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Thema: Der Reichstagsbrand

  1. #1
    in memoriam Benutzerbild von Tell05
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    Standard Der Reichstagsbrand

    1933
    Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand
    Vor 75 Jahren brannte der Reichstag in Berlin. Es nutzte den Nazis. Sofort angeklagt und bald hingerichtet wurde der junge Holländer Marinus van der Lubbe. Die Forschung sagt: Er war es wirklich. Die Debatte über den oder die wahren Täter hält bis heute an - obwohl die Lösung ganz einfach ist.

    Von Eckhard Jesse



    An diesem Mittwoch vor 75 Jahren, am 27. Februar 1933, kurz nach 21 Uhr, stand der Reichstag in Flammen. Dieser Brand löste in der Öffentlichkeit große Emotionen aus, damals wie heute. Kein Wunder: Die Nationalsozialisten benutzten das Feuer, um mit einer Notverordnung "zum Schutze von Volk und Staat" die Grundrechte massiv und "bis auf weiteres" einzuschränken, massenhaft Kommunisten und andere Hitler-Gegner zu verhaften. Damit ebneten sie den Weg in die Diktatur. Der Reichstagsbrandverordnung kommt eine ähnlich zentrale Bedeutung zu wie dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933.

    Gemäß dem Grundsatz "Cui bono? - Wem nützt es?" dominierte lange die Annahme, die Nazis selbst seien die Brandstifter. Dann führte der Hannoveraner Ministerialbeamte Fritz Tobias 1959/60 in einer langen "Spiegel"-Serie zahlreichen Indizien an, die für die Alleintäterschaft des Holländers Marinus van der Lubbe sprachen. 1962 folgte sein Buch "Der Reichstagsbrand. Legende und Wirklichkeit". Allmählich akzeptierte die Forschung Tobias' Interpretation.

    Gefälschte Dokumente nach 1945

    Doch nicht alle wollten die neuen Erkenntnisse hinnehmen. So schreckte ein von dem zwielichtigen Journalisten Edouard Calic ins Leben gerufenes "Luxemburger Komitee" nicht einmal davor zurück, gefälschte Dokumente zu präsentieren. Sie sollten aus der DDR stammen, die Originale lägen hinter dem Eisernen Vorhang, hieß es - doch nach 1990 hörte man davon nichts mehr.

    Nach der deutschen Einheit, als die wissenschaftliche Öffentlichkeit Einsicht in die bis dahin erst in Moskau, dann im SED-Archiv verwahrten Untersuchungs- und Prozessakten erhielt, suchten Verfechter der NS-Täterschaft neue Belege. Doch vergebens: Wären in den Materialien Anhaltspunkte für die Täterschaft der Nationalsozialisten auszumachen gewesen, so hätte dies die SED, deren Stolz auf den kampfesmutigen Georg Dimitroff Legende ist, längst ausgeschlachtet.


    Schließlich firmierte der Reichstagsbrandprozess für Kommunisten als ein propagandistisches Paradebeispiel: Von den Nationalsozialisten tatsächlich zu Unrecht beschuldigt, nutzen sie die Brandstiftung und den anschließenden Prozess zur antifaschistischen Agitation.

    Manche Historiker, des unerquicklichen Streits überdrüssig, nehmen heute die salomonisch wirkende Haltung ein, die Urheberschaft am Brand sei ungeklärt, gar unklärbar. Das letzte Rückzugsgefecht besteht darin, die Beweislast zu verschieben: Man müsse die Nichtbeteiligung der Nationalsozialisten am Brand nachweisen. Aber wie soll der Beleg für die Nichtexistenz des Ungeheuers von Loch Ness gelingen? Die Annahme Rudolf Augsteins, nach der "Spiegel"-Serie werde nicht mehr über die Urheberschaft am Reichstagsbrand gestritten, entpuppte sich als krasse Fehlprognose. [...]

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    Wie heißt es immer? "Time will tell"
    Ich bin eigentlich ganz anders, ich komme nur so selten dazu.

  2. #2
    a.D. Benutzerbild von Gärtner
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Nichtsdestotrotz führt die Kombination der Frage cui bono? und die Feststellung der erstaunlichen Geschwindigkeit, mit der die Nazis bereits am Folgetag die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" initiierten und damit die Weimarerer Verfassung faktisch außer Kraft setzten, zu sehr interessanten Ergebnissen.
    "Die beiden Gelehrten Gabundus und Terentius diskutierten 14 Tage und 14 Nächte
    lang über den Vokativ von Ego. Am Ende griffen sie zu den Waffen."

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  3. #3
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Zitat Zitat von Der Gelehrte Beitrag anzeigen
    Nichtsdestotrotz führt die Kombination der Frage cui bono? und die Feststellung der erstaunlichen Geschwindigkeit, mit der die Nazis bereits am Folgetag die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" initiierten und damit die Weimarerer Verfassung faktisch außer Kraft setzten, zu sehr interessanten Ergebnissen.
    Kalter Kaffee! Das Ergreifen subversiver, staatsfeindlicher und volksschädlicher Elemente wäre auch ohne Feuerzauber möglich und notwendig gewesen - das beste Gegenargument!

    "Lieber entdeckte ich einen Satz der Geometrie, als daß ich den Thron von Persien gewänne!"
    Thales von Milet (Philosoph, Staatsmann und Mathematiker 624 v.u.Z. - 546 v.u.Z.)

  4. #4
    Hände weg von Syrien! Benutzerbild von cajadeahorros
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Zitat Zitat von Kreuzbube Beitrag anzeigen
    Kalter Kaffee! Das Ergreifen subversiver, staatsfeindlicher und volksschädlicher Elemente wäre auch ohne Feuerzauber möglich und notwendig gewesen - das beste Gegenargument!
    Und die "Ergreifung" der Immunität unterliegender Reichstagsabgeordneter? Wäre die auch ohne "Feuerzauber" möglich gewesen?

    Ein bisschen Theater für den Pöbel muss immer sein, damals gab es noch kein Fernsehen um die Untertanen zu behämmern.
    Auf geb' ich mein Werk; nur Eines will ich noch: das Ende - das Ende!

    (Wotan, Die Walküre)

  5. #5
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Ja, die False-Flag-Theorie ist ja seit dem 11.09.01 beliebter denn je.

  6. #6
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Aussage von Generalstabschef Franz Halder in Nürnberg:

    »Anläßlich eines gemeinsamen Mittagsmahls am Geburtstag des Führers 1942 kam in der Umgebung des Führers das Gespräch auf das Reichstagsgebäude und seinen künstlerischen Wert. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie Göring in das Gespräch hineinrief: ›Der einzige, der den Reichstag wirklich kennt, bin ich; ich habe ihn ja angezündet.‹ Dabei schlug er sich mit der flachen Hand auf die Schenkel.«

    Quelle: [Links nur für registrierte Nutzer]
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    ignore: Lichtblau

  7. #7
    a.D. Benutzerbild von Gärtner
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Zitat Zitat von Kreuzbube Beitrag anzeigen
    Kalter Kaffee! Das Ergreifen subversiver, staatsfeindlicher und volksschädlicher Elemente wäre auch ohne Feuerzauber möglich und notwendig gewesen - das beste Gegenargument!
    Ganz im Gegenteil, die weitreichende Aufhebung der durch die Verfassung garantierten Grundrechte fand eben erst durch die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" statt.
    "Die beiden Gelehrten Gabundus und Terentius diskutierten 14 Tage und 14 Nächte
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  8. #8
    Mitglied Benutzerbild von Kreuzbube
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Zitat Zitat von cajadeahorros Beitrag anzeigen
    Und die "Ergreifung" der Immunität unterliegender Reichstagsabgeordneter? Wäre die auch ohne "Feuerzauber" möglich gewesen?

