KULTURKAMPF / Nach der Erhebung Salman Rushdies in den Ritterstand wüten islamistische Fundamentalisten gegen die britische Regierung. Ein offener Brief
Lieber Sir Salman,
VON HANS-JOACHIM NEUBAUER
Vor über 17 Jahren verurteilte Sie ein starrsinniger Greis zum Tode. Seither leben Sie, wie Sie schreiben, in einem Ballon über dem Abgrund. Auch wenn es Aufwind gab: Die Angst reist mit, immer. Und jetzt zielen die Barbaren erneut auf die dünne Haut aus Humanität, Redefreiheit und religiöser Toleranz, die Sie am Leben hält. Wenn sie treffen, wenn sie ihr Ziel erreichen, stürzt ein großer Schriftsteller in den Untergang. Und mit ihm das, was unser Leben im Abendland ausmacht.
Die iranische Regierung hetzt gegen die Queen, weil Sie Ritter werden. In einer Hassversion des Voodoo-Kultes werden in Teheran und Islamabad Puppen verbrannt, die Sie und die Königin darstellen. Ihr „Vergehen“ ist ein Roman, „Die satanischen Verse“, ein überbordendes und polemisches Buch über eine von Bestialität und Inhumanität zerrissene Gegenwart, eine Fiktion, der nun der Hass dieser Gegenwart gilt. Der erste Muslim im britischen Oberhaus, Lord Ahmed, wütet, an Ihren Händen klebe Blut, Sie hätten Mohammed, Jesus, gar Maggie Thatcher beleidigt und die „religiösen Gefühle“ der Muslime verletzt. Warum darf der das?
Ihre, die britische Regierung zeigt sich „überrascht“ über die Wut. Sie hat schlafende Hunde geweckt. Nun, jetzt sind sie also wach, sie heulen und lechzen nach Ihrem und der Königin Blut. Ihr Gekläff sollte auch uns aus demSchlaf reißen, uns, die wir die drohende Gefahr nicht sehen wollen. Denn der Westen ist in der Defensive;wir vergreisen, wir sterben aus, wir sind materialistisch geworden. Mit vollen Backen kauend, sehen wir dem Untergang im Fernsehen zu. Wir bleiben ruhig, wenn uns der Zweiturlaub sicher ist, wir entspannen bei kleinen Fluchten ins Internet und nach Hollywood, uns geht's gut, wenn der Hybrid-Motor ein bisschen Klima rettet.
Wir haben uns aufgegeben wie Depressive. Warum sonst inszenieren im „Karikaturenstreit“ Fanatiker Autodafés, ohne dass Sanktionen ihre Staaten treffen? Warum wird der Filmemacher Theo van Gogh hingeschlachtet, ohne dass Europas Muslime auf die Straße gehen? Warum hetzt ein pakistanischer Minister gegen Sie, ohne dass die Botschafter seines Landes von den Außenministern der zivilisierten Welt einbestellt werden? Überhaupt: Wo ist Europa in diesen Tagen? Worüber reden unsere Minister in Brüssel, was tun unsere Abgeordneten in Straßburg? Sie reden von Quoren, Quoten und Normen. Wir haben unsere Seele an den Konsum verhökert, das Herz an die Bilanzen. Wir leben vom Export von Autos und Waffen, für unsere Arbeitsplätze gehen wir über Leichen, der Götze, den wir anbeten, heißt Öl.
Und bei allem haben wir Angst: vor Bomben im ICE, vor Anthrax in der Post, vor Giftgas in der U-Bahn. So sitzen wir in Schengenland, der größten Security-Lounge der Welt, und schließen die Augen, damit uns der Blick der Killer nicht trifft. Wie Kinder wähnen wir uns unsichtbar. „Tu uns nichts, wir tun dir auch nichts!“, flüstern wir, aber nicht zu laut. Denn im Innersten glauben wir, dass uns recht geschieht. Sind wir nicht schuld am globalen Elend, lassen wir nicht die Pole schmelzen und die Wüsten wachsen? Wir sehnen uns nach Strafe für all das Unrecht. Wenn uns die Scham juckt, spenden wir für Afrika. Wir reden uns ein, dass der Hunger dem Fundamentalismus vorausgehe. Dabei könnten wir wissen: Den Killern, Leutesteinigern und Frauenverächtern folgen Horden von verrohten Jungmännern und tribalisierten Barbaren. Und mit ihnen Armut, Krankheit, Dummheit.
Der Kampf der Kulturen ist der Krieg der Aufklärung gegen die Barbarei. Sie, Sir Salman, wissen das, und oft haben Sie es ausgesprochen. Auch dafür will man Sie töten. Denn Sie sind ein Symbol der Vielfalt und der Phantasie, die Welt Ihrer Geschichten hat nicht eine Wahrheit, sondern Tausende. Die Fundamentalisten aber kennen nur eine; sie wissen genau: Ohne die Freiheit der Gedanken, der Rede und der Kunst gibt es kein Abendland. Deshalb verbrennen sie Ihre Bücher. Dieser Angriff gilt uns allen, die wir auf das Erbe der Aufklärung setzen, auf Menschenrechte, Gewaltenteilung, Religionsfreiheit und auf das Recht, nach der eigenen Fasson selig zu werden. Für diese Werte hat die bürgerliche Gesellschaft einst gekämpft; jetzt schaut sie zu, wie sie verschwinden, an den Rändern, und nach und nach auch hier, in der Mitte unserer kleiner werdenden Welt.
Wir müssen entscheiden, ob wir schützen wollen, worauf wir einmal stolz waren. Doch wie könnten wir verteidigen, wofür wir nichts empfinden? Nur mit Liebe zu unserer Kultur können wir das Gefängnis der Depression verlassen und einen Schritt hinaus aus der Defensive tun, hinaus aus der Angst. Sie, Sir Salman, haben ihn gewagt; seither schwebt Ihr Ballon über dem Abgrund. Wenn wir Sie da oben alleinlassen, stürzen auch wir hinab.
© Rheinischer Merkur Nr. 26, 28.06.2007
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