Warum werden in Deutschland so wenig Ausländer zu Inländern? Die türkischstämmigen Einwanderer brauchen einen Impuls wie die 68er-Revolte, fordert der Grüne Cem Özdemir. Die Protagonisten eines solchen Aufstandes gibt es längst.
Doch führt die Diskussion um Erdogans Rede ins Abseits. Die entscheidende Frage ist doch nach wie vor: Warum werden in Deutschland so wenige Ausländer zu Inländern? Warum muss Angela Merkel ausdrücklich klarstellen, dass sie auch die Bundeskanzlerin der Deutschtürken ist? Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass selbst in Deutschland geborene Jugendliche den Ministerpräsidenten eines Landes sehen wollen, das sie selbst nur vom Urlaub kennen dürften. Offenbar fühlen sie sich bei einer solchen Veranstaltung wohler und besser akzeptiert als bei einem Parteitag der CDU - was angesichts des Wahlkampfs dieser Partei in Hessen auch nicht verwunderlich ist.
Doch damit spiegelt Böhmer nur das problematische Verhältnis der Union zur deutsch-türkischen Bevölkerung wieder. Denn während sich Teile der Migranten zurückziehen und die SPD in der Integrationspolitik so gut wie gar nicht mehr vorkommt, hält es die Union immer noch nicht für nötig, sich zu öffnen.
Dabei wäre es an ihr, auch um die Stimmen der konservativen Deutsch-Türken zu werben und so einen grundlegenden Wandel der politischen Kultur in diesem Land einzuläuten. Immerhin haben sich seit Mitte der Siebziger Jahre über 700.000 Türken einbürgern lassen, hinzukommen ihre Kinder, die als deutsche Staatsbürger geboren wurden.
Früher haben wir uns beklagt, dass es zu wenige Vorbilder und Brückenbauer gäbe. Heute muss ich feststellen, dass es sie gibt, aber ihr Potenzial von Gesellschaft und Politik zu wenig wahrgenommen wird. Ob nun der habilitierte Psychologe Haci Halil Uslucan, der Publizist Zafer Senocak, die Rechtsanwältin Seyran Ates, die Pädagogin Sanem Kleff, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Kenan Kolat oder der Generalsekretär der alevitischen Gemeinde Ali Ertan Toprak, um nur einige zu nennen - das sind die zivilgesellschaftlichen Akteure, die Zugang zur türkischstämmigen Bevölkerung haben und mit denen die Partizipation der Migranten verbessert werden kann.
Ich will nicht so weit gehen, ihnen die Rolle der 68er bei den Deutschtürken zuzusprechen. Doch genau das braucht es, um zu verhindern, dass Teile der Deutschtürken auf Dauer zu den Aussiedlern der Türkei werden: die Überwindung autoritärer Erziehungsvorstellungen, das Ankommen im Hier und Jetzt und der Marsch durch die Institutionen