    Ein bisschen Theater für den Pöbel muss immer sein, damals gab es noch kein Fernsehen um die Untertanen zu behämmern.
    Zitat Zitat von ochmensch Beitrag anzeigen
    Ja, die False-Flag-Theorie ist ja seit dem 11.09.01 beliebter denn je.
    Ich möchte mir da wirklich kein abschließendes Urteil bilden - das WTC war immerhin stark sanierungsbedürftig, der Reichstag nicht!:shrug:

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  9. #9
    Mitglied Benutzerbild von Kreuzbube
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    Standard AW: Die Nazis und die Schuld am Reichstagsbrand

    Zitat Zitat von Der Gelehrte Beitrag anzeigen
    Ganz im Gegenteil, die weitreichende Aufhebung der durch die Verfassung garantierten Grundrechte fand eben erst durch die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" statt.
    Meine ich doch - Gelegenheiten, Vorwände und Gründe gab es garantiert zu Hauf; Kommunisten-Randale, Schießereien, Propaganda-Delikte u.ä.! Es gab garantiert Mittäter, aber nicht Görings Leute - warum hätte der Kommunist v.d.L. diese bei den Verhören schützen sollen; dies wäre vollkommen unlogisch!

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  10. #10
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    Standard Der Reichstagsbrand (mit viel Text)

    Anbei eine kleine Fingerübung zum Thema Reichstagsbrand, damit der Text nicht nur bei meinen Diskussionskumpels im first life ungelesen herumliegt sondern auch hier:


    Vor 75 Jahren brannte der Deutsche Reichstag...
    Nein, keine Angst, im folgenden wird keine Betroffenheit gefordert. Denn der „verordnete Antifaschismus“, den man von Seiten der BRD an der DDR so bemäkelte, der aber ausschließlich auf dem Gebiet Westdeutschlands (und jetzt Gesamtdeutschlands) in diesem schlechtesten aller Sinne so praktiziert wird, ist mir ebenfalls zuwider. Ebenso zuwider wie der verordnete Antikommunismus, dem seit 1990 wohl mehr als 75% der KZ-Gedenkstätten, Denkmäler und Erinnerungstafeln auf dem Gebiet der DDR zum Opfer fielen – denn auf ihnen wurde völlig wahrheitsgemäß darauf hingewiesen, dass es halt nun einmal vor allem Kommunisten waren, die seit 1933 den einzigen organisierten Widerstand gegen das NS-Regime zustandebrachten und entsprechend bereits ab 1933 die Mehrzahl der KZ-Insassen stellten, in Dachau mehr als 75% (was man aus den dort erhältlichen Broschüren nur erschließen kann, der verhasste Name wird nicht genannte, man nennt nur die Zahl der Gesamthäftlinge und im einzelnen die genehmen Opfergruppen, sinngemäß etwa so: Im Lager waren 25 katholische Priester, 13 evangelische Priester, 30 Konservative, 17 Adelige und 2000 „andere politische Gefangene“ inhaftiert). Die neue, gesamtdeutsche „Erinnerungskultur“ ist sich nicht einmal zu fein, nach Widerstandskämpfern benannten Straßen in Ostdeutschland wieder einen staatstragenden Namen zu geben, wen interessieren schon ein paar hingerichtete rote Ratten und Vaterlandsverräter. Was ist ein jahrelang aktiver Widerstandskreis um Georg Schumann im Vergleich zu unseren braven christlichen Studenten Scholl. Was ist ein Richard Sorge schon gegen unseren herrlichen Oberst Stauffenberg. Und wer ist überhaupt Georgi Dimitroff? Ein stalinistischer Verbrecher, sonst nichts, in 20 Jahren kennt ihn sowieso niemand mehr...

    Die Stoßrichtung ist klar. Der „Führer“ war ein unerklärlicher Betriebsunfall, Widerstand war von einem auf den anderen Tag nicht möglich, nur die guten, bürgerlichen Kräfte, das Militär und die Kirchen haben verzweifelt versucht, uns zu retten. Und egal was der Führer verbrochen hatte, die Kommunisten waren fast genauso schlimm. Das „beweisen“ inzwischen auch die „Massengräber“ die prompt nach der Wende in Buchenwald entdeckt wurden und die prompt als Ruhestätte von unschuldigen Opfern der stalinistischen Säuberung erklärt wurden. Dass laut Auskunft an der Bergung beteiligter Personen so gut wie alle Leichen sowjetische Erkennungsmarken trugen interessierte niemand so richtig, Opfer mussten her, also wurden sie gefunden, und schnell wurde auf dem Massengrab ein weitläufiges Ehrenmal errichtet das, wenn denn überhaupt „Opfer des Stalinismus“ dort vergraben wurden, den freiheitlich-demokratischen Politikern in bester Tradition von Globke bis Lübke eine Möglichkeit gibt, mit einem Augenzwinkern Kränze zur Erinnerung an die selbst auf dem Gebiet der SBZ sehr sehr wenigen tatsächlich hingerichteten Kriegsverbrecher oder KZ-Aufseher abzulegen.

    Zurück zum Reichstag. Ausgangspunkt der Ausstellungen in den Gedenkstätten auf dem Gebiet der DDR waren die Stufen der „Machtergreifung“, die ja laut BRD-Schulunterricht direkt demokratisch stattgefunden haben soll. Diese Schautafeln wurden als erstes entfernt, denn lernen sollen die in die Gedenkstätten gekarrten Schüler nichts mehr. Nur erschaudern ob der so unverständlichen Gräuel, sich der eigenen Erbsünde erinnern und Buße tun – und nie vergessen: Die Kommunisten waren mindestens genauso schlimm, im Gegensatz zu Dachau kann man es im Osten sogar „beweisen“.

    Aber was geschah wirklich 1933? Dazu müssen wir erst einmal zurück ins Jahr 1932. Es gibt für alles eine Generalprobe, selbst für eine „demokratische“ Machtergreifung. Sie fand Reichskanzler Franz von Papen in Preußen statt, als der ehemalige Leiter der katholischen Zentrumspartei mit Billigung des Reichspräsidenten von Hindenburg die demokratische Regierung unter SPD Ministerpräsident Otto Braun nach Hause schickte und eine Gruppe von Statthaltern einsetzte, die den größten Teilstaat des Deutschen Reichs und seinen Unruheherd Berlin besser unter Kontrolle bringen sollten. Nachdem man befriedigt festgestellt hatte, dass die SPD „Ruhe zur ersten Bürgerpflicht“ ernannte und nicht im Traum daran dachte, für „Freiheit und Demokratie“ zu kämpfen (die KPD forderte einen sofortigen Generalstreik), ging man das Problem des Gesamtreichs an. Ende 1932, eine Reichstagswahl später, stellte die NSDAP zwar noch die größte Fraktion, erlitt aber erstmals Stimmeneinbußen während die Kommunisten nochmals zulegen konnten und der – im schlechten Sinne zuverlässigen – SPD den Rang abzulaufen drohten. Es eilte also.

    Nachdem Hitler eine Werbetour durch die Vorstandsetagen der deutschen Wirtschaft hinter sich gebracht hatte und sich nachdrücklich von den scheinsozialistischen Elementen seines Parteiprogramms distanziert hatte („Ich stehe zum Privateigentum“), konnte der widerstrebende Hindenburg dazu gebracht werden, den österreichischen Radaubruder zum Reichskanzler zu ernennen. Die DNVP um den Großverleger Hugenberg stellte den Koalitionspartner und die Mehrzahl der Kabinettsmitglieder, von Papen gab den Vizekanzler und den das Großbürgertum beruhigenden Aufseher über die „neuen Kräfte“. Insoweit sah man sich mit einem „eingebundenen“ Hitler bestens gerüstet für den Kampf gegen die Kommunisten und gönnte den braunen Straßenkämpfern gerne ihren Fackelzug durch Berlin.

