Weder unsensibel noch zynisch
Zu “Sind 132 Euro Sozialhilfe ausreichend?” (F.A.Z. vom 6. September): Der Berliner Finanzsenator, der Sachverständigenrat der Bundesregierung und zuletzt Wissenschaftler der Freien Universität Chemnitz haben sich in jüngster Zeit in der Bandbreite von Polemik über statistische Erhebungen bis zur wissenschaftlichen Untersuchung mit der Höhe der Geldleistungen der Sozialhilfe auseinandergesetzt. Das hat meine Frau und mich neugierig gemacht und uns veranlasst, die in den Medien häufig als zynisch und unsensibel bezeichneten Fakten und Bewertungen in unserem eigenen Haushalt hinsichtlich unserer tatsächlichen Ausgaben für Lebensmittel zu überprüfen.
Um es vorweg zu sagen, wir gehören glücklicherweise nicht zum Kreis der Sozialleistungsempfänger. Dennoch wollten wir einmal wissen, was von der Debatte um die Höhe der Geldleistungen des Steuerzahlers auf dem Gebiet der Lebensmittel zu halten ist. Deshalb haben wir, ohne unseren Lebensstil und unsere Essgewohnheiten auch nur im Geringsten zu verändern, Anfang Mai 2008 damit begonnen, in einem Haushaltsbuch penibel und ungeschönt alle Ausgaben für Lebensmittel aufzuschreiben.
Unsere Ernährung ist nahrhaft, abwechslungsreich und schmackhaft. Sie besteht aus einer gesunden Mischung aus viel Obst und Gemüse, Kartoffeln, Reis, Teigwaren, Fleisch, Fisch, Eiern, Müsli, Brot, vielfältigem Aufstrich einschließlich Feinkostsalaten, Kaffee, Tee, Milch und Mineralwasser. Im Allgemeinen kocht meine Frau selbst, aber hin und wieder gibt es auch Fertiggerichte aus der Tiefkühltruhe oder auch mal eine Suppe aus der Dose. Genussmittel wie Alkohol und Tabakwaren rechnen wir allerdings ebenso wenig zu Lebensmitteln wie Salzgebäck und Süßigkeiten. Daher haben wir sie bei unserer Buchführung nicht berücksichtigt. Wir kaufen sowohl bei Discountern als auch in Fachgeschäften und beim Erzeuger auf dem Wochenmarkt ein - nicht das Billigste, aber preisbewusst.
Das Ergebnis hat uns sehr erstaunt. In 121 Tagen im Zeitraum von Anfang Mai bis Anfang September 2008 betrugen die Lebensmittelkosten für unseren Zweipersonenhaushalt insgesamt 823,69 Euro. Dabei wurde der Wert der noch für mindestens eine Woche vorhandenen Vorräte im Kühlschrank nicht einmal in Abzug gebracht. Das heißt, unser Bedarf konnte wie erwähnt ohne jegliche Einschränkung mit täglich weniger als 3,40 Euro pro Person gedeckt werden. Das entspricht Ausgaben pro Monat (à dreißig Tage) von weniger als 102 Euro pro Person und trifft damit fast genau den “Maximalfall” des Chemnitzer Untersuchungsergebnisses von 104 Euro. Manchmal bedarf es wohl doch keiner Doktorarbeit, um dennoch zu Fakten zu kommen, die realistisch sind.
Mit diesem Ergebnis steht für uns fest, dass der staatliche Regelsatz von 132 Euro für Lebensmittel trotz der gestiegenen Lebensmittelpreise nicht zu knapp bemessen wäre. Schlussfolgerungen aus unserem Ergebnis mag jeder Leser und Steuerzahler für sich ziehen. Sofern das Ergebnis unserer privaten Haushaltsbuchführung vom Leser als politisch oder ideologisch unerwünscht betrachtet wird, bitte ich ihn, das Ganze als irrelevant zu verdrängen.
MANFRED BLUME, BONN