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Der Sheriff
Traditionell sind weibliche Angestellte in der türkischen Verwaltung zahlreich vertreten. Eine Studie zeigt jedoch: Es werden weniger – dank der Besetzungspolitik der Regierungspartei AKP. Die verbleibenden Frauen sehen sich häufig sexistischem Mobbing ausgesetzt.
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In der Türkei herrscht Wahlkampf, und alle Parteien buhlen um die Stimmen der Wählerinnen. Dabei scheint es, dass gerade die islamisch geprägte AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan beim weiblichen Wahlvolk gute Karten hat. Zum einen vermag es keine andere Partei wie sie, Aktivistinnen zu den Nachbarinnen zu schicken, um bei Tee und Gebäck Überzeugungsarbeit zu leisten. Zum anderen hat die AKP am schnellsten auf eine spektakuläre Polit-Kampagne der Frauenorganisation Kader reagiert, die mit vielbeachteten Aktionen um mehr Frauen in der Politik wirbt. Kader-Chefin Seyhan Eksioglu will nun als AKP-Kandidatin in den Wahlkampf ziehen.
Doch wenn man einen Blick in den staatlichen Verwaltungsapparat wirft, bricht das Bild der AKP als einer frauenfreundlichen Partei zusammen. Zwei große Umwälzungen sind in der Verwaltung bislang viel beobachtet und kommentiert worden. Zum einen eine begrüßenswerte Schrumpfung der aufgeblähten Bürokratie, und zum anderen die Besetzung vieler Ämter mit Anhängern der Regierungspartei. Besagte Anhänger stammen meist aus dem muslimischen politischen Milieu, und daraus ergibt sich eine andere Entwicklung, die bislang nicht beachtet wurde: Es gibt immer weniger Frauen in verantwortungsvollen Positionen, seit die AKP regiert.
Diejenigen, die sich noch halten, sehen sich in den Behörden ganz neuen Sitten gegenüber. Die neu eingesetzten Funktionäre tragen Schnurrbart, schütteln ihnen nicht die Hand, blicken ihnen nicht in die Augen, wenn sie mit ihnen sprechen, und rügen zuweilen ihren Kleidungsstil. Das ergibt sich aus einer Studie einer im Jahr 2000 gegründeten Nichtregierungsorganisation namens "Iris".
Wer Kopftuch trägt, ist disqualifiziert
Die Zahlen: Bei mittleren Führungspositionen sank der Frauenanteil von 2000 bis 2006, also unter der AKP-Regierung, von 30,4 auf 27,1 Prozent. Bei Spitzenpositionen gab es keinen Rückgang, sondern eine leichte Zunahme von 10,7 auf 11,8 Prozent. Das wird durch die hohe Qualifikation der Frauen in diesen Positionen erklärt. Die AKP hatte einen dramatischen Stellenabbau durchgesetzt - das führte zu einer leichten Erhöhung des Frauenanteils in Top-Positionen, weil Frauen in diesen unverzichtbaren Stellen oft deutlich kompetenter und besser qualifiziert sind als ihre männlichen Kollegen.
Was sich aber in den unteren Rängen abspielt, das entscheidet darüber, wie die Verwaltung der Zukunft aussehen wird. Wenn Stellen neu besetzt werden, bevorzugt die AKP ihre eigenen Gefolgsleute. Ein Problem dabei: Kompetente Frauen, die der AKP genehm wären, tragen häufig Kopftuch, womit sie vom Staatsdienst disqualifiziert sind.
Und die Frauen, die sich noch in der Verwaltung halten, haben es jetzt schwerer als früher. Die neuen, oft religiösen AKPler haben Sprüche drauf, die manchen weltlicheren Kolleginnen die Haare zu Kopf steigen lassen. "Wie kannst Du das alles hier tun wenn doch zu Hause Mann und Kinder warten", bekommt manche zu hören, oder "Sag erst Du, was Du zu sagen hast, dann kannst Du schneller nach Hause zu den Kindern." Eine hohe Funktionärin berichtet, wie ihr vorgeschlagen wurde, in den Ruhestand zu gehen, damit sie bei ihren Kindern sein kann. Eine andere wurde von ihrem Chef wohlwollend gebeten, sich möglichst unsichtbar zu machen, weil man sie sonst "nicht überleben lassen" würde (sie würde also ihre Stellung verlieren).
"Fünf Schnurrbart-Typen und eine Dame"
Ein Geschäftsmann berichtete WELT ONLINE, wie er etwas in einer Behörde zu erledigen hatte, da waren "fünf Schnurrbart-Typen im Zimmer, denen ‚AKP’ geradezu ins Gesicht geschrieben stand, und eine Dame, die ganz vernünftig aussah. Als ich mich lieber an sie wandte, drehte ihr Nachbar im Radio islamische Musik laut auf."
Fairerweise muss gesagt werden, dass der Frauenanteil in der Verwaltung im Vergleich zu den meisten westlichen Ländern, etwa Deutschland, recht hoch ist und annähernd dem EU-Durchschnitt entspricht. Das hat aber nicht die AKP durchgesetzt. Der hohe Frauenanteil ist Teil der kemalistischen Staatskultur. Er besteht in der Verwaltung seit Jahrzehnten, nicht aber in der Politik, wo Frauen quer durch die Parteien kaum vertreten sind.
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