Tatort am 14.10.Verfall einer Gesellschaft
Der Tatortkommissar mit seiner neuen Freundin trifft vor dem Haus seine Kollegin um gemeinsam mit ihr ins Büro zu fahren. Da kommt ein 8-jähriges Mädchen auf die drei zu und fragt auf der Suche nach Spielgefährten: „ Habt ihr Kinder?“
- Aha, dachte ich, heut soll im Tatort Front gegen die Kinderarmut in Deutschland Front gemacht werden. Sendungen wie Tatort und andere Unterhaltungssendungen sollen ja oft eine Botschaft an den blöden Zuschauer schicken. Im Tatort wird oft gegen die Neonazis polemisiert oder Neger, Türken und andere Asylanten sollen den Deutschen als Kulturbereicherer untergeschoben werden. Was dann aber wirklich in diesem Tatort kam, war eine der brutalsten Gegenwartsbeschreibung unserer Gesellschaft, die alles in den Schatten stellte, was ich jemals gesehen hatte. Diese Beschreibung unserer Gesellschaft war widerlicher als es selbst die anklagendste Nazireport hätte sein können. -
„Nein wir haben keine Kinder“, die drei Erwachsenen wirken verdutzt. „In dem Haus (größeres Mehrfamilienhaus) wohnen keine Kinder.“ Das Mädchen ist enttäuscht, ruft den Dreien aber noch zu, bevor es wieder davon läuft:“ Lustig, mein Papa hatte auch zwei Frauen, jetzt sind meine Mama und ich allein hier eingezogen.
In diesem Tatort war wirklich jeder einzelne Satz, jede einzelne Scene eine schonungslos brutale Offenlegen unserer entarteten Gesellschaft.
Vordergründig ging es in diesem Krimi um einen arbeitslosen ehemaligen Selbständigen, der auf dem Arbeitsamt herumballert. Der Arbeitslose, dessen Frau ihm am morgen offenbart hatte, dass sie sich scheiden lassen will, unternimmt wieder einen verzweifelten Versuch eine Arbeit zu finden. Die Arbeitsvermittlerin ist genau die frustrierte Angestellte, der die Arbeitslosen völlig egal sind. Sie schaut den Arbeitsuchenden nicht ein einziges mal an sondern stiert nur in ihren PC. Sie habe kein Stellenangebot brummt sie – es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung und die Arbeitsvermittlern droht ohne jegliche Grundlage gleich mit einer 30% Kürzung der Bezüge dieses Arbeitslosen. Da rastet der aus, zieht eine Pistole und will die Frau zwingen ihm eine Stelle zuzuweisen. Die Frau kann unbemerkt Alarm auslösen. Wie in Fort Nox wird in allen Amtsstuben des Arbeitsamt Großalarm ausgelöst. Das System hat sich perfekt abgesichert. Mutig stürmen auch einige Angestellte in den Raum der bedrohten Kollegin. Schließlich gibt der Arbeitslose einen Schuß auf einen Angestellten ab und flüchtet letztendlich mit der Angestellten als Geisel. Der Angeschossene stirbt. Als sich Polizei und Arzt ein Bild des Geschehens machen, stellt sich allerdings heraus, dass der Angeschossene nur deshalb gestorben ist, weil sich niemand um ihn gekümmert hatte und weil man nicht einen Arzt sondern nur die Polizei gerufen hatte. Der Mann war dann schließlich verblutet. Von einem Kollegen wird die entführte Frau als kompetent (!) und nervenstark beschrieben. Im Gespräch mit ihrem Entführer, sagt die Frau, Mutter von zwei erwachsenen Mädchen, sie sei geschieden – man habe sich auseinandergelebt. Man ahnt, dass die Frau eigentlich ein menschliches Wrack ist, die ein völlig sinnloses Leben führt. Schließlich kann sie ihrem Geiselnehmer entfliehen und sich in ein Auto flüchten, in dem sich ein Liebespärchen auf dem Beifahrersitz vergnügt – schließlich muß heute in jeden Stück eine Sexscene vorkommen. Nur weil auch Kinder vor dem Schirm saßen, hat die Regie hier wohl auf ein schwules Pärchen verzichtet. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt ist die mit einer Sonnenbrille beschützte Angestellte wieder auf der Arbeit, weil ihr Leben völlig sinnlos ist und sie nur noch als Roboter auf der Arbeit funktionieren kann. Als sie dann im Gespräch mit der Kommissarin ihre wirkliche Lage erkennt, bricht die (nervenstarke) völlig in sich zusammen.
Durch das kleine 8-jährige Mädchen, das immer noch verzweifelt aber vergeblich einen Spielgefährten sucht, werden die Kommissare auf eine Kindesverwahrlosung aufmerksam und intensivieren ihre Nachforschungen. Dabei treffen sie auf die Mutter der der Kinderverwahrlosung verdächtigten Frau. Die Mutter eine fette Kioskbetreiberin grölt, ihren dicken Busen heraushängend den biersaufenden Männern zu : „ Was ist Tierquälerei? Wenn man einer Schlange Viagra gibt“ und lacht dabei dumm. Mit ihrer Tochter habe sie keinen Kontakt – mehr. Die habe sie bestohlen und sei eine Schlampe. Um die Enkelkinder habe sie sich auch nicht gekümmert. Der leibliche Vater des Mädchen, des verwahrlosten bisher noch unbekannten Kindes, hat seine Tochter noch nicht ein einziges mal gesehen, er sei reingelegt worden zahle aber regelmäßig seinen Unterhalt. Dies Geld wurde dann von der Mutter und dessen Lebensgefährten immer versoffen.
Nun, dass ging so in diesem Sinn weiter. Wie gesagt jeder einzelne Satz war eine brutale Offenlegung unserer abartigen Gesellschaft.. Auch das Arbeitsklima auf der Polizeiwache war abartig. Jeder kackte auf jedem herum. Das Mobbing hatte Hochkonjunktur. Der Staatsanwalt versuchte durch mitgebrachte Pizzastückchen sich als hervorragender Team-Player in Scene zu setzen, da er für sein Versetzungsgesuch auch eine positive Beurteilung seiner Polizeikollegen brauchte.
Das verwahrloste Kind, das selbst Tapeten von den Wänden kratze um etwas zu essen zu bekommen, wird schließlich befreit und die Eltern werden in der Kneipe verhaftet. Die ‚feine Gesellschaft‘ in diesem Viertel, die natürlich von nichts etwas mitbekommen hatte, wird nur stumm und teilnahmslos blickend durch die Kamera eingefangen.
Vieles kann hier gar nicht aufgeführt werden – wie die beiden Jugendlichen, die die Mutter des 8-jähren Mädchen beinah eins in Fresse gehauen hätten und mit –Fick dich, Alte, davonscheuchten, weil es einfach zu viel ist was in diesem Film angeprangert wurde. Natürlich war das alles auch konstruiert, wie auch der folgenrichtige Selbstmord des Arbeitslosen, der durch die unqualifizierte Vorgehensweise des Kommissars ausgelöst wurde, aber es war auch alles eigentlich völlig normal und hätte so tatsächlich passieren können.
Die Beschreibung der Verletzungen des verwahrlosten Mädchen waren kaum zu ertragen und bei den Rechtfertigungsversuchen der beiden Eltern habe ich dann abgeschaltet.
Das war die brutalste und widerlich abartigste Gesellschaftsbeschreibung der BRD, die ich je gesehen habe. Es ist wohl kein Zufall, dass solch ein Film gerade dann entsteht, wenn auch andere wie E.Herman auf die Zustände in unserer Gesellschaft hinweisen.