„Ich schwöre: Schiri ist büyük Arschloch“
VON MORITZ NETENJAKOB, 23.06.08, 17:26h, AKTUALISIERT 23.06.08, 21:54h
Am Mittwoch steigt das heiße Halbfinale zwischen Deutschland und der Türkei bei der Europameisterschaft. Was in einer deutsch-türkischen Familie bei diesem Spiel abgehen könnte. Eine eher augenzwinkernde Sitcom eines Autors, der beide Kulturkreise kennt.
Ort: die Wohnung meines türkischen Schwagers.
Personen: meine türkische Frau, meine türkischen Schwiegereltern, mein türkischer Schwager, seine türkische Frau, sowie meine deutschen Eltern.
20 Uhr: ich komme mit meinen Eltern an und gehe an einer Türkei- und einer Deutschlandfahne im Flur vorbei ins Wohnzimmer, wo für das Spiel der Spiele "nur ein paar Kleinigkeiten" vorbereitet wurden: ein großer Korb mit Fladenbrot, ein Korb mit Sesamkringeln, zwei große Schüsseln Reis, vier Teller Köfte, fünf Teller Fleischspieße, eine sehr große Schüssel Salat (etwa in den Ausmaßen eines Kinder-Planschbeckens), drei Teller mit türkischer Pizza, jeweils eine Schale kleine grüne Oliven, große grüne Oliven, kleine schwarze Oliven, kleine schwarze schrumpelige Oliven, große schwarze Oliven, große schwarze schrumpelige Oliven, sowie gefühlte 120 Kilo Schafskäse. Immerhin können auch wir etwas beisteuern: Zwei Tüten Kartoffel-Chips.
20 Uhr 12: der Fernseher wird eingeschaltet, und zwar in ohrenbetäubender Lautstärke - türkische Tradition. Das hat zur Folge, dass man sich zur Unterhaltung anbrüllt. Hinzu kommt die Grundregel, dass von fünf Türken immer mindestens drei mit dem Handy telefonieren müssen - insgesamt eine atemberaubende Klangkulisse, die den Baulärm am Chlodwigplatz wie sanftes Bachgeriesel anmuten lässt. Während Johannes B. Kerner eine mittelmäßige Pointe versemmelt, Jürgen Klopp der Kamera stolz das Ergebnis seines letzten Zähne-Bleechings präsentiert, und dieser Schweizer Schiedsrichter mit einer kompletten Tube Gel im Haar erläutert, dass passives Abseits nur dann passiv ist, wenn der Stürmer auch wirklich passiv ist, schimpft mein Schwiegervater darüber, dass Torwart Volkan immer noch gesperrt ist ("Da sitzen zwei Griechen in der Uefa-Kommission") und erklärt mir, warum gleich drei Türken gelbgesperrt sind: "Der Schiedsrichter hatte eine griechische Schwiegertochter." Obwohl meine Eltern Intellektuelle sind, akzeptieren sie die Haltung meines Schwiegervaters - als Ausländer darf man schließlich ausländerfeindlich sein. Das gehört ja zu der fremden Kultur dazu, und wenn man wirklich tolerant ist, toleriert man auch die Intoleranz. Zumindest ein Stück weit. ..........................
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