Gestern kam im Fernsehen eine Umfrage zu den Wahlen in Hamburg: die Linke wird demnach mit 7 Prozent glatt dein Einzug in das Parlament schaffen. Den Rest ... kann man das nicht vergessen?
Die CDU wird wohl die meisten Stimmen kriegen, weil Ole von Beust für die SPD nicht so ein mobilisierendes Feindbild ist wie Roland Koch in Hessen. Doch zu einer Mehrheit allein oder mit der FDP reicht es der CDU nicht. Dann geht sie halt mit den Grünen zusammen, ist eh alles eine trübe Soße :rolleyes:
Die SPD wird auch in Hamburg am Projekt 18 arbeiten, die Rechten werden sich mit 1 Prozent und der Wahlkampfkostenerstattung zufrieden geben oder mit eine populistischen Partei ins Parlament einziehen, die ebenso verschwinden wird wie "Stattpartei" und "Schillpartei". Da ist doch Politik richtig aufregend , so spannend, wie alle um die große Welt und das Wohl der Heimat gar titanisch ringen
Ja, es ist so spannend, erderschütternd und sturmflutend, dass vermutlich 40 oder mehr Prozent der Wahlberechtigten zu Hause bleiben werden. So sehr ich Roland Koch auch für ein A.... halte, so muss ich dem wenigstens zugestehen, er hat Politik noch so betrieben wie sie zumindest im Fall des Dissens sein sollte: polarisierend und demagogisch. Wulf dagegen hat eingeschläfert und damit gewonnen und so wird es IMHO auch in Hamburg laufen.
Was hat das nun alles mit der Linkspartei zu tun?
Es zeigt für mich, dass die Linke sozusagen "außer Konkurrenz" zu den o. g. Trauerhaufen läuft. Sie mag Stimmen von der SPD und in gerigerem Ausmaß von CDU und Grünen auf sich ziehen. Doch die allermeisten dieser Wähler und Wählerinnen würden entweder gar nicht oder eine Kleinpartei wählen, wenn es die Linkspartei nicht gäbe.
Die Linkspartei steht nicht so sehr in der Konkurrenz zu den Etablierten, sondern in einer Auseinandersetzung zu den Resignierten und Nichtwählern, die mittlerweise 30 bis 50 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen.
Die Konkurrenz mit den Etablierten hat die Linke mit Leichtigkeit gewonnen. "Wir treiben sie vor uns her", tönt es da bei der Linken. "Wir verändern die Republik!"
Ja, die Linke hat noch soziale Inhalte und schreibt sich das Wohl derjenigen Menschen auf die roten Fahnen, welche die anderen Parteien gar nicht mehr wahrnehmen. Bei deren Menschenferne ist zum Beispiel der Einzug in die Hamburger Bürgerschaft absolute Pflicht. Würde die Linkspartei da an den 5 Prozent scheitern, könnte sie sich von den NPDlern die nach Hessen und Niedersachsen vollgeheulten Taschentücher ausleihen - sie hätte dann nämlich ebenso grandios Mist gebaut.
Doch in der Auseiandersetzung mit den Resignierten und Nichtwählern hat die Linkspartei noch keine großen Fortschritte gemacht. Sonst wäre sie auch im Westen zweistellig und stände bundesweit bei 20 Prozent. Sachsen würde als erstes Bundesland von der Linken regiert werden und sei es in einer von NPD und Grünen tolerierten Minderheitsregierung
Ehe es so weit ist stellt sich die Frage: quo vadis, Linkspartei?
Da gibt es verschiedene Antworten:
1. Sich ganz vom System vereinnahmen lassen.
Also den Weg der Grünen zu gehen. Aber wer braucht eine Linkspartei noch, die auch nur "neoliberale Kacke" mitträgt? Eine Partei, welche seit Jahr und Tag als Anwalt der "kleinen Leute" Mandantenverrat begeht haben wir doch schon in Gestalt der SPD. Das reicht X( !