    Auftritt Hermann Göring. Der Fliegerheld aus dem Weltkrieg war aufgrund seiner Herkunft aus dem gehobenen Bürgertum und der alten Verwaltungskaste des Kaiserreichs bei den anderen mehr oder weniger demokratischen Politikern wesentlich höher im Kurs als der „böhmische Gefreite“ aus Braunau mit der Reputation eines Bierhallenredners und Straßenschlägers. Der Dicke war bereits seit Mitte 1932 Präsident des Reichstags (als Fraktionsführer der stärksten Gruppierung) und damit dritter Mann im Staat. In der neuen Regierung wurde er „Minister ohne Geschäftsbereich“ und zusätzlich noch kommissarischer Innenminister in Preußen wo er sich als erstes daran machte, die Polizei von „unzuverlässigen“ Kräften zu säubern. Eines der ersten Opfer war Robert Kempner dem Göring später, unter veränderten Bedingungen, im Nürnberger Prozess wieder traf – ein seltenes Beispiel für den Satz dass man sich immer zweimal begegnen würde. 20.000 SA-Männer wurden im Gegenzug zu „Hilfspolizisten“ ernannt. Durch eine für März 1933 angesetzte Wahl wollte man die schöne neue Welt vom Volk bestätigt wissen.

    Doch wie konnte man jetzt und für alle Zeit der Kommunisten Herr werden? Wilde Gerüchte machten die Runde, jeder wusste, dass man irgendeinen möglichst publikumswirksamen Anlass benötigte, um „Führer der KPD“, „Führer der freien Gewerkschaften“ und andere missliebige Personen zu verhaften – die erforderlichen „Schwarzen Listen“ mussten von den zuständigen Behörden auf höchste Anordnung hin „bis zum 26. Februar“ fertig sein. Am wahrscheinlichsten erschien den politisch interessierten Menschen ein fingiertes Attentat auf einen führenden Politiker der NSDAP während der berühmte Hellseher Hanussen ein „großes Feuer“ voraussagte. Er sollte Recht behalten. Bereits eine Stunde bevor der erste Alarm bei der Feuerwehr einging erkundigte sich ein weiterer „Hellseher“, SA-Obergruppenführer Achim von Armin, telephonisch bei Hugenbergs Nachrichtenbüro „Telegraphen-Union“ was denn von Gerüchten zu halten sei, dass der Reichstag brenne.

    Das Geschehen kann fast vollständig rekonstruiert werden. Einige Tage vor dem geplanten Termin (die „deadline“ gibt die Anweisung zur Erstellung der Verhaftungslisten vor, ein Treffen NSDAP-Parteispitze am Mittag des Brandtages konnte nachgewiesen werden) begannen die direkten Vorbereitungen. Göring zog „aus Platzmangel“ aus dem hinter dem Parlamentsgebäude gelegenen Palais des Reichstagspräsidenten aus, ein Sonderkommando der SA zog samt Feldbetten, reichlich Bier (kein Witz!) und Brandbeschleunigern in den Ballsaal des Palais ein. Von wem die eigentliche Idee stammte, ist nicht zu klären. Hitler hatte bereits 1931 die Überzeugung geäußert, die „Schwatzbude“ müsse verbrannt werden „um das Volk zu retten“, vermutlich war es damals aber eher symbolisch gemeint. Für die grobe Planung dürften aber Heydrich und Kurt Daluege verantwortlich gewesen sein, als direkte Beteiligte an der operativen Durchführung der Brandstiftung kann man zumindest den SA-Gruppenführer Karl Ernst und den SA-Standartenarzt Dr. Erwin Villain identifizieren.

    Durch einen unterirdischen Heizungsgang wurde, von mehreren Zeugen indirekt beobachtet, das Brandmaterial vom Präsidentenpalais in den Reichstag geschafft. Am Brandtag selbst wurde, nachdem der letzte Abgeordnete das Haus verlassen hatte (ein NSDAP-Mitglied, nicht wie behauptet der KPD-Fraktionsleiter Torgler) der Plenarsaal und andere Teile des Gebäudes nachweislich mit Petroleum, Schwefel und Phosphor (letzteres vermutlich als selbstentzündliches Gemisch) präpariert. Als Sündenbock lotste man den holländischen Anarchisten und mit einer kleineren kommunistischen Gruppierung sympathisierenden Marinus van der Lubbe in den Reichstag. Lubbe hatte während seines Aufenthalts in Berlin bereits versucht, einige andere Gebäude (auch das Stadtschloss) mit den bald berühmten „Kohlenanzündern“ anzustecken, ohne allerdings mehr als ein Brandloch in einem Teppich zu verursachen. Einer seiner „Verbindungsmänner“ aus der Berliner Spitzelszene dürfte der nie gerichtlich belangte Mitropa-Schaffner Kurt Starker gewesen sein, dem häufige Besuche in Holland nachgewiesen werden konnten und bei dem Lubbe einen oder zwei Tage in Berlin übernachtete. Während der zu 75% erblindete Holländer im Restaurant, in den Wandelgängen und in einigen anderen Räumen des Reichstags ein wenig herumzündelte und immerhin Vorhänge, Servietten und Sofas in Brand stecken konnte (die meisten Brände gingen von selbst wieder aus oder konnten mit einfachen Eimerspritzen gelöscht werden), fing der größtenteils aus schwerem Eichenholz gebaute Plenarsaal schnell Feuer und brannte innerhalb von höchstens einer halben Stunde vollständig aus. Dieses Ergebnis ist überaus bemerkenswert, denn einer der damaligen Brandsachverständigen schafften es in Experimenten nicht einmal, mit den Lubbe zur Verfügung stehenden Brandbeschleunigern (Kohlenanzünder) einen einzelnen baugleichen Tisch anzuzünden.

    Die aus Sicht der Brandstifter ärgerlich rasch alarmierte Feuerwehr (der erste Löschzug war fünf Minuten nach dem ersten Alarm und höchstens 12 Minuten nach dem ersten von Zeugen gehörten Einbruchsgeräuschen vor Ort) konnte den Brand im Plenarsaal noch in seiner ersten Phase beobachten. Die als erstes eingetroffenen Feuerwehrleute beschrieben einen an sich unversehrten Saal mit planmäßig angelegten, klar unterscheidbaren Brandnestern auf dem Rednerpult und den Regierungsbänken. Sie äußerten – wie fast alle zeitgenössischen und späteren Experten – sofort die Überzeugung, dass das Feuer unmöglich von nur einem Täter gelegt worden sein könne. Sie bezeugten auch einen zweiten Verhafteten (genannt „Schornsteinfeger“), von dem man aber nie mehr etwas hörte. Ebenso ungeklärt blieb die Identität zweier Polizisten, die der frisch eingetroffenen Feuerwehr mit gezogener Waffe den Zugang zum Keller des Reichstags verwehrten – nagelneuen Uniformen wurden später vor einem Seitenportal gefunden. Der Leiter der Feuerwehr Gempp berichtete im späteren Prozess außerdem von Resten von Chemikalien die er auf Möbeln fand und von großen Blechkannen im Stenographenraum direkt unter der Rednertribüne des Plenarsaals.

