Aids ist ein "globaler Notfall"

4,8 Millionen Menschen haben sich im Jahr 2003 mit dem Aidserreger HIV angesteckt - so viele wie in keinem Jahr zuvor. Die Zahl der Infizierten steigt damit von etwa 35 Millionen im Jahr 2001 auf etwa 38 Millionen Ende 2003.

Genf/London (06.07.2004, 13:24 Uhr) - Dies berichtete das Aidsbekämpfungsprogramm UNAIDS der Vereinten Nationen am Dienstag in London und Genf. 2003 seien rund 2,9 Millionen Menschen an der Immunschwäche gestorben - das entspricht der gesamten Bevölkerung von Hamburg und München. Unter den Opfern sind etwa 500 000 Kinder unter 15 Jahren. Seit seiner Entdeckung 1981 hat Aids damit weit mehr als 20 Millionen Menschen getötet, heißt es im «Report zur globalen Aids-Epidemie 2004».
Durch eine veränderte Statistik sind dessen Zahlen nicht direkt mit den vorherigen vergleichbar. Keinesfalls seien die Daten aber ein Zeichen dafür, dass sich die Epidemie verlangsamt habe, berichtet UNAIDS.

Aids sei ein neuer Typ eines «globalen Notfalls» und eine Bedrohung der Entwicklung des Menschen, schreibt UN-Generalsekretär Kofi Annan im Vorwort des Berichts. Höchst alarmierend sei der Ausbruch neuer, schnell wachsender Aidsepidemien in Osteuropa und Asien, warnt UNAIDS-Chef Peter Piot. Zusammen mit vielen Hilfsorganisationen verlangte er von den reichen Ländern mehr Geld im Kampf gegen das Virus. Piot schätzt, dass dafür im Jahr 2005 rund 12 Milliarden Dollar (9,8 Milliarden Euro) nötig sind. Nach Angaben des «Global Fund to fight Aids, Tuberculosis and Malaria» werden vom Jahr 2007 an weltweit jährlich 20 Milliarden Dollar (16,4 Milliarden Euro) zur weltweiten Aidsbekämpfung benötigt.

Von den 5 bis 6 Millionen Menschen in den armen Ländern, die dringend Medikamente gegen das Virus benötigen, haben dem Report zufolge nur etwa sieben Prozent Zugang dazu. Täglich infizieren sich rund 16 000 Menschen neu, etwa alle 6 Sekunden einer. Die Hälfte aller Neuinfizierten ist 15 bis 24 Jahre alt. In 38 Ländern verringert Aids inzwischen die durchschnittliche Lebenserwartung.

Dem Bericht zufolge leben die meisten Infizierten weiterhin in Afrika südlich der Sahara (25 Millionen). In Ost-, Süd- und Südostasien sind es etwa 7,5 Millionen. Hinzu kommen Lateinamerika (1,6 Millionen), Osteuropa und Zentralasien (1,3 Millionen), Nordamerika (1 Million), Westeuropa (580 000), Nordafrika und der Mittlere Osten (480 000), die Karibik (430 000) und Ozeanien (32 000). Die Experten geben seit diesem Jahr für viele Daten zusätzlich Spannbreiten an: Im Fall der insgesamt 38 Millionen Infizierten heißt dies «zwischen 34,6 Millionen und 42,3 Millionen».

Nach Aussagen der Hilfsorganisation UNICEF gehören Kinder und Jugendliche zu den Hauptleidtragenden. So gab es 2003 weltweit 15 Millionen Kinder, die durch Aids einen oder beide Elternteile verloren haben. Das seien dreieinhalb Millionen Kinder mehr gewesen als im Jahr 2001.

Der UNAIDS-Bericht hebt hervor, dass Mädchen und junge Frauen das größte Infektionsrisiko tragen: Weil sie beim Geschlechtsverkehr doppelt so leicht infiziert werden wie Männer, stieg ihr Anteil unter den Infizierten inzwischen fast auf die Hälfte - Tendenz weiter zunehmend. In Osteuropa hat das Virus Risikogruppen wie Drogenabhängige verlassen und breitet sich in der Bevölkerung aus.

In Deutschland leben nach Angaben des Robert Koch-Instituts zurzeit rund 43 000 Menschen mit dem Virus. Im Jahr 2003 sei die Krankheit bei rund 500 Menschen ausgebrochen, etwa 600 starben daran.

«Aids ist ein Notfall und nicht nur ein weiteres Problem der Entwicklungshilfe», sagte Tobias Luppe von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Berlin. Doch gerade als solches betrachte die Bundesregierung die Katastrophe. Die vom Bund angegebenen jährlichen 300 Millionen Euro für den Kampf gegen HIV/Aids entsprächen nicht den Tatsachen. Das Entwicklungshilfeministerium sei noch nicht einmal in der Lage, diese Zahl exakt aufzuschlüsseln. «Die Aidsbekämpfung wird nicht billiger», warnte Luppe und verlangt von Deutschland - wie die 70 Organisationen des deutschen Aktionsbündnisses gegen Aids - künftig einen Betrag von 500 Millionen Euro im Jahr.

Aids bleibt auf unabsehbare Zeit unheilbar. Die mehr als 20 Medikamente bringen nur einen Aufschub. Ein Impfstoff ist nicht in Sicht, obwohl fieberhaft daran geforscht wird. (tso/dpa)

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