2. Beim Mitregieren auf dem Politikwechsel bestehen
Man ist zwar offen für Koalitionen mit anderen Parteien, besteht aber auf dem Politikwechsel. Das kann mit SPD und Grünen sein, muss aber nicht einmal darauf beschränkt sein. Eine britische Zeitung brachte eine Koalition aus Union und FDP mit der Linken in die Diskussion. Union und FDP sollten da die Wirtschaft voranbringen und die Linke für das Soziale sorgen. Wenn Union und FDP "Wirtschaftsparteien" im Sinne eines dynamischen und zeitgemäßen Systems wären, ginge das sogar. Die Wirtschaft schafft die Werte und die Linke sorgt für eine halbwegs gerechte Verteilung. Doch so wie Union und FDP sind, ist das pure anarchokapitalistische Utopie.
Selbst mit SPD und Grünen scheint ein Politikwechsel kaum machbar zu sein. In Berlin erlebe ich die Linke an der Regierung bestenfalls wie Sozialmama in der Prügel-Ehe, die den asozialen und versoffenen Haustyrannen SPD daran hindern will, gar zu arg auf die Kinder einzudreschen. Wobei der Haustyrann sich zu allem Übel nach außen die Maske des schwulen Biedermannes aufsetzt.
Soll das die Zukunft unter roter Fahne sein? Sozusagen ein demokratisch weichgespülter neoliberaler Stalinismus?
3. Auf radikal machen
Das System ist nicht mehr vor sich selbst zu retten und was fällt, das soll man stoßen. Die Linke stellt also weiterhin die Systemfrage, plädiert für Verstaatlichungen resp. Wiederverstaatlichungen von Unternehmen. In die Grube, in die schon der DDR-Sozialismus gefallen ist, wird der BRD-Kapitalismus folgen. Die Linke klappt dann den Sargdeckel zu, das Grab bekommt ein paar schöne Blume und der 90jährige Gregor Gysi hält die Trauerrede.
Danach kommt etwas, was sich nicht als 1876. Verkörperung des deutschen Obrigkeitsstaates outet, sondern wo Mensch leben kann.
Doch am Rand ist es nicht so bequem, wie es angesichts der absurden Mischung aus Chaos und Langeweile in der Mitte scheint.
Problem 1: bis zum Tag X, an dem ihnen der Anarchonationalsozialismuspostkapitalismus alle Sorgen abnehmen wird oder sie in die Lage versetzen wird, selbst für sich zu sorgen, muss die Klientel der Linken in einem System überleben, das nicht mehr für sie sorgt und wo sie aber auch nicht auf eigenen Beinen stehen können. Wenn einem die Linkspartei aber nicht hilft, im Hier und Jetzt zu überleben, dann braucht man sie auch am Tag X nicht.
Problem 2: Wenn sich die Linke partout verweigert, werden SPD und Grüne das soziale Mäntelchen schwingen und einer fundamentaloppositionellen Linken die Schuld geben, dass weiterhin neoliberale Politik gemacht wird.
Als radikale Partei muss sich die Linke, und sei es noch so negativ, mit den anderen Radikalen inhaltlich auseinandersetzen. Wenn man als Radikaler konstatiert, dass mit Exponenten der Mitte keine inhaltlichen Diskussionen mehr möglich sind, muss man sich seine intellektuellen Sparringspartner woanders suchen. Die oft sozialdemokratisch daherkommende Linkspartei hat da als Kontrahenten die ganz Linken in den eigenen Reihen - MLPD, Autonome ... - und die NPD. Sie kann auch ruhig der Meinung sein, die NPD bekämpfen zu müssen - dafür spricht vieles - aber sie muss es inhaltlich tun. Vor allem darf sich die Linke nicht einbilden, Gegnerschaft zur Rechten bringt ihr die Anerkennung des Mainstreams. Der will ihre Funktionäre allenfalls instrumentalisieren und sieht in ihren Anhängern sowieso nur rote Nazis.
Also: quo vadis, Linkspartei?