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Thema: "Alles Lüge!" - waren Stalin und die Stalinisten Handlanger des westlichen Kapitals?

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  1. #30
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    Standard "Alles Lüge!" - waren Stalin und die Stalinisten Handlanger des westlichen Kapitals?

    Hier möchte ich eine Frage zur Diskussion stellen, auf die mich ein Freund gebracht hat. Er hat sinngemäß Folgendes gesagt:

    "Der Sozialismus im Ostblock wurde vom Kapital inszeniert, um die Idee des Sozialismus zu diskreditieren, damit das Kapital noch für Jahrhunderte weiter herrschen kann."

    Er kann das nicht beweisen, aber gerade wenn die Theorie so stimmt, wird das Kapital dafür sorgen, dass es keine Beweise gibt. Außer der Geschichte :rolleyes: und die hat beim Sozialismus im Ostblock viele Ungereimtheiten und Widersprüche. Alles Zufall :rolleyes: ?

    So hat auf Politikforum.de ein Teilnehmer auf die Frage "was hätte bei der Oktoberrevolution besser laufen können" geantwortet: "Man hätte weniger Fehler machen sollen."

    Ja, der Sozialimus im Ostblock teilt mit dem Nationalsozialismus folgende Gemeinsamkeiten:

    1. Ein zum Teil abartiges Führungspersonal
    2. Politik als Aneinanderreihung von selbst und gerade der Systemlogik her absurden Fehlern
    3. Massenmord, Terror, brutalste Repression und bestenfalls gnadenlose Bevormundung wurde als Notwendigkeit gerechtfertigt
    4. unter Hitler und Stalin homofeindliche Politik

    Beim NS gibt es eine lange Debatte über das Verhältnis zum Kapital. Je nach Standpunkt wird Hitler hier als gleichberechtigter Partner oder debile Marionette des Kapitals gehandelt. Aber die Beziehung ist da.

    Warum diskutiert eigentlich niemand das Verhältnis von Stalin und den Stalinisten zum Kapital?

    Weil sie in ihrem Machtbereich Bürgertum und Unternehmer gnadenlos liquidierten, so dass es nicht einmal gescheite Dienstleistungen gab?
    "Prima", sagt da das westliche Kapital. "So sind wir die lästige Konkurrenz im Osten los." Meines Wissens wollte Lenin in der NEP noch Kleinbesitz an Kapitla und private Landwirtschaft zulassen, weil er mit der kommunistischen Kriegswirtschaft nicht weiter kam. Stalin vernichteten dann auch das "Kleinkapital". Sozialismus pur oder nur das, was im Westen die Konzerne auch tun: den kleinen Krauter platt machen, um lästige Konkurrenz los zu werden?

    Vielleicht sind Stalinisten und Kapitalisten gar nicht so weit von einander entfernt, wie sie immer tun? Die Denkmuster scheinen mir bei beiden gleich stur und borniert und so wie vor dreißig Jahren die Apologeten des Stalinismus das geistige und gesellschaftliche Klima vergifteten, so tun es heute die "Bürgerlich-kapitalistisch-Liberalen" :rolleyes:

    Fangen wir an mit all den Fehlern nach der Oktoberrevolution und fragen wir uns, wem sie wirklich genützt haben.

    1. Der Aufstieg Stalins. Warum wurde ausgerechnet DER zu Lenins Nachfolger und nicht Bucharin oder schlimmstenfalls Trotzki.

    Bucharin hätte mit dem Sozialismus in einem Land die SU zu einem ernsthaften, dabei im Kern friedlichen, Konkurrenten für die imperialistischen Länder des Westens gemacht. Aus Frust über die Perspektivlosigkeit im bürgerlichen Kapitalsimus wären vielleicht selbst deutsche Rechte in der Art eines Ernst Jünger nach "Moskau" gegangen. Da träfen sie dann auf US-amerikanische Ingenieure, die wegen eines Jobs dort waren.

    Trotzki hätte versucht, die Revolution mit Gewalt zu exportieren. Mag ich zwar nicht (ich wäre für Bucharin gewesen), aber als Gründer der Roten Armee hätte er sie dabei wohl nicht wie Stalin durch die Liquidierung des Offizierskorps an den Rand des Untergangs gebracht. Es wäre also militärisch eng für die westlichen Großmächte geworden. Sehr eng - uns Trotzki hätte sich z. B. darauf verlegen können, Alaska von den USA zurück zu fordern - so sehr ich Krieg verabscheue, so lustig wären es gewesen zu sehen, wie sie in Washington dabei Blut und Wasser schwitzen.

    Aber es kam Stalin. Millionen Tote galten als Aufbauleistung und jämmerliches Versagen im Zweiten Weltkrieg wurde nur deshalb als Sieg gefeiert, weil Hitler noch schlimmer war.

    2. Die "Neuordnung" Osteuropas

    Sie gilt offiziell als großer Sieg des Sowjetkommunismus, der den Westen damit in Angst und Schrecken versetzte. Da ist wohl was dran, aber es ist nicht die ganze Wahrheit.
    Offiziel mögen sie sich in den Ländern Westeuropas vor dem "Sowjetkommunismus" gegruselt haben, doch schon beim Kapital stelle ich mir das ambivalent vor. Was hat eigentlich das Kapital in Frankreich dagegen, dass die Konkurrenz in der CSR hinter dem Eisernen Vorhand verschwindet? Hat nicht die deutsche Teilung den Aufstieg des in Bayern ansässigen Kapitals erleichtert, weil die Konkurrenz in Mitteldeutschlang weg war?
    Wurde nicht politisch Westeuropa durch den Eisernen Vorhang an die USA angebuden - eine Bindung, die bis heute fortbesteht, ja sich sogar in Osteuropa massiv bemerkbar macht.

    3. Die Zerstörung Deutschlands und der Aufstieg Polens

    So um 1920 war für die Bolschewiki Deutschland nach Russland der nächste zu erobernde Staat. Mit dem Deutschen geht der Sozialismus richtig voran. Zu Polen dagegen hatten sie ein gestörtes Verhältnis und versuchten vergeblich, es wieder zu einem Teil Russlands zu machen.
    Also Deutschland top, Polen hop :rolleyes:
    1945 nun hätten die SU ungeachtet aller reichsdeutschen Verbrechen die Chance gehabt, zumindest einen großen Teil Deutschlands zum Partner zu machen. Und zwar wegen des materillen und moralischen Zusammenbruchs des Deutschen Reiches zu für die SU sehr günstigen Bedigungen. In Mitteldeutschland einen Satellitenstaat, aus Pommern, Schlesien und Ostpreußen Sowjetrepubliken - die Deutschen hätten es wohl für lange Zeit hingenommen und ihr wirtschaftliches und geistiges Potenzial erst einmal der SU und dem Sozialismus zur Verfügung gestellt. Ein russischer Hafen wäre in Königsberg auch dann möglich gewesen, wenn da noch die alten Bewohner gewesen wären.
    Die Westzone nun ... Adenauer ... sie hätten es vielleicht nicht so leicht gehabt, auf Antikommunismus zu machen und sich der Welt als einzige authentische Vertreter Deutschlands zu präsentieren.

    Es kam bekanntlich anders. Die Deutschen wurden aus den Ostgebieten vertrieben und das Gebiet an Polen gegeben. Die brauchten ja Ersatz für ihre Ostgebiete, die an Russland fielen. Anstatt sich Millionen ernüchterter Untertanen, Verbündeter und zumindest teilweise überzeugter Sozialisten zu schaffen, produzierte Stalin so für Russland und den Sozialismus Millionen durch die Flucht Traumatisierter und tendenziell Russen hassender und antikommunistisch eingestellter Menschen.
    Dafür erhielt das Projekt Großpolen auf ehemals deutschem Boden eine zweite Chance. Sie wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ausgiebig genutzt: wir haben heute ein gesellschaftlich reaktionären, wirtschaftlich und sozial ultrakapitalistisches und politisch an die USA angebundenes Polen. Glückwunsch an den Genossen Dschugaschwili - für so viel Mist musste auch Adolf erst einmal Anlauf nehmen.

    Tut mir Leid, aber ich habe dabei die Vorstellung, dass in Wirklichkeit der Westen auf die Zerschlagung und Verkleinerung Deutschlands gedrungen hat und Stalin da - wissentlich oder unwissentlich - kaum mehr als das Werkzeug der westlichen Großmächte war.

    4. Von Chruschtschow zu Breschnjew

    Nach Stalin kam Chruschtschow. Den halte ich zwar für einen skrupellosen Machtpolitiker, aber schließlich ist der Papst katholisch :rolleyes: Mein Eindruch ist, dass Chruschtschow bei allem Opportunismus noch am ehesten bestrebt war, den Sowjetsozialismus zu einem dem Westen gleichwertigen System zu machen. Die Methoden dazu waren fragwürdig, aber der Wille war vielleicht noch da. Nicht zuletzt hat er - wenn auch halbherzig - mit Stalins Politik gebrochen.
    In der Raumfahrt und im "Kalten Krieg" hat die SU unter ihm den Westen in Atem gehalten. Bei seinem USA-Besuch hatte ich den Eindruck: "Da kommt jemand, vor den die Amis Schiss haben."
    Doch Chruschtschow blieb nur ein Jahrzehnt an der Macht und nach ihm kam Breschnjew. Die konservative Readers Digest hat den Machtwechsel so charakterisiert: Unter Chruschtschow gab es ein "Tauwetter", das geistige Klima unter Breschnjew dagegen hat Intellektuelle so verzweifeln lassen, dass sie zur Flasche griffen. Uns Leonid blieb dann zwanzig Jahre und sowohl optisch als auch politisch scheint er das russische Gegenstück zu Kohl gewesen zu sein. Die Ära Breschnjew hat das Scheitern des Sozialismus besiegelt, die Ära Kohl ... :rolleyes:

    5. Von Stalinisten zum Neoliberalen - ein Schnellkurs in 5 Millisekunden

    Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus musste sich in Tschechien Dubcek schwere Vorwürfe gefallen lassen, weil er ernsthaft versucht hat, den Sozialismus zu einem "menschlichen" System zu machen. Für die Urheber dieser Vorwürfe war eines klar: der Sozialismus musste zugunsten des Kapitalismus abgeschafft werden, alles andere war Teufelswerk.
    Meines Erachtens ist das eine Denkstruktur, die nur zwei Zustände kennt:

    - den erbarmungslos autoritären stalinistischen Apparatschik
    - den ebenso erbarmungslosen Marktradikalismus ("Markt-Leninismus" hieß das in Tschechien)

    Alles was davon abseits liegt - liberatärer Sozialismus, Sozialdemokratismus, Soziale Marktwirtschaft - wird von den Protagonisten dieser Denkrichtung harsch abgelehnt. Zeige mir einen Neoliberalen und ich zeige dir einen Stalinisten :rolleyes:

    Und so sind sie die Zonendödel*, groß und klein, egal ob sie als Bundeskanzlerin ein Land kaputtmachen oder als Arbeitskolle mit neoliberalen Sprüchen nerven. Null Ahnung von den Schattenseiten des Kapitalismus, sie findes es alles ganz prima, weil sie selbst nach der Wende auf die "Butterseite" gefallen sind. Antikommunismus mag man ihnen noch nachsehen, doch ihre Lobgesänge auf den Kapitalismus sind der schiere Mist. Den Müll, den die Kapitalisten als große Errungenschaft verkaufen, hätte ein Bucharin oder vielleicht sogar ein Chruschtschow auch zustande gebracht - nur durften sie nicht.

    Alles Zufälle?

    Oder waren Stalin und die Stalinisten doch irgendwie - z. T. unabsichtlich, zum Teil vorsätzlich - Agenten des westlichen Kapitals?

    *PDS-Linke natülich ausgenommen und selbst der "SED-Rentner", der für die Linke Flugblätter verteilt, ist noch immer ein angenehmrerer Zeitgenosse als die prokapitalistischen Wendehälse
    Geändert von Beverly (15.10.2007 um 10:24 Uhr)

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