    Mit gespieltem Erstaunen nahm die NS-Führung vom Brand Kenntnis – Goebbels, Göring und Hitler waren trotz der laufenden „heißen Phase“ des Wahlkampfs innerhalb weniger Minuten vor Ort um den wartenden Journalisten die Mär von der Brandstiftung der Kommunisten in die Feder zu diktieren (Lubbe war noch nicht einmal verhört, „Unschuldsvermutung“ war bereits damals ein Fremdwort). Das wichtigste Ziel des Brands wurde erreicht: Reichspräsidenten Hindenburg unterzeichnete die „Brandverordnung“, auf deren Basis die Bürgerrechte „bis auf weiteres“ (also bis 1945) außer Kraft gesetzt wurden. Sie bildete die „rechtliche“ Grundlage zu den bereits vorbereiteten Massenverhaftungen, in den Tagen nach dem Brand landeten mehr als 5.000 Personen in den schnell überfüllten Gefängnissen und in ersten, improvisierten Lagern. Ein zweites Ziel, der erträumte glänzende Wahlsieg der NSDAP, scheitertet allerdings. Statt 50+X wurden nur 44% der Stimmen erzielt. Die Mehrheit zur Verfassungsänderung und zur Etablierung der Diktatur konnte aufgrund des Wahlergebnisses nur durch einen Verfassungsbruch erreicht werden. Die Stimmen der KPD wurden annulliert während die SPD in der entscheidenden Abstimmung ihre vorab als nutzlos zu erkennenden Gegenstimmen abliefern durfte, dass sie der schlechten Komödie durch ihr Erscheinen den Anschein der Legalität gab, soll ihr auf ewig zur Schande gereichen (Göring selbst, so die Anekdote, soll einige übereifrige SA-Deppen zur Ordnung gerufen haben, als sie SPD-Abgeordnete am Betreten der Kroll-Oper hindern wollten).

    Zurück zum Brand. Da im In- und Ausland ein wenig zu offen über die Version der kommunistischen Verschwörung gelacht wurde, u.a. hatten diplomatische Vertreter aus Polen, der Schweiz und Frankreich kurz nach dem Brand auf Basis der Zeugenaussagen ein recht detaillierte Beschreibung der Geschehnisse an ihre Regierungen gemeldet, legte man die weitere Untersuchung sicherheitshalber in die Hände einer flugs gebildeten „Brandkommission“. Nachdem sich der „Führer“ die Diktatur gesichert hatte versuchte man verzweifelt, der Welt rechtsstaatliche „Normalität“ vorzuspielen. Während der oder die Brandstifter im ersten Überschwang der Ereignisse noch öffentlich hingerichtet werden sollten, plante man nun einen ordentlichen Prozess gegen van der Lubbe und seine aus dem Ärmel gezauberten kommunistischen Hintermänner, insbesondere KPD-Fraktionsführer Ernst Torgler und den Bulgaren Georgi Dimitroff, Mitglied der kommunistischen Internationalen und regelmäßig mit dem bulgarischen Terroristen Stefan Dimitroff verwechselt. Der im September 1933 beginnende Prozess war öffentlich und wurde anfangs sogar noch im Rundfunk übertragen. Als die Dinge immer schlechter für die Machthaber liefen, wurden Übertragungen und Tonaufzeichnungen zügig verboten, die „Öffentlichkeit“ sollte nun so klein wie möglich gehalten werden. Dieses Verbot gilt bis heute (das in Leipzig am Originalschauplatz der Verhandlung gegründete Dimitroff-Museum, das u.a. Teile der Tonaufnahmen beherbergt, wurde, wie erwähnt, nach der Wende geschlossen). Der Prozess endete schließlich in einer Blamage des Regimes. Insbesondere Dimitroff (der in der Untersuchungshaft Deutsch gelernt hatte um sich selbst verteidigen zu können, sein Vertrauen in „Terroristenanwälte“ war wohl eher gering) brachte die Richter ein ums andere Mal in Verlegenheit und erregte regelmäßig „große Heiterkeit“ im Saal, selbst Lubbe musste laut Protokoll einmal lachen als Dimitroff fragte, welcher Mephisto denn „hinter diesem armseligen Faust“ stünde. Die Kommunisten mussten „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen werden (wie man so schön sagt, wenn eine haltlose Anschuldigung zusammenbricht – unschuldig konnten Kommunisten anscheinend niemals sein). Das hinderte die NS-Machthaber nicht daran, Dimitroff noch einige Monate zu inhaftieren bis er auf ausländischen Druck nach Moskaus abgeschoben wurde. Der im Prozess meist völlig apathische, ein schwer verständliches Gemisch aus Deutsch und Holländisch sprechende van der Lubbe (der doch angeblich bei der ersten Vernehmung durch die Kriminalpolizei dem Beamten Zirpins in perfektem Deutsch den Ablauf der Brandstimmung minutiös schildern konnte) baute im Lauf der Verhandlungen körperlich immer weiter ab, die „jüdische Gräuelpropaganda“ (so nannte man damals „wahnsinnige Verschwörungstheorien) wusste alsbald, dass er von einem gewissen Dr. Leonardo Conti (später „Reichsgesundheitsführer“) mit Drogen ruhiggestellt wurde um sein fortgesetztes Schweigen zu sichern, denn dass weitere Hintermänner vorhanden gewesen sein müssen, wurde von Brandmeister Gempp und allen Sachverständigen immer wieder betont. Man konnte es, als die Wunschhintermänner nicht verurteilt werden konnten, leider nicht wieder unter den Teppich kehren. Andere Mittäter wurden aber nicht gesucht, denn, so das Gericht wörtlich, „jedem Deutschen ist klar, dass die Männer, denen das deutsche Volk seine Errettung vor dem bolschewistischen Chaos verdankt (...) einer solchen verbrecherischen Gesinnung (...) niemals fähig wären. Der Senat hält es daher auch für unter der Würde eines deutschen Gerichts, auf die niedrigen Verdächtigungen (...) auch nur einzugehen.“

    Der kaum als „verhandlungsfähig“ zu bezeichnende van der Lubbe wurde schließlich trotzt aller Proteste verurteilt und eilig, unter Bruch des elementaren Rechtsgrundsatzes „keine Strafe ohne Gesetz“, hingerichtet. Die Herausgabe der Leiche wurde den Angehörigen verweigert, auch das ein Bruch bestehender Gesetze.

    Nimmt man die Brandstiftung durch die NS-Machthaber als Tatsache (und kaum jemand war bis etwa 1960 anderer Meinung, selbst Göring gab es in Nürnberg etwas kryptisch zu – dazu später mehr) lassen sich einige Ereignisse im folgenden besser verstehen.

