Kanzler erzielt Kompromiss
Nach drei Jahren Hickhack wird es nun doch ein Zuwanderungsgesetz geben. Überraschend gelang heute eine politische Einigung zwischen Regierungskoalition und Opposition. Eine Dreiergruppe wird bis Mitte Juni einen Gesetzesentwurf vorlegen, der dann Bundestag und Bundesrat passieren soll.
Berlin - Nach Monaten frustrierender Verhandlungen haben Rot-Grün und Opposition heute endlich die magische Formel gefunden, mit der ein Kompromiss über ein Zuwanderungsgesetz doch noch möglich werden soll: "Politische Einigung" lautet das Zauberwort, das sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesinnenminister Otto Schily als auch CDU-Chefin Angela Merkel und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber heute Abend um kurz nach 19 Uhr wählten, um ihren Kompromiss zu beschreiben.
Jetzt gehe es nur noch um die Formulierung eines Gesetzestextes, verkündeten alle vier Beteiligten. Bis zum 17. Juni, wenn der Vermittlungsausschuss zum übernächsten Mal tagt, soll der gemeinsame Entwurf von Regierung und Opposition fertig gestellt sein und dann Bundestag und Bundesrat passieren. An einem einzigen Tag und mit Hilfe nur zweier Papiere haben Schröder, Merkel und Stoiber heute erreicht, was die Arbeitsgruppe des Innenausschusses in einem guten Dutzend Verhandlungsrunden und über 70 Konferenzstunden nicht geschafft hat.
Anspruch auf Integration vereinbart
Das Zuwanderungsgesetz wird dem heute gefundenen Kompromiss zu Folge wesentliche Bestandteile sowohl des ursprünglichen rot-grünen Gesetzentwurfs als auch der Unionspositionen enthalten.
Es werde "ein modernes Zuwanderungsrecht" sein, erklärte Bundeskanzler Schröder am Abend in Berlin. Die Vaterschaft nahm er deutlich für sich persönlich in Anspruch: Der Kompromiss, so der Kanzler, sei "auf der Basis eines Papiers entstanden, das ich verfasst habe." Fast präsidial, immer an das Wohl Deutschlands gemahnend, präsentierte er heute die Kernpunkte des jetzt noch zu schreibenden Gesetzes.
Es sei vereinbart worden, sagte Schröder, dass es neben der Möglichkeit eines Daueraufenthaltes für Höchstqualifizierte in Deutschland auch eine solche für Hochschulabsolventen geben werde. Ein "Regelwerk" für die Zuwanderung ausländischer Selbständiger werde ebenfalls geschaffen, so lange ihr Aufenthalt die deutsche Wirtschaft voranbringt. Die Arbeitsmigration wird damit in höherem Maße als zuletzt erwartbar möglich gemacht werden; sowohl SPD und Grüne als auch die FDP hatten darauf gedrängt.
Des weiteren wird es Schröder zu Folge künftig, wie von Rot-Grün stets gefordert, einen Rechtsanspruch auf Integration geben. Die dadurch entstehenden Kosten wird der Bund übernehmen. Mit dieser Zusicherung ist der bislang schwelende Streit im Vermittlungsausschuss über die Verteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern gegenstandslos. Schröder teilte außerdem mit, dass es einen "Sanktionskatalog" geben wird für solche Ausländer, die sich den Integrationsangeboten entziehen.
Zugeständnisse an die Union
Größter Einzelerfolg in der Auseinandersetzung der Regierungskoalition mit der Union dürfte sein, dass die von CDU und CSU zuletzt vehement geforderte Sicherheitshaft für als gefährliche geltende Ausländer vom Tisch ist. Zugeständnisse an die Union, die seit den Terroranschlägen von Madrid am 11. März dieses Jahres vermehrt auf die Regelung von Sicherheitsfragen gedrängt hatte, wird es aber im Bereich der Abschiebung und Ausweisung geben. Auf der Grundlage einer "Tatsachen gestützten Gefahrenprognose" werden Ausweisungen künftig möglich sein. Diese Regelung betrifft beispielsweise solche Menschen, die in Afghanistan Ausbildungslager der al-Qaida besucht haben.
Nach Aussage Schröders wird es zudem eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz geben, bevor einem Ausländer eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis zugestanden oder er eingebürgert wird. Hier ist allerdings noch unklar, ob die Grünen dies widerstandslos schlucken werden. Am Nachmittag hatte es in Berlin am Rande der Fraktionssitzung der Grünen noch geheißen, das komme nicht in Frage. Zudem ist der kleine Koalitionspartner in dieser Frage durch einen Beschluss des Länderrats auf ein "Nein" festgelegt. Am Abend erklärte Omid Nouripour, Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen, gegenüber SPIEGEL ONLINE, insgesamt sei man in der Partei jedoch zufrieden mit dem Kompromiss - auch wenn die Grünen grundsätzlich der Ansicht seien, Deutschland brauche mehr Zuwanderung als jetzt möglich gemacht werde.
Schröder erklärte, auch die von der Union geforderte Sanktionierung von so genannten Hasspredigern wird nun möglich sein; ebenso die "zwingende Ausweisung gewerbsmäßiger Schleuser". Hier freilich hatte die Regierungskoalition schon zuvor Kompromissbereitschaft signalisiert. Den Grünen war es in dieser Frage zuletzt vor allem darum gegangen, nur die wirklich Verantwortlichen zu treffen, kleinere Fische jedoch zu schützen, die möglicherweise gar nicht wüssten, woran sie sich beteiligen. Schröder sprach heute davon, die Ausweisung werde nur Menschen betreffen, die zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sind. Damit dürften die Grünen zufrieden gestellt sein.
Durchbruch nach nur einer Stunde
Dieser umfassende Kompromiss dürfte tatsächlich eine gangbare Marschrichtung vorgeben. Alle Beteiligten bezeichneten sich als Gewinner - ein Gütesiegel für einen Kompromiss. Schröder betonte bei der Präsentation der Ergebnisse, er habe der Opposition bei dem Treffen am Abend, das letztlich nur rund eine Stunde dauerte, eine Vorlage gemacht zu haben, die "nicht mehr verhandelbar sei", wie er Merkel und Stoiber erklärt habe.
Friss, Vogel, oder stirb - mit dieser Devise war Schröder nach eigenem Bekunden in die Verhandlungen gegangen. Und seiner Interpretation zu Folge haben die Merkel und Stoiber zugegriffen. Diese beiden gewichteten das Resultat freilich etwas anders: Rot-Grün habe sich "endlich bewegt", erklärte CDU-Chefin Angela Merkel am Abend in Berlin wenige Minuten nachdem Schröder seine Pressekonferenz beendet hatte. Sie formulierte etwas skeptischer als der Kanzler: Es gebe genügend "Gemeinsamkeiten, um es aussichtsreich erscheinen zu lassen, einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu versuchen". Ob dies gelinge, könne man erst am Ende sehen, wenn der Vermittlungsausschuss über das Endprodukt zu befinden habe.
Dreiergremium wird Gesetzestext schreiben
Der gemeinsame Entwurf für das Zuwanderungsgesetz wird nun von Bundesinnenminister Otto Schily, dem bayerischen Innenminister Günter Beckstein (CSU) und dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) formuliert werden. Die siebenköpfige Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses, der auch Mitglieder von den Grünen und der FDP angehört hatten, hat damit "ihre Arbeit erledigt", wie Otto Schily sagte. Allerdings werde er sich intern natürlich mit den Grünen abstimmen, wie er beteuerte.
Mit der heute erzielten Einigung deutet sich das Ende einer nun schon beinahe vier Jahre währenden Diskussion an. Als Erklärung dafür, das heute so einvernehmlich gelang, was zuvor so krampfhaft versucht worden war, nannten die Beteiligten atmosphärische Schwierigkeiten in der siebenköpfigen Verhandlungsgruppe. Anfang Mai hatten die Grünen nach einer Auseinandersetzung mit der Union über Sicherheitsfragen das Ende der Verhandlungen verkündet.