............... Auf der gleichen Zeitungsseite, auf welcher der Artikel von Susan Sontag steht, wird von einem angeblichen Eklat berichtet, den der Komponist Karlheinz Stockhausen in Hamburg auslöste.
Er hatte während einer Pressekonferenz die Anschläge auf das World Trade Center als ein großes Kunstwerk bezeichnet, bei dem fünftausend Menschen in die Auferstehung gejagt worden seien, und hinzugefügt, dass er als Komponist Derartiges nicht vollbringen könne. Die Kulturverwaltung reagierte darauf fantasielos verkrampft und sagte vier für Hamburg geplante Konzerte ab. Muss man bei einem Künstler, in dessen Schädel bekannterweise ein Hirn glüht aus der Kategorie „Das etwas andere Gehirn“ und in dessen Werk das Feuer, ja sogar der Weltenbrand eine zentrale Rolle spielt, nun dermaßen bleiern geschockt tun, wenn er eine Sichtweise kundtut, die sich von derjenigen von Otto und Frieda Normalwurst ein bisschen unterscheidet? Wenn man es nicht aushält, dass Künstler eigene Meinungen vertreten, dann soll man ihnen eben keine Mikrofone unter die Nase halten, sondern sie in Ruhe ihre Arbeit machen lassen. Doch nichts bestraft das Establishment härter als ausbleibendes Gesülze.
Wenn ich Hamburger Kultursenator wäre, hätte ich Herrn Stockhausen zu einem kleinen Spaziergang eingeladen und ihm dabei folgendes gesagt:
„Ja, lieber Herr Stockhausen, Sie sind ja von einer Zeit geprägt worden, in der erweiterte Begriffe modisch waren, da wurden gern so Sachen gesagt wie „das Private ist politisch“ oder „Jeder Mensch ist ein Künstler“, und insofern ist mir Ihr erweiterter Kunstbegriff durchaus verständlich, wenngleich ich selbst ein Anhänger der Einengung von Begriffen bin, denn wenn man sie zu sehr erweitert, verlieren sie ihre Bedeutung. Insgesamt war Ihre Einlassung aber ganz originell, obwohl: So originell war sie eigentlich doch nicht. Hat nicht schon Ernst Jünger 1944 in seinem Kriegstagebuch „Strahlungen“ über die Bombardements in Paris geschrieben, die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln habe in gewaltiger Schönheit gelegen, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen werde, und dass er, während er dies betrachtete, ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand hielt? Da regen sich die Leute jetzt noch drüber auf. Aber ich finde, alle 57 Jahre kann die Zivilisation eine Äußerung dieser Art verkraften, und wir werden Ihre vier Konzerte wie geplant zu Ihrer Zufriedenheit ausrichten. Wir werden die tollsten Säle der Stadt ausfegen und bohnern, und wir werden Ihnen hinter der Bühne ein abschließbares Künstlerklo installieren, denn es ist ja mit das Furchtbarste, was es überhaupt gibt, wenn der Künstler in der Pause zusammen mit dem Publikum in der Pissoirschlange stehen muss. Ich bitte Sie jedoch zu bedenken, dass jemand Ihres Ranges durch sein Werk leuchten sollte und nicht durch aufregende Interviewaussagen, und möchte Sie daher des weiteren ersuchen, wenn Ihnen das nächste Mal Mikrofone ins Gesicht ragen, zu prüfen, ob Sie dann nicht, statt zu sprechen, etwas singen oder besser noch summen könnten, Sie sind doch schließlich Musiker. So – jetzt muss ich zu meinem nächsten Termin. Auf Wiedersehen, Herr Stockhausen.“