    Beginnen wir mit dem Koalitionspartner der NSDAP, der Deutschnationalen Volkspartei DNVP von Alfred Hugenberg. Sie stimmten zwar geschlossen dem Ermächtigungsgesetz zu (was angesichts der grundsätzlichen Ungesetzlichkeit der Abstimmung aber auch egal war), nicht alle leitenden Mitglieder waren aber auch dazu bereit, die Macht vollständig an Hitler abzugeben. Offensichtlich waren sie der irrigen Auffassung, der eben ausgerufene Diktator würde weiterhin die Regierung brav mit ihnen teilen – der „Führer“ war verständlicherweise anderer Ansicht. Während sich Vizekanzler Papen eher passiv verhielt und Hugenberg in der Öffentlichkeit wenig Bereitschaft zum Heldenmut zeigte, begann der DNVP-Fraktionsführer Ernst Oberfohren im Hintergrund gegen die NSDAP zu arbeiten. Er lag bereits mit Teilen der eigenen Partei im Streit da er sich weigerte, das KPD-Verbot mitzutragen (bezeugt von Torgler im Reichstagsbrandprozess). Die Brandstiftung bot ein willkommenes Thema. Zeitgleich (und möglicherweise in Zusammenarbeit) mit Eugen von Kessel (SA-Führer) und Richard Breiting (Leipziger Zeitungsredakteur aus dem Dunstkreis Goerdelers) sammelte Oberfohren Informationen über den Brand und ließ sie möglicherweise selbst ins Ausland durchsickern (ein Teil der Aufzeichnungen der drei Personen ist erhalten). Als der Manchester Guardian einen ziemlich detaillierten Artikel über den Brand abdruckte, kam Oberfohren sofort als mögliche Quelle unter Verdacht. Vielleicht hätte ihn ein offenes Dementi gerettet, Oberfohren schwieg aber. 10 Tage nach der Veröffentlichung der englischen Zeitung wurde Oberfohren tot aufgefunden, Schusswunde im Kopf, die Pistole ordentlich auf den Tisch gelegt – „zweifelsfrei“ Selbstmord. Sein Parteifreund Hugenberg war, wie allen anderen engeren Bekannten, eher anderer Ansicht und ließ seine Freunde wissen, dass er selbst sich auf jeden Fall nicht umzubringen gedenke, etwaige Zeitungsberichte solle bitte niemand glauben.

    Einige Wochen später ereignete sich ein als „Köpenicker Blutwoche“ bekannt gewordenes Massaker, dem fast 100 Menschen verschiedenster politischer Richtungen zum Opfer fielen. Es passte eigentlich nicht in die nach dem Ermächtigungsgesetz so dringend benötigte „Normalität“. Leider war das Massaker notwendig, denn Mitglieder einer SA-Standarte aus Köpenick hatten sich Ende Juni 1933 „beim Bier“ ein wenig zu laut für die Durchführung des Reichstagsbrands gelobt, was nicht nur der Wirtin, sondern auch der örtlichen Opposition zu Ohren kam. Die Geschichte machte schnell die Runde und so sah man sich von Seiten der Nazis gezwungen, einige redselige Parteigenossen und eine wesentlich größere Zahl von Oppositionellen endgültig mundtot zu machen, viele Opfer wurden vorher gefoltert, teilweise wurden die Menschen einfach zu Tode geprügelt. Der bereits erwähnte Dr. Villain bewährte sich auch bei dieser Aktion und so kehrte schnell wieder eine lähmende Ruhe ein. Die gleiche Friedhofsruhe herrschte bei der Berliner Feuerwehr, denn es hatte sich auch dort schnell herumgesprochen, dass es tendenziell ungesund war, wenn man Dritten von „Benzinkannen“, „Brandbeschleunigern“ und „falschen Polizisten“ erzählte.

    Während der Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig sein trauriges Ende nahm endete der in London organisierte Gegenprozess (wussten Sie übrigens, dass es während des ersten Kriegs der USA gegen den Irak einen ähnlichen, vom ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark organisierten Prozess gab?) erwartungsgemäß mit einem Schuldspruch für die Nazis. Die Ereignisse in Berlin wurden auch im sog. Braunbuch behandelt, das in mehrere Sprachen übersetzt schließlich unter der Hand auch den Weg nach Deutschland fand. Nebenbei: Die gleichen „Historiker“ die jede Ungereimtheit des Leipziger Prozess' ignorieren und jedes Gutachten über den Brandablauf in den Wind schlagen zögern nicht, einzelne, aufgrund der begrenzten Mittel unvermeidbaren Fehler, Übertreibungen und Spekulationen des Braunbuchs als „Beweis“ für dessen grundsätzliche Unglaubwürdigkeit anzusehen. Außerdem wurde ja alles von Kommunisten geschrieben. Aber dazu später.

    Wir schreiben also inzwischen das Jahr 1934 und „Normalität“ war immer noch nicht eingekehrt. Die Opposition außerhalb der NSDAP war zwar ruhiggestellt (d. h. tot, inhaftiert, geflohen oder im Untergrund), inzwischen ging aber ein Riss durch die eigenen Reihen. Die „alten Kämpfer“ der SA forderten nun endlich ihren Lohn für mehr als 10 Jahre Straßenterror. Ihr natürlicher interner Feind war seit der Machtergreifung die immer stärker werdende SS, in der die NSDAP geschickt willige Überläufer der alten herrschenden Schichten integrierte. Röhm, der beim Reichstagsbrand übergangene SA-Chef („das hätte ich besser gemacht“ höhnte er laut Zeugen über die im Nachhinein als recht schlampig durchgeführt zu bezeichnende Brandstiftung), strebte die Schaffung eines Volksheeres unter seiner Führung an und zögerte scheinbar auch nicht, „Parteigeheimnisse“ als Druckmittel einzusetzen. Die alte Reichswehr und die elitäre SS mit ihren gelangweilten Bürgersöhnchen, gehobenen Beamten, „Adeligen“ und Doktoren bekamen beim Gedanken an einen mehrere Millionen Köpfe zählenden, gut bewaffneten Straßenpöbel unter Röhm genauso große Angst wie die Wirtschaftsführer die fürchteten, irgendjemand würde möglicherweise doch noch das alte 25-Punkte-Programm der NSDAP durchlesen und an der Seite der „jüdischen“ Wucherer auch noch ein paar arische Wucherer aufknüpfen. Eine Entscheidung musste fallen, entweder die „zweite Revolution“ durch die SA oder eine Erledigung der alten Revolutionäre („Was macht man nach einer Revolution mit den Revolutionären?“ war eine schon von Mussolini aufgeworfene Frage). Tatsächliche Putschpläne der SA gegen ihren geliebten „Führer“ und Reichskanzler waren natürlich Unsinn, dass der Leiter der SA aber eine für seine parteiinternen Konkurrenten ein wenig zu große Popularität genoss und einen unbequemen Machtfaktor darstellte, dürfte daran abzulesen sein, dass Röhm selbst das offene Geheimnis seiner Homosexualität und die vielen Geschichten über die „Brigade 175“ nie sehr geschadet hatten.

    Hitler entschied sich gegen seine alten Kämpfer und für die alten Kräfte des Staates (wie ja auch Stalin nach Lenins Tod nach und nach alle alten Bolschewiki ermordete und Wendehälse der alten Ordnung als wesentlich zuverlässigere Stütze seiner eigenen Macht bevorzugte, die Mehrzahl der Ideen der Revolution blieb dabei auf der Strecke). Binnen weniger Tage wurden alle noch verbliebenen Unruheherde und Unsicherheitsfaktoren ermordet. Dabei ist angesichts der späteren Entwicklung zur „Sippenhaft“ bemerkenswert, dass Hinterbliebene, die bereit waren „Schwamm drüber“ zu sagen, mit einer staatlichen Pension abgefunden wurden. Neben Röhm wurde die komplette SA-Führung, der marginal sozialistisch angehauchte Parteiflügel um Strasser, aber auch einige weitere bemerkenswerte Männer liquidiert. Zum einen der inzwischen berüchtigte Dr. Villain, der bei einem parteiinternen „Ehrengericht“ ein wenig zu direkt eine angemessene Belohnung für seine Verdienste um die Brandstiftung gefordert hatte. Ebenfalls erschossen wurde der als Informationssammler erwähnte SA-Mann Eugen von Kessel, sein Informant Georg von Detten, außerdem die schon immer mit der Brandstiftung in Verbindung gebrachten SA-Leute Karl Ernst und Othmar Toifl, der Münchner Journalist Fritz Gerlich sowie Erich Klausner, im Preußischen Innenministerium Leiter der Polizeiabteilung. Insbesondere bei den letzten beiden ist eine angebliche Beteiligung an irgendwelchen angeblich geplanten Revolten völlig unglaubwürdig, es müssen also andere Gründe für die Ermordung vorgelegen haben.

