Wie viele Menschen habe ich mittlerweile mehr Angst vor der Zukunft als Hoffnung auf ein sicheres Leben oder gar etwas Besseres / Interessantes / Spannendes.
Die Gründe für Zukunftsangst sind wohl verschieden, aber sie lassen sich in diese Gruppen einteilen:
1. Perspektivlosigkeit
Beispiel: eine Bekannte sagte, in der Klasse ihrer Tochter (Realschule) hat kein einziger Schüler eine Lehrstelle.
2. globale Tristesse
Ein Freund von mir sagte, er finde die Welt so schlimm nicht weil so viele entsetzliche Dinge geschehen würden, sondern weil die Menschen die Chancen für ein gutes und spannendes Leben verspielen würden. Eine "Zukunft", wo wirklich Böses nur ein Randphänomen ist, aber die Menschheit auch alles Gute, was das Leben erst lebenswert macht, wegrationalisiert hat.
Ein SF-Roman, in dem es eigentlich um Cybersex geht, illustrierte das für mich. In der da bis 2200 geschilderten Welt erlebt die Menschheit keine Katastrophen, aber auch keine Triumphe. Die NPD kriegt weder bei den Wahlen 70 Prozent noch wird z. B. der Weltraum erobert. Im Jahr 2200 ist Deutschland dann Teil von "Eurasien", Neo-Christen randalieren auf den Straßen und zum Grillen geht man wegen der Schadstoffe mit der Gasmaske. Horror pur.
3. handfeste Katastrophen?
Da halte ich viele Szenarios - Klima, Kampf der Kulturen - für übertrieben, um nicht zu sagen, von interessierter Seite erfunden. Die eigentliche Katastrophe liegt nicht in äußeren Herausforderungen, an denen wir sogar wachsen könnten, sondern in der entsetzlich kleinkarierten Art der Politik, darauf zu reagieren. Von A wie Asteroid bis Ü wie Überbevölkerung sehe ich nichts, was die Existenz der Menschheit wirklich bedrohen.
Allerdings ist P wie Politik existenzbedrohend und das reichlich. Wir haben da
1. das pseudo-konservative Aufwärmen so alter wie fragwürdiger Traditionen lustigerweise gepaart mit
2. einem im "liberalen" Gewande daherkommenden erbärmlichen Nihilismus
3. eine pathologische Menschenverachtung, die unter Hinweis auf "die menschliche Natur" jeden Dreck rechtfertigt, was gepaart ist mit
4. Denken in Nullsummenspielen. Der Satz "es wird Gewinner und Verlierer" geben, ist dafür paradigmatisch. Das Spiele ohne Sieger und Lösungen mit möglichst vielen Gewinnern besser sind, entgeht solchen Leuten, denn sie leiden
5. an entsetzlicher Fantasielosigkeit
Oft glaube ich, dass uns nur eine Katastrophe rettet, die zur Abwechslung mal die richtigen trifft, ein wie immer geartetes Ereignis, dass die verkrusteten Herrschaftsstrukturen aufbricht und insbesondere destruktive durch konstruktive Diskurse ersetzt. Ein Ende mit laut krachendem Schrecken, das leisem Schrecken ohne Ende allemal vorzuziehen ist.
Am liebsten wäre mir aber ein Ende des Schreckens ohne irgendwelche blutrünstigen Begleiterscheinungen. Diesbezüglich freue ich mich über alles, was dazu führen könnte und will hier mögliche Auswege diskutieren:
Liberalität
Unter dem Label "liberal" und "Liberalismus" wurde ein Großteil des Elends angerichtet und nur zu oft ist "liberal" ein Synonym für Beliebigkeit und Ego-Trip der Erfolgreichen.
Trotzdem kommen aus der Ecke einige nützliche oder zumindest provokante Ideen:
1. im Umfeld der FDP gibt es den Vorschlag, das Arbeitsamt abzuschaffen, die Vermittlung wäre dann ganz bei all den privaten Jobbörsen und Erwerbslose sollen ein "Bürgergeld" erhalten.
2. In anderen Foren waren zwei Teilnehmer FDP-Anhänger, weil die FDP als einzige Partei für Raumfahrt sei und die entsetzlichen "Jugendschutz-Diskurse" ablehne, mit denen Betreiber von Erotikseiten in .de-Land schikaniert werden.
3. Als zwei Geschwister wegen Inzest angeklagt wurden, forderten Berliner Jungliberale die Abschaffung des diesbezüglichen Paragraphen. Das ist zwar provokant, aber ehrlicher und konsequenter als der Spießbürger-Neoliberalismus im FDP-Mainstream.
Konservativ
Aus Verdruss über die Schattenseiten des Liberalismus bzw. der Moderne scheinen viele die Lösung in der Rückkehr zu "alten Werten" zu sehen. Damit habe ich große Probleme, weil
1. Demographisch oder territorial lässt sich die Geschichte nicht rückgängig machen, wir können uns weder ungeliebter Einwanderer entledigen noch verlorene Gebiete wieder erobern
2. Anomie, Zukunftsangst, Zerfall alter Ordnungen halte ich für ein Phänomen, das so alt ist wie die Menschheit. Vermutlich waren schon die Steinzeitjäger über das Aussterben der Mammuts entsetzt und 1407 war die Welt so wenig in Ordnung wie 2007.
3. Wer unter konservativen Verhältnissen aufgewachsen ist, wird als Gegenreaktion darauf liberal, wer unter liberalen Verhältnissen aufgewachsen ist, wird konservativ. Ein Teufelskreis, weil weder liberale Beliebigkeit noch konservativer Zwang überwunden werden.
Technokratie
Für mich so etwas wie "Sozialismus ohne Ideologie". Insofern verlockend, weil viele Menschen, die Linken/Sozialisten in der Kritik an bestehenden Missständen zustimmen, nur abwinken, wenn "Sozialismus" als Lösung empfohlen wird.
Raumfahrt
Ich glaube, dass viele Probleme dadurch entstehen, dass Menschen zu wenig Herausforderungen haben und sie ihre - wie auch immer gearteten - Lebensenergien nicht konstruktiv abführen können. Die Eroberung des Weltraums bietet ein unermessliches Betätigungsfeld, wo sie sich austoben können, ohne sich selbst, andere oder die Erde zu zerstören. Als die Russen die USA technologisch vorführten und in US-amerikanischen Städten Randale tobte, erklärte Kennedy sinngemäß: Wir fliegen zum Mond und das nicht, weil es einfach, sondern weil es schwierig ist. Sowas brauchen wir wieder und am besten gleich bis zum nächsten erdähnlichen Planeten. By the way kommen US-Politiker, die sich für Raumfahrt begeistern nicht auf so kranke Ideen wie die Mekka zu bombardieren.
Überwindung von Hunger, Armut, Krieg und Gewalt
Konservativen Schätzungen zufolge dauert das noch Jahrhunderte, aber dann sollten wir langsam damit anfangen. Auch damit wir was zu tun haben.
Last but not least: sexuelle Befreiung
Liberale und Konservative sind sich darin einig, dass der Punkt schon abgehakt ist. Die Liberalen begrüßen es, die Konservativen verdammen es und ich glaube beiden nicht.
Mein Eindruck ist eher "sexuelle Anomie" als wirkliche sexuelle Befreiung. Ich frage mich auch, in wie vielen Kulturen sie über das, was hier sexuelles Leben ist, nur mitleidig lächeln würden. Ein gesundes Sexleben ist meines Erachtens für den Abbau von Aggressionen wichtig und prägt dadurch indirekt auch das, was wir Politik nennen.