung entheben und keine Potentiale mehr sich ausbilden lassen.
Nicht "Verweichlichung" ist das Problem - Zivilisation ist das Problem.