    Nach dieser „Nacht der langen Messer“ konnte nun endlich die Mär vom zivilisierten, friedliebenden Nationalsozialismus gestrickt werden. Der „Führer“ wurde hoffähig (beim Papst war er es schon 1933) und das Ausland schien bereit, Deutschland wieder eine gewisse internationale Rolle zuzubilligen. In diese herrliche Zeit der Autobahnen und Olympischen Spiele fiel die schrittweise Entrechtung der Juden gar nicht mehr so ins Gewicht, waren ja sowieso nur Halsabschneider, die Kommunisten vermisste ja auch niemand. Man musste ja nur sein Maul halten, den Arm heben und alles war gut (wobei „man“ natürlich vergaß, dass in Unrechtssystemen jeder, auch der passive, „unpolitische“ Untertan bedroht ist, Sie wissen schon, „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ bzw. „als sie die Kommunisten geholt haben, habe ich geschwiegen...“). Wenn es aber selbst mit dem Schweigen nicht klappte, drohte sofortiges Ungemach. Im April 1937 büßte Richard Breiting sein nie erlahmendes Interesse an den Verbrechen der Nazis mit einem vorzeitigen Tod, ob man den gerade mal 55jährigen durch ständige Drohungen, Durchsuchungen und andere Druckmittel gesundheitlich ruinierte oder ob von Seiten der Gestapo mit Gift ein wenig nachgeholfen wurde, konnte die Familie aufgrund der verweigerten Obduktion und der gegen den Wunsch der Hinterbliebenen erfolgten Einäscherung nie geklärt werden. 1939 starb schließlich auch Oberbranddirektor Walter Gempp, der sich standhaft weigerte, die von ihm beobachteten Hinweise auf die weiteren Brandstifter zu vergessen. Selbst angesichts der Kristallnacht konnte er nicht staatsmännisch schweigen, sondern musste von „Schande“ sprechen. Da ihn offensichtlich weder politischer Druck noch seine bald nach dem Brand aus fadenscheinigen Gründen erfolgte Suspendierung in einen braven Untertan verwandeln konnten, wurde er schließlich 1938 im Zuge der „Minimax-Affäre“ verhaftet (auch damals gab es schon griffige Formulierungen wenn eher untergeordnete Vergehen aufgeblasen werden mussten). Man fand Gempp schließlich erdrosselt in seiner Gefängniszelle auf – „Selbstmord“ auf dem Totenschein zu notieren hatte man 1939 bereits nicht mehr nötig. Vier Monate später begann der vom „Führer“ herbeigesehnte Krieg gegen Polen. Deutschland und die Welt hatten jetzt andere Sorgen als die Frage, durch welche Verbrechen die Verbrecher ihre „Ermächtigung“ zum Weltkrieg erreicht hatten.

    Damit könnte man die Geschichte beschließen. Auf dem Gebiet der DDR wurden nach 1945 einige Prozesse im Zusammenhang mit der Köpenicker Blutwoche geführt und Genosse Dimitroff bekam verdientermaßen am Schauplatz des Brandprozesses ein Museum. Auf dem Gebiet der BRD wurde das Geschehen weitgehend ignoriert, nicht wenige direkt mit dem Brand verbundene Personen wurden westintegriert. Warum auch nicht, treue, anpassungsfähige Beamte braucht jeder Staat. Selbst der brave Rudolf Augstein stellte 1950 und 1951 mehrmals im SPIEGEL fest, dass insbesondere die Polizei in der BRD auf das alte Fachpersonal des NS-Regimes nicht verzichten könne. Praktisch war in diesem Zusammenhang war die damals gerade erfundene „Kollektivschuld“, denn individuelle Schuld fiel danach plötzlich nicht mehr so ins Gewicht. Das herunterspielen der INDIVIDUELLEN Schuld war auf dem Gebiet der BRD großes Ziel der neuen/alten Stützen des Systems. Während man an den amtlichen Gedenktagen dicke Tränen in Auschwitz und Dachau vergoss wurde man sehr sehr böse, wenn irgendjemand darauf hinwies (entsprechende Hinweise kamen damals besonders gerne aus der DDR), dass der ein oder andere Bonner Demokrat DIREKT in die Verbrechen verwickelt war, vom mit samt seinem Stab in Lohn und Brot übernommenen Kamerad Gehlen bis zu Adenauers Intimus Globke. „Kommunistische Lügen“ war wieder ein salonfähiger Begriff (die KPD war ja auch sehr schnell wieder verboten) und so nahm die Geschichtsklitterung ihren Lauf. Mitten drin die „liberale“ ZEIT, der „linke“ SPIEGEL, ein Autor namens Fritz Tobias und ein Historiker namens Hans Mommsen. Am Rande beteiligt: Unter anderen Walter Zirpins (leitete die erste Vernehmung van der Lubbes und „bezeugte“ somit Lubbes Geständnis), Rudolf Braschwitz (leitete die „Brandkommission“) und der alte Goebbels. Sie spielten, freiwillig und unfreiwillig, Kronzeugen für die neue These der Alleintäterschaft van der Lubbes. Wie dies?

    Der neue Ablauf der Weltgeschichte sah folgendermaßen aus. Der zu 75% erblindete van der Lubbe wanderte mit keinem Sechser in der Tasche in zwei Wochen von Holland nach Berlin, irrte ein wenig in der Hauptstadt zwischen SA-Aufmärschen und Männerwohnheimen herum, kaufte sich ein paar Kohlenanzünder, versuchte das Stadtschloss anzuzünden, stieg danach in den Reichstag ein und legte den Brand. Die NS-Führung war völlig überrascht, sie versuchte die Situation aber auszunutzen, wobei sie leider über das Ziel hinausschoss, Deutschland und die NSDAP „schlitterten“ gewissermaßen in eine nicht geplante Terrorherrschaft hinein. Die Diktatur Hitlers war eine Art Betriebsunfall („Überreaktion“ lt. SPIEGEL), der über die mit bester Gesinnung ausgestatteten Beamten der Weimarer Republik, Hitlers Parteispender, Koalitionspartner und das Volk hereinbrach. Mit der Hinrichtung von ein paar führenden Köpfen in Nürnberg konnte der böse Spuk beseitigt werden und alles war gut. Deutschland wurde eine westliche Demokratie nahm nach ein paar Jahren Schonfrist gemeinsam mit den alten Feinden im Westen den Kampf gegen den Ostblock auf.

    Entsprechend mussten auch die folgenden Ereignisse umgeschrieben werden. Dies geschah wie oben erwähnt 1959/60 durch eine Serie in Augsteins SPIEGEL, ein 1962 von Fritz Tobias, dem Autor dieser Serie, veröffentlichtes Buch und Hans Mommsen, der dem ganzen professorale Weihen gab (sogar der inzwischen reichlich in Ungnade gefallene David Irving durfte seinen Beitrag leisten). Kronzeuge war Kommissar Zirpins, der van der Lubbe verhörte und dem der Verhaftete eine genaue Beschreibung der Brandstiftung lieferte. Da Zirpins „auch rückblickend nicht als Faschist“ bezeichnet werden könne (SPIEGEL) ist das erste Vernehmungsprotokoll und der geschilderte Tatablauf glaubhaft. Die Brandkommission unter Braschwitz bestand aus ehrlichen Beamte die den Tatablauf abschließend klären konnten. Lubbe wurde zu Recht verurteilt, ein freiheitlich-demokratisches Gericht hob 1967 allerdings die durch einen Rechtsbruch verhängte Todesstrafe gegen Lubbe auf und wandelte sie in Gefängnisstrafe um (das erbärmliche juristische Possenspiel das in einer Aufhebung des Urteils endete – nicht in einem Freispruch – dauerte noch bis 2007). Etwaige „Hintermänner“ van der Lubbes existierten nicht, sie wurden entweder von den Nazis erfunden um die Kommunisten zu beschuldigen oder von den Kommunisten um die Nazis zu beschuldigen. Zeugen und Gutachter die eine Alleinschuld Lubbes ablehnten irrten sich oder waren bezahlte Lügner.

