"Wollen Sie etwa, dass Ihre Tochter im Ruhrgebiet arbeitet?" So hieß einer jener Sprüche, mit denen die Iren dazu gebracht werden sollten, gegen den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft zu stimmen. Das war 1972. Ich war damals 17 und musste laut lachen, als ich das Plakat zum ersten Mal las. 1972 war Irland ein heruntergekommener, kulturell und wirtschaftlich völlig zurückgebliebener Ort. Mir hingegen erschien das Ruhrgebiet als Hafen der Freiheit, man konnte dort sicher viel Spaß haben, viel mehr als auf unserer kleinen, traurigen, erzkonservativen Insel.
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Europa brachte uns nicht nur bessere Straßen und bessere Jobs, sondern auch Fortschritte wie die gleiche Entlohnung von Frauen, die Entkriminalisierung der Homosexualität oder wichtige Arbeiterrechte. EU-Mitglied zu sein hat nicht nur die irische Wirtschaft komplett verändert, sondern auch Irlands Geist. Die EU hat ein Land hervorgebracht, in dem es sich heute viel einfacher leben lässt.
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Auch gibt es in Irland noch immer Gegenden, die sehr konservativ und abgeschottet sind. 1980 fand mit bitterem Ausgang ein Referendum zur Abtreibung statt, noch immer ist ein verlogenes Abtreibungsverbot in unserer Verfassung festgeschrieben. Irische Frauen fahren nach England, um abzutreiben. Obwohl der Großteil der Bevölkerung den riesigen Strom von Einwanderern, vor allem aus Polen, willkommen hieß, fürchteten einige, die Immigranten nähmen ihnen die Jobs weg.
Ich habe mit Ja gestimmt.
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Es scheint mir eine Tragödie, dass just diese Gruppen mit ihren Ängsten von ultrarechten Katholiken und ewiggestrigen Nationalisten missbraucht werden konnten.