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Der aktuelle Frontseitenkommentar von Chefredaktor Ulrich Schlüer vom 29. Juni 2007
Nach dem Brüsseler EU-Gipfel
Klammheimliche Beerdigung
Sie habe - wieder einmal - "den Frieden dauerhaft gesichert", frohlockten selbst hiesige Euro-Turbos, als Angela Merkel den angeblichen "Durchbruch" in den Verhandlungen für den EU-Reformvertrag verkündete.
Bezüglich neuer Stimmrechts-Regelung habe man die Übergangsfrist, Polen zuliebe, um fünf Jahre verlängert. Die Amtszeit des künftigen EU-Präsidenten sei auf zweieinhalb Jahre beschränkt worden. Ein Grundrechts-Katalog sei fixiert. Kompromisse, die, obwohl eher vage formuliert, lauthals als "entscheidende Schritte in die Zukunft" gefeiert wurden.
Eigenartig: Zu jener Lösung, die man zu Brüssel sowohl einstimmig als auch glasklar festgehalten hat, schwiegen sich alle Gipfelteilnehmer - im Gegensatz zum lauten Lob über allerlei Kompromisse - hartnäckig aus: Dass in Brüssel die Demokratie klammheimlich beerdigt worden ist. Im Konsens.
Man erinnert sich: Als der EU-Reformvertrag in seiner ersten Auflage hochtrabend noch "EU-Verfassung" genannt wurde, wollte man den Völkern noch erlauben, Ja dazu sagen zu dürfen - was Brüssel dann als "Demokratie" etikettierte. Und dann kamen die Franzosen und die Holländer und nahmen programmwidrig die Demokratie-Offerte etwas allzu wörtlich: Sie stimmten Nein zur EU-Verfassung.
Eine Unbotmässigkeit von Untertanen, wie sie sich die perplexen EU-Oberen sicher kein zweitesmal bieten lassen würden. EU-Bürger sind aus Sicht der EU-Funktionäre dazu da, Segnungen aus Brüssel entgegenzunehmen, zu belobigen und zu bezahlen - aber ganz gewiss nicht abzulehnen.
Und so beerdigten die zu Brüssel vereinigten Staats-Oberhäupter aller EU-Länder vor Wochenfrist in vollumfänglicher Eintracht kurzerhand die Demokratie. Im Rahmen des Reformvertrags findet diese nicht mehr statt.
Stimmrechts-Regelung, also die konkrete Mitbestimmungsmöglichkeit zu fundamentalen Weichenstellungen? Das ist, nach Meinung der EU-Funktionäre, nichts für Bürger. Grundrechte? Die werden lieber von Funktionären über die Köpfe der als dazu "überfordert" deklarierten Bürger festgelegt.
Die Demokratie im Abendland? Heute nur noch nostalgischer Rückblick auf das Zeitalter der Nationalstaaten. Mit dem EU-Reformvertrag werden die Bürger Europas wieder zu Untertanen. Wie zu Zeiten Napoleons.
Ulrich Schlüer