    In modernem Deutsch liest sich das so (Rezension des Buchs „Der Reichstagsbrand“ von Sven Kellerhoff in der SZ, Juli 2008): „Kellerhoff kommt nicht zu einem sensationellen, sondern zu einem bescheidenen, eher banalen Resultat. Der Autor hält nun für erwiesen, dass weder die Nazis noch die Kommunisten das Feuer gelegt haben, sondern der holländische Sonderling allein. Er stützt sich dabei auf die Vernehmungsprotokolle vom ersten Ortstermin. Da habe van der Lubbe 'fast jeden einzelnen Brandherd, den er gelegt hatte', detailliert beschrieben. Kellerhoff verschweigt nicht, dass in Leipzig 'vier von fünf Sachverständigen ausgeschlossen hatten, dass ein einzelner Brandstifter eine solche Feuersbrunst entfachen konnte'. Doch er stützt sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse: 1933 sei das heute als „Backdraft“ bekannte und gefürchtete „Phänomen“ der Rauchgasexplosion noch nicht erforscht gewesen.“

    Zurück in die 60er. Insbesondere die SPIEGEL-Serie löste eine Welle von Reaktionen aus. Zahlreiche Zeitzeugen meldeten sich in Briefen beim Magazin und drängte auf Korrekturen, Feuerwehrleute, Familienangehörige von Beteiligten, alte Sachverständige. Sie fanden bei Augsteins Magazin wenig Gehör, dass man von ihnen weiß ist – wie vieles andere – dem Schweizer Historiker Walther Hofer und seinem Team zu verdanken. Sie trugen eine Fülle von Material zusammen das Tobias und den SPIEGEL der Lächerlichkeit preisgab. Sie überprüften die alten Brandgutachten und konnten sie durch „neuere wissenschaftliche Erkenntnisse“ voll bestätigen. Sie sichteten die Prozessprotokolle und konnten alle Ungereimtheiten der Alleintäterthese aufdecken für die, außer Kommissar Zirpins, so gut wie nichts sprach. Wie später bei anderen berühmten Attentaten mag es Wissenschaftler geben, die das eine oder andere widerlegen, beweisen oder zumindest in Frage stellen, damals wie heute kann man aber einfach feststellen, dass man nicht innert 20 Minuten einen aus schwerem Holz gebauten Saal ausschließlich mit Kohlenanzündern in Brand setzen kann, allem Backdraft zum Trotz. Dass eine Rauchgasexplosion oder eine Verpuffung die Glaskuppel des Reichstags zerstört hat ist keine sensationelle Neuerung, dass der Saal allein durch die Sauerstoffzufuhr plötzlich in Flammen stand, wird auch von niemand bestritten. Die Alleintäterthese scheitert aber an der Produktion der für diese Verpuffung notwendigen Rauchgase und der zur Entzündung notwendigen Erwärmung der Saaleinrichtung. Sie scheitert entweder an der Menge des dazu nötigen verbrannten Holzes (Zeitproblem für Lubbe) oder an der Menge des dazu notwendigen Brandbeschleunigers (Mengenproblem für nur einen Täter, damals wie heute wurde aus den gefundenen Rußrückständen und der zur Verpuffung nötigen Energie ein Bedarf von mindestens 50 Litern „Petroleumderivat“ berechnet). Ein Vertreter der Alleintätertheorie versuchte schließlich verzweifelt, den ganzen Brandablauf in Frage zu stellen, um Lubbe mehr Zeit zu verschaffen. Man kennt das ja mit den Einzeltätern. Jedes mal, wenn eine neue Unmöglichkeit auftaucht, gibt es ein neues Gutachten das diese Unmöglichkeit klärt, bis schließlich eine Kugel 20 Wunden verursacht wobei natürlich aber auch in 100 Jahren noch nicht geklärt werden kann, wie ein hinter dem Opfer stehender Schütze eine von mehreren Ärzten bezeugte Einschusswunde in der Kehle hinterlassen kann. Das Grundproblem ist immer das gleiche: The guy couldn't do the shooting. Nobody could. Als vorübergehend kein neues Gutachten mehr weiterhalf wurden einige Zeugen von den empörten Vertretern der Alleintäterschaft Lubbes gefragt, warum sie denn selbst nach 1945 noch geschwiegen hätten. Die Erwiderungen waren sehr entlarvend: Die meisten Zeitzeugen antworteten, dass ihnen beim besten Willen nicht bekannt gewesen wäre, dass jemand die Täterschaft der Nazis anzweifeln würde. Der gute David Irving brachte noch Goebbels als Kronzeugen für die Unschuld der Nazis ins Spiel, denn dieser hatte in seinen Tagebüchern von der Schuld der Kommunist geschrieben und in Tagebüchern müsse ja niemand lügen, also sei glaubhaft, dass es die Nazis nicht waren. Dass die entsprechenden Tagebuchbände aber bereits 1934 unter dem Titel „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“ veröffentlicht wurden, es sich also mitnichten um private Äußerungen handelte, ist dem Historiker offensichtlich entgangen (später fand man dann noch eine Stelle von 1941 derzufolge Goebbels und Hitler zusammen gerätselt hätten, wer denn nun den Reichstag angezündet hätte – also nicht van der Lubbe???)

    Der SPIEGEL, die ZEIT (auch in Person des heutigen Herausgebers Jessen), Tobias und andere griffen zum letzten Mittel: Walther Hofer und sein Team hätten Dokumente gefälscht, um die armen Nazis zu belasten. Zum Beweis führte man beispielsweise an, dass in einigen Dokumenten „Kroatismen“ verwendet würden (eines der Mitglieder des Teams stammte aus Istrien). „Kroatismen“, die sich allerdings sowohl in offiziellen Verzeichnissen deutscher Sprichworte als auch in den Schriften von Goethe finden (bspw. der heute unübliche Ausdruck „verbrennen von Häusern“). „Fälschungen“ konnte man lediglich dem SPIEGEL nachweisen. Betrachten wir kurz den Kronzeugen der Alleintäterthese, Walter Zirpins, der, um das schöne Wort des SPIEGELS noch einmal zu wiederholen, „auch rückblickend nicht als Faschist“ bezeichnet werden kann. Kriminalrat Zirpins wurde 1938 Schulungsexperte der Sicherheitspolizei im Reichssicherheitshauptamt unter Reinhard Heydrich. Als SS-Obersturmbannführer war er danach Leiter der Kriminalpolizei in Lodz, bekämpfte im dortigen Ghetto tatkräftig das „jüdische Verbrechertum“ (aus einem selbsterstellten Lebenslauf) und schrieb nebenbei ein Lehrbuch über die NS-Strafjustiz und ein Buch über die weltanschauliche Grundlage des III. Reichs. Ein lupenreiner Demokrat also, der zwar auf der polnischen Kriegsverbrecherliste landete, nach dem Krieg aber in den niedersächsischen Polizeidienst übernommen wurde (allerdings forderten die Polen auch – ebenso vergeblich – die Auslieferung des erste Ministerpräsident Niedersachsen, Hinrich Kopf, gleich und gleich gesellt sich gern). Ein zweiter Kronzeuge der Alleintäterthese, Rudolf Braschwitz, hätte eigentlich wegen Meineids oder Falschaussage oder Beweisfälschung angeklagt werden müssen (er bezeugte bspw. die Echtheit eines angeblich bei Dimitroff gefundenen Stadtplans auf dem das Schloss und der Reichstag markiert waren, noch im Prozess in Leipzig wurde ihm durch verschiedene Zeugen die nachträgliche Manipulation des Stadtplans nachgewiesen). Aber von den Vertretern der Alleintätertheorie wird er als respektabler, pflichtbewusster Beamter der Weimarer Demokratie bezeichnet, denn man braucht seine Aussagen dringend. Und so wird neben der Beweisfälschung auch vergessen, dass Braschwitz schon 1933 in die Gestapo eintrat und ab 1. März 1933 „förderndes Mitglied“ der SS war um schlussendlich ebenfalls im Reichssicherheitshauptamt, „der wahren Verbrechenszentrale des III. Reichs“ (Walther Hofer) zu landen. Auch er war also keinesfalls der unpolitische, in der Demokratie verwurzelte Beamte.

