Schon seit langem geht mir folgendes Problem durch den Kopf:
Ich habe immer wieder mit Menschen zu tun, die in Abstufungen verschiedene Vorstellungen vom "guten Leben" und von einem "angemessenem System" haben. Diese Unterschiede fangen bei Dingen an wie
- lieber Stadt oder Land
- sexuelle Orientierung
- Vorstellung von einer idealen Familie
- Vorstellung von einem den eigenen Fähigkeiten angemessenem Arbeitsleben
Ideologisch macht sich dass an den geistigen Strömungen der Moderne fest:
- Nationalimus
- Konservatismus
- religiöser Fundamentalismus
- Liberalísmus
- Sozialdemokratie
- Sozialismus / Kommunismus
- Anarchismus
Auch an Gegensätzen wie
Technikbegeisterung vs. Technikfeindlichkeit
Bejahung des Fortschritts vs. Verwerfung des Fortschritts
Dann kommen noch die zahllosen Unterschiede zwischen verschiedenen Völkern und Kulturen hinzu. So würde ich ungern in Ostasien leben wollen, weil ich mir da angesichts der zierlichen Menschen mit ihren feinen Gesichtern wie eine Außerirdische vorkommen würde. Gastfreundliche Indios am Amazonas würdem dem Besucher aus fernen Ländern vielleicht einen 25 cm langen Hundertfüßler servieren - bon appetit etc.
Angesichts all dieser Unterschiede stellt sich zwangsläufig die Frage, ob das Streben nach einem einheitlichen und verpflichtendem Gesellschaftssystem nicht bestenfalls Unfug ist. In der Regel hat es immer in die Katastrophe geführt, egal ob es von Kommunisten, Faschisten oder Fundamentalisten unternommen wird. Und der Liberalismus ist da die Katastrophe, die wir noch vor uns haben :rolleyes:
Wenn jemand z. B. sein Volk / seine Nation / seine Kultur über alles stellt - "Nationalismus" - hat er zwangsläufig das Problem, dass es in dieser Nation Menschen mit grundlegend anderen Ansichten über die Gesellschaft gibt. So gesehen müsste ein Nationalismus einerseits verbindliche Kriterien setzen, andererseits Vielfalt zulassen. Die immer wieder zu beobachtende Verbindung von Nationalismus mit spezifischen Vorstellungen von einer Gesellschaft hat diese Gesellschaften entweder gespalten oder den Nationalismus zu einem Randphänomen gemacht.
Auf universalistischer Ebene - Kosmopolitismus, Menschheit - kann es eh nur Vielfalt geben. Wie sollen sich z. B. Indianer am Amazonas, Berber in der Sahara und Mitteleuropäer darauf einigen, was für sie ein "gutes Leben" ist?
Läuft diese Gemengelage nicht zwangsläufig auf zwei Modelle hinaus?
1. In großen Gemeinwesen mit vielen Millionen Angehörigen gibt es einen übergreifenden Konsens auf ideeller und materieller Grundlage und unterhalb dessen kann jeder nach seiner Facon selig werden. Man muss dann halt tolerant sein. Wer Toleranz nicht will oder das Leben auf so einem kleinen gemeinsamen Nenner ablehnt, für den gibt es Variante 2.
2. Das Leben in Gemeinwesen, wo sich alle mehr oder weniger strikt an die gleichen Regeln zu halten haben. Das können Projekte in der Art von Vierteln orthodoxer Juden sein, wo z. B. bezüglich Sabbatruhe strenge Vorschriften gelten. Es könnten aber auch - am anderen Ende des Spektrums - Homoviertel sein, wie es sie in diversen Großstädten gibt. In solchen Gemeinwesen gilt: willkommen ist nur, wer den Regeln entspricht und wer das nicht tut, wird im Extremfall rausgeschmissen.
Kulturelle Vielfalt kann durchaus - weil die verschiedenen Vorstellungen vom "guten Leben" so unterschiedlich sind - in einem Nebeneinander mit nur wenig Kontakt bestehen. Das Miteinander wäre schön, ich halte es aber oft für unrealistisch. Konflikte mag es geben, aber ein "Kampf der Kulturen" ist keine "kulturelle Vielfalt" sondern ihr Ende und Untergang. Beim Kampf geht es schließlich nicht darum, selbst gut zu leben, sondern anderen das Leben schwer zu machen oder es zu beenden :rolleyes:
Also: brauchen wir ein System für alle Menschen oder ist das falsch und verhängnisvoll?