Ich finde, Bärwolf hat das Verhältnis zwischen Konservativismus und Kapitalismus in Deutschland weitgehend treffend beschrieben :]
Mit seiner endgültigen Abkehr vom Monarchismus als Kernthese nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Konservativismus in (West-)Deutschland dezidiert sozialpolitische Positionen inkorporiert. Der Aufbau einer zwischen schrankenlosem Raubtierkapitalismus und kommunistischer Planwirtschaft angesiedelten Wirtschaftsordnung, die unternehmerische Entfaltungsfreiheit mit gerechter Teilhabe aller an wirtschaftlichen Entscheidungen und den erarbeiteten Erträgen verbunden hat, ist er zu einer breite Bevölkerungsschichten ansprechenden Bewegung geworden und hat die Basis für Dominanz von CDU und CSU in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik, sowie auch deren Rückkehr an die Regierung Anfang der 80-er Jahre geschaffen. Die Unionsparteien wurden zu tatsächlichen Volksparteien, deren Wahlerfolge stärker kapitalistisch orientierte konservative Parteien in anderen Ländern (etwa Großbritannien, USA) in einem Land mit Verhältniswahlrecht niemals hätten erreichen können.
Und ich denke auch, dass die Mehrzahl der einfachen Mitglieder und Anhänger von CDU und CSU im Herzen noch immer stark sozialgebundene Konservative sind, nur die Parteispitze setzt sich mit zunehmender Radikalität von einer Politik des steten sozialen Ausgleichs ab und sprintet mit Siebenmeilenstiefeln nach Manchester. Das stürzt die Basis der Unionsparteien in ein trauriges Dilemma, zur Enttäuschung darüber, dass ihre Partei, mit der sie über lange Zeit zusammengewachsen sind plötzlich in essenziellen Punkten nicht mehr ihre Partei ist gesellt sich der Mangel an Alternativen: die FDP hat sich selbst längst zur neoliberalen Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen der Union geschrumpft, fällt als Alternative also aus. Von der SPD und mehr noch den Grünen trennen einschneidende emotionale Unterschiede, die eine Identifikation ausschließen. Die Linke kommt auf Grund ihrer Geschichte, ihres Personals und ihrer radikalen Rhetorik sowieso nicht in Frage.
Die Etablierung einer neuen, sozialen konservativen Partei ist praktisch unmöglich. Konstanz und Stabilität haben in der Bundesrepublik seit Anbeginn im Zweifel einen elementar höheren Stellenwert als Aufbruch und Veränderung, das etablierte Parteiensystem könnte man fast schon im Grundgesetz festschreiben. Einzig den Grünen ist es mühsam gelungen, sich ihren Weg in die erste Reihe zu bahnen. Die PDS stand etwas mehr als zehn Jahre nach der Wende schon am Rande des Exitus und vermochte sich nur durch das Zusammengehen mit der allein auch nicht überlebensfähigen WASG zu retten.
Also bleibt den Anhängern des Konservativismus klassisch bundesrepublikanischer Prägung nichts anderes übrig, als zähneknirschend CDU bzw. CSU die Treue zu halten, in der Hoffnung, dass es nicht zur Katastrophe - Schwarz-Gelb - kommt. Solch eine Koalition im Bund wäre der Freifahrtschein in ein Land der Niedriglöhne, der Zweit- und Drittjobs, des Hire-and-fire, der 48-Stunden-Woche, der privatisierten Daseinsfürsorge, der unzureichenden Krankenversorgung, der Altersarmut, der überfüllten Obdachlosenheime, der Studiengebühren und Schulgelder. Das hat mit der Geschichte und den Idealen des Konservativismus in Nachkriegsdeutschland zwar nichts mehr zu tun, aber dem tonangebenden unteren Durchschnitt an der Parteispitze fallen eben keine anderen Antworten auf die wirtschaftliche Entwicklung Chinas, Indiens und anderer asiatischer Länder ein.
Sicherheitshalber hofft man an der Basis darauf und glaubt man daran, dass es schon nicht so brutal käme wie von oben gefordert, außerdem ja nur für eine Übergangszeit, und redet sich ein, dass es wohl wirklich keine Alternativen mehr gäbe, so schrecklich es auch ist.