    Damit wollen wir es endgültig bewenden lassen. Ziel dieses kleinen Aufsatzes war nicht die abschließende Lösung des großen „Rätsels“. Angesichts des dürftigen Medienechos zum 75. Jahrestag, das in guter Tradition der freiheitlich-demokratischen Geschichtskorrektur meist ebenfalls nur von „Gerüchten“, „unbeweisbaren Vermutungen“ und ähnlichen halbseidenen Formulierungen strotzte, wollte ich aber darauf hinweisen, dass es reichlich Material über diesen „Kriminalfall“ (wie die jüngste Veröffentlichung den Vorabend des NS-Staatsstreichs und den Justizmord am holländischen Bürger Marinus van der Lubbe verharmlosend nennt) gibt anhand dessen der Brand und die folgenden Ereignisse nahezu eindeutig beurteilt werden können. Das Ergebnis sieht anders aus als die von den inzwischen gesamtdeutschen Medien verbreitete These des „Alleintäters“ und der „Diktatur als Betriebsunfall“ die durch die Hintertür auch den Begriff der „kommunistischen Lügenpropaganda“ wieder in die Debatte einführt. Bezeichnenderweise wird diese These gebetsmühlenartig vom „linken“ SPIEGEL und der „liberalen“ ZEIT vertreten, zwei Druckerzeugnissen, die in den letzten Jahren immer hysterischer hinter jedem Glatzkopf und hinter jeder noch so banalen Bürgerinitiative das neue III. Reich heraufziehen sehen. Zum Verständnis des Faschismus tragen sie selbst aber nichts bei, im Gegenteil, seit Anfang der BRD werden die tatsächlichen Täter verharmlost und Unbeteiligte durch die Kollektivschuld belastet, das Verständnis des Faschismus wird einem unwissenden Erschaudern geopfert. Selbst der Holocaust wird normalerweise nicht durch die Ergüsse geistig minderbemittelter Historiker verharmlost, sondern durch die Tatsache, dass bspw. die durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verhängten Berufsverboten gegen die Bürger jüdischen Glaubens als NOTWENDIGE Vorstufe des Holocaust ignoriert werden. Auch der Holocaust fiel nicht vom Himmel, sondern wurde Schritt für Schritt vorbereitet. Der Begriff „Endlösung“ verdeutlicht dies sehr gut, denn jede Endlösung muss einen Anfang haben und der war nicht die Kristallnacht, sondern der 1. April 1933, als sich der bestellte oder freiwillige Volkszorn zum ersten Mal gegen die Juden und ihre „Lügenpropaganda“ richtete.

    Eine „gute Seite“ des III. Reichs gab es keinen einen Tag lang, und alle, die deswegen auf einer dummen Fernsehmoderatorin herumhacken sollten erst einmal überprüfen, ob sie selbst diese Tatsache auch wirklich verstanden haben. Denn selbst die angeblich „linksliberalen“ Medien, die „Gutmenschen“, die Grünen „Pazifisten“, die „Alt-68er“, alle stellen sich lieber brav in den Dienst des Systems, der Muff von 1000 Jahren wird damals wie heute ignoriert, du bist nichts, die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist alles. Und so macht der „Antifaschismus“ auf Recht, Gesetz und vor allem auf die Vernunft fröhlich einen großen Haufen. Straßenschläger stärken die Demokratie und Demonstrationsverbote fördern die Meinungsfreiheit. Und wer Berufsverbote gegen „Nazis“ oder „Kommunisten“ mit den Berufsverboten gegen Juden auch nur ansatzweise vergleicht „verharmlost den Holocaust“, ist also Nazi. Basta. Wehe man erinnert auch noch daran, dass der straffällig gewordene Ausländer Hitler 1923, auf Basis der geltenden Gesetze, eigentlich sein Leben, zumindest aber sein Aufenthaltsrecht verwirkt hatte. Er konnte seine Karriere nur aufgrund verständnisvoller Richter mit der Bereitschaft zur Rechtsbeugung fortsetzten, die ihn nicht einmal ins Zuchthaus stecken wollten, sondern eine „ehrenvolle“ Festungshaft anordneten. Eugen Leviné hatte vier Jahre vorher weniger Glück, kommunistische „Hochverräter“ wurden einfach an die Wand gestellt. Wie gesagt, irgendein „Rassismus“ ist für ein faschistisches System entbehrlich, Rechtsbeugung, das Messen mit zweierlei Maß und die völlige Abkehr von der Vernunft nicht.

    Ich hoffe, ich konnte mit dieser kleinen Übersicht dazu anregen, sich um das Verständnis des Faschismus zu bemühen. Denn alles noch so gutgemeinte Gedenken nützt nichts, wenn man das Wesen des Faschismus nicht verstanden hat. Denn ohne Verständnis des Faschismus erkennt man nicht, wenn sich die Geschichte wiederholt, besonders wenn sich die Wiederkehr des Faschismus als Farce nach der Tragödie tarnt.

    P.S. Ein kleiner Witz noch für alle erfahrenen „Verschwörungstheoretiker“. Wie hieß der ebenfalls im Zuge der „Röhm-Revolte“ ermordete Adjutant von Karl Ernst? Walter von Mohrenschildt. Sein Bruder Udo von Mohrenschildt überlebte die Mordaktion und gab nach dem Krieg ebenfalls einige Hinweise auf die Hintermänner des Brands.


    c.


    Literatur:
    Alexander Bahar (Hrsg.), Der Reichstagsbrand, 1992, AHRIMAN-Verlag
    (ISBN-13: 978-3922774808)
    Sven Felix Kellerhoff, Der Reichstagsbrand: Die Karriere eines Kriminalfalls, 2008,
    Bebra Verlag
    (ISBN-13: 978-3898090780 )
    Reinhard Kühnl, Formen der bürgerlichen Herrschaft, 1995, Rowohlt Taschenbuch-Verlag
    (ISBN-13: 978-3499113420)
    Reinhard Kühnl, Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, 2002,
    Papyrossa Verlagsges.
    (ISBN-13: 978-3894382506 )
    Monika Zorn (Hrsg.), Hitlers zweimal getötete Opfer, 2001, AHRIMAN-Verlag
    (ISBN-13: 978-3894844011)
    Auf geb' ich mein Werk; nur Eines will ich noch: das Ende - das Ende!

    (Wotan, Die Walküre)

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