Wie sieht der Staat den Bürger?
Zunächst einmal sollte man klarstellen das „der Bürger“ nur ein verharmlosendes Synonym ist für eine, in den Augen des Politikers, vollkommen homogene Masse, die nicht selten auch als Gesellschaft umschrieben wird. Der Begriff Gesellschaft ist eine der grössten Perversionen der menschlichen Kulturgeschichte und gleichzeitig das wichtigste Instrument der Politik.
Gesellschaft, das ist nicht vielmehr als eine politische Verfügungsmasse, ein eigentlich brutales Werkzeug mit dem jeder Widerspruch auf eine subtile, fast sanfte Art und Weise erstickt wird.
Ironischerweise kann dieses Prinzip nur deshalb funktionieren, weil die Menschen eben keine homogene Masse bilden. Es beruht auf einer täglichen tragischen Erfahrung die hauptverantwortlich ist für das was wir im Allgemeinen als menschlich erachten. Diese Erfahrung, die ausnahmslos jeden Menschen betrifft, ist auch der Hauptbestandteil der meisten menschlichen Tragödien.
Es handelt sich um die Erfahrung das einzige Individuum in diesem Universum zu sein.
Das Gefühl völlig allein einer riesigen und eben weitgehend homogenen Masse gegenüber zu stehen, ist essenziell für jede menschliche Kultur. Die „Welt“ bleibt dem einzelnen gewissermaßen bis zum Schluss den Beweis schuldig das er nicht das einzige Individuum in ihr ist.
Aber ich will an dieser Stelle nicht zu weit ins philosophische abgleiten. Wichtig ist mir im Grunde nur diese eine, nicht relativierbare Aussage: so etwas wie eine Gesellschaft existiert nicht. Sie ist ein Produktum, ein bequemes Erklärungsmodell, konstruiert von unserem Verstand, der sich mit dem Anspruch überfordert sieht jeden der 6,3 Milliarden Einwohner dieses Planeten in seiner gesamten Individualität zu erfassen. Das Hauptargument dessen sich Politiker bedienen um beispielsweise soziale Einschnitte oder weitere Kontrollmechanismen zu rechtfertigen, basiert also auf einer fiktiven mehrheitlichen Gruppe. Man könnte es zugespitzt auch so formulieren dass Politiker Politik für nicht existente Menschen machen.
Ich werde mich im Übrigen, aus den oben genannten Gründen, hüten den Begriff „Bürger“ im weiteren Verlauf dieses Textes zu verwenden. Als Ersatz scheint mir „Individuum“ sehr nahe liegend. Was aber noch unvergleichlich nahe liegender scheint ist ein simples du.
Um zu begreifen wie der Staat dich sieht ist es notwendig einen kurzen aber klaren Blick in die Vergangenheit unseres Volkes zu werfen. Und dieser Blick fällt, wie sollte es auch anders sein, auf die Epoche die unsere gegenwärtigen Paradigmen wie keine zuvor geprägt hat. Und nicht zuletzt fällt dieser Blick auf den Menschen der wiederum diese Epoche mit seiner Anwesenheit überwuchert hat und der heute meist die erste Assoziation mit dem Wort „deutsch“ darstellt. Das sein Schatten auch nach 60 Jahren noch auf jedem „patriotischen“ Gedanken lastet, kann niemanden ernsthaft überraschen. Was aber macht diesen Mann zu einem so verheerenden, antidemokratischen Symbol? Die Antwort ist so simpel wie erschütternd. Es ist die nicht zu leugnende Tatsache dass der verheerendste Diktator der bisherigen Kulturgeschichte, nicht durch einen Putsch oder einen Königsmord zur Macht gelangte, sondern tatsächlich demokratisch gewählt wurde. Als man die Demokratie in ihrer heutigen Form erdacht hat, hatte man sich wohl nicht ansatzweise vorstellen können das Menschen derart irrational und selbst zerstörerisch wählen könnten. Das der Souverän freiwillig abdankte und seinen Henker zum absoluten Herrscher krönte, ist für die meisten von uns bis heute nicht fassbar. Nun mag mancher einwenden das die Entscheidung für Hitler, vor allem in den späten Dreissigern, durchaus nicht so irrational erschien wie Heute. Ich glaube allerdings nicht das es 1933 jemanden ausserhalb des rechten Lagers gab der wirklich glaubte das die Wahl Hitlers zu ernsthaften Veränderungen, oder gar Verbesserungen führen würde. Sein Sieg ist wohl ehr mit einer allgemeinen Resignation und dem einfachen Mangel an Alternativen zu erklären. Die Verwunderung die die Menschen befiel, als sie feststellten dass diese absurde Figur tatsächlich Erfolge erzielte, ist für uns Heutige gar nicht vorstellbar. Stell dir vor Deutschland stünde kurz vor dem Kollaps und sämtliche Politiker wären vollkommen unfähig. Aus purer Resignation (und weil er ausgesprochen unterhaltsam ist), wählt das Volk einen Orang utan zum „Führer der Nation“ und stellt nach einiger Zeit erstaunt fest das dieser tatsächlich die Arbeitslosenzahlen senkt, die Neuverschuldung kappt und die Renten sichert.
Hitler ist ein Produkt der Demokratie. Aus dieser Erkenntnis ist nicht der Schluss zu ziehen das die Demokratie, wie der Sozialismus auf dem Müllberg der Geschichte zu entsorgen sei. Wovon wir uns allerdings befreien müssen ist die Illusion das Demokratie allein ein Patentrezept gegen sämtliche Beschwerden der Menschheit darstellt. Politiker hängen noch immer der Vorstellung an, dass die Einführung der Demokratie in anderen Ländern in einer Art Automatismus praktisch zwangsläufig zu mehr Gerechtigkeit und höheren Wertmassstäben führt.
Seit mehr als 60 Jahren herrscht in der deutschen Politik eine Tiefsitzende Angst vor direkter Demokratie. Aus den zuvor genannten Gründen traut man dem „Souverän“ nicht länger. Man müht sich aber auch ihn auf jede erdenkliche art zu besänftigen, denn man fürchtet das es zu einem erneuten irrationalen Wutausbruch kommen könnte. Der Souverän wird gezielt infantilisiert und betäubt. Von den diversen Betäubungsmitteln sind die effektivsten das Dogma der „Normalität“ und der so genannte „Alltag“.