Linke: Nun, bei den so genannten Out-of-Body-Erfahrungen sind die Patienten ja der Ansicht, sich selber auf dem OP-Tisch zu beobachten oder sogar „live“ zu erleben, wie sie nach dem Unfall „tot“ unter dem Autoreifen liegen.
G&G: Und was hat das mit unserer Kulturation zu tun?
Linke: Machen wir ein kurzes Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, wie Sie im Schwimmbad zwei, drei Bahnen ziehen! ... Sind Sie soweit?
G&G: Ja, kein Problem. Es ist übrigens Sommer und sehr warm.
Linke: Das freut mich für Sie. Jetzt frage ich: Sehen Sie sich quasi vom Beckenrand aus, oder nehmen Sie das Geschehen aus der eigentlichen Schwimmer-Perspektive wahr, also vom Wasser aus?
G&G: Nein, ich sehe mich von außen.
Linke: Sehen Sie, das ist für etwa achtzig Prozent der Menschen hier typisch. Wir sehen uns quasi mit den Augen eines anderen. Und wenn Sie sich vorstellen sollten, wie Sie in einem Tal an einem Bach entlang wandern, dann tun Sie das wahrscheinlich ebenfalls „von außen“, typischerweise sogar aus der Vogelperspektive.
G&G: Worauf wollen Sie hinaus?
Linke: Das bedeutet, wir sind also grundsätzlich in der Lage, uns selber aus einem anderen Blickwinkel betrachten, gewissermaßen aus uns herauszutreten. Das ist unsere ganz normale Fähigkeit, die allerdings permanent unterdrückt wird – bedingt durch eine gewisse Tradition der Ich-Kultur und Selbstbezogenheit.
G&G: Wollen Sie damit sagen, dass Menschen bei Out-of-Body-Erfahrungen eine sozusagen künstlich antrainierte Selbstwahrnehmung in der Extremsituation „ablegen“, um kurzzeitig zu einer ursprünglicheren Wahrnehmungsform zurückzukehren?
Linke: Im Prinzip ja. Wenn ich ohne Chance auf Überleben unter einem Lastwagenreifen liege, gebe ich meine krampfhafte, weitgehend automatisierte Perspektive der Körper-Ich-Bezogenheit auf. Ich brauche die Endorphine, von denen Herr Eibach sprach, also gar nicht unbedingt, um von den beliebten transzendenten Ausdeutungen entsprechender Wahrnehmungen Abstand zu gewinnen.
G&G: Also tatsächlich das Totschlagargument: In extremen Lebenssituationen, ob in Todesnähe oder wie bei Paulus, gibt es gewisse psychisch-neurophysiologische Phänomene, deren Vorhandensein aber weder als Argument für noch gegen das Wirken einer höheren Wirklichkeit